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Roman
Trans-Sein ist kein Zuckerschlecken
Alana S. Porteros großartiger Debütroman "Die schlechte Gewohnheit" über eine trans Frau in Madrid geht mächtig an die Nieren – aber er ist absolut lebensnah, berührend und erzählerisch stark.

Ausschnitt aus dem Cover von "Die schlechte Gewohnheit": Die Mutter der Ich-Erzählerin glaubte, einen Torero geboren zu habe – in Wahrheit hat sie eine trans Tochter zur Welt gebracht
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14. April 2024, 03:23h 6 Min.
Eine vielleicht nicht ganz unnötige Vorrede: Nein, Trans-Sein ist kein Zuckerschlecken – und trotzdem: trans joy is real! Wer es in sich entdeckt, dem beschert es wahrscheinlich die radikalste Erfahrung seines Lebens. Trans zu sein beginnt damit, sich selbst anzuerkennen (bei den anderen gibt es keine Garantie, dass sie es tun). Dass wir so, wie wir sind, jedoch richtig sind, wird für viele zu einem dauerhaften Selbstverteidigungs- und Rechtfertigungsfall. Denn Transfeindlichkeit ist nach wie vor und heute sogar mehr denn je trauriger Alltag. Manchmal kommt es mir vor, als wären dagegen die 1970er Jahre, aus denen ich komme, das Paradies gewesen. Was in Kommentarspalten heute wütet, ist wirklich gruselig.
Von Rosa von Praunheim stammt der Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt". Der Titel von 1971 stimmt, wenn wir homosexuell durch trans ersetzen, auch 2024. So wenig ein Mensch sich sein Schwul- oder Lesbischsein aussucht, so wenig ist trans eine Wahl. Also hört endlich auf, uns vorzuwerfen, wir würden euer Frau- oder Mannsein verfehlen. Es gibt auch andere Frauen und Männer. Wem das nicht passt, der darf das gerne für sich behalten. Es gibt schon zu viel Verbalinkontinenz.
Und damit Ende der Vorrede, die mir deshalb wichtig und richtig erscheint, weil der hier zu besprechende Roman von Alana S. Portero das oben Gesagte zum Thema hat und noch einiges mehr: Trans-Sein als lebensumstürzende Erkenntnis und als permanenter Selbstverteidigungs- und Rechtfertigungsfall in einer ziemlich queerfeindlichen Umgebung. Deshalb sind Zweifel und Verzweiflung in einem solchen Leben stets griffbereit und leider auch die blutige Nase, die man sich leicht holen kann. Doch eine andere Lösung als Mut, zu sich selber zu stehen und das Leben im Schrank zu verlassen, gibt es nicht. Denn wer will schon wegen der paar Idioten da draußen sein Leben verpassen.
Eine queere Kindheit in San Blas
Alana S. Portero ist in Madrid geboren und sie kennt die Umgebung, von der hier die Rede ist, nur zu gut. Die Umgebung heißt San Blas und ist ein Stadtteil von Madrid, wo die einfachen Leute in kleinen Wohnungen und mit geringen Einkommen leben und wo Alana aufgewachsen ist. Der Roman heißt "Die schlechte Gewohnheit" (Amazon-Affiliate-Link ), wurde von Christiane Quandt übersetzt und erschien im letzten Monat im Claassen Verlag.

Alana S. Portero ist Schriftstellerin, Dramatikerin – und selbst trans (Bild: Jaime Llamas & Bárbara Lara)
Es ist Alanas erster Roman – und so viel schon vorab: Er ist großartig, geht mächtig an die Nieren, verlangt uns Leser*innen einiges ab, denn die Berg- und Talfahrt der Gefühle und Stimmungen ist oft nur eine Talfahrt, für die lauter Schilder mit Trigger-Warnungen aufgestellt werden müssten. Aber dieser Roman ist ebenso lebensnah, berührend, fordernd und erzählerisch stark. Erinnert wurde ich immer wieder an Camila Sosa Villadas grandiosen Roman "Im Park der prächtigen Schwestern" (ebenfalls mit dringender Leseempfehlung). Ehrlichkeit kennzeichnet beide und das macht sie authentisch. "Die schlechte Gewohnheit" kommt, künstlerisch und biografisch gesehen, keineswegs aus dem Nichts, denn Alana schreibt schon länger und ist in Spanien als Dramatikern wohl nicht unbekannt. Sie ist Mitbegründerin der Theatergruppe Striga.
Wir befinden uns in den 1980er Jahren und in der Kindheit und Jugend der Ich-Erzählerin. Ihre Mutter glaubte, einen Torero geboren zu haben. Die Wahrheit: Sie hat eine trans Tochter zur Welt gebracht, nur braucht diese Wahrheit lange, zu lange, um ans Licht zu kommen. Die Tochter hat es mehr oder weniger schon von Anfang an gewusst. Mädchen- und später Frauenkleider ziehen sie magisch an, verbunden mit der Furcht, entdeckt zu werden.
Faszination für die "Perücke" und die "Schwuchtel"

"Die schlechte Gewohnheit" ist Ende März 2024 im Claassen Verlag erschienen
Es sind auch die besonderen Menschen im Quartier, die sie anziehen und die sie kennenlernen will. Sie sucht die Nähe zu einer alten Frau, die alle nur La Peluca (die Perücke) nennen, über die man lacht und die man zugleich fürchtet, weil der weitverbreitete Aberglaube ihr Zauberkräfte zuschreibt. Wie eine grell geschminkte Karikatur läuft La Peluca durchs Viertel. Dann ist da der Nachbar, der ständig seine Frau verprügelt, was alle gleichgültig hinnehmen. Einer seiner Söhne hat es der Ich-Erzählerin angetan. Er wurde immer "Schwuchtel" gerufen. "Manchmal wollte ich sein wie er: faszinierend, einzigartig und androgyn." Anders als der Romanheldin, "gelang ihm, über die Trümmerberge seines Lebens zu schreiten, ohne dass man ihm die Anstrengung merkte."
Irgendwann erzählt man ihr, dass Margarita eine trans Frau ist. Die Frauen im Viertel achten sie, weil sie sich geradezu selbstlos um ihre kranke Mutter kümmert und auch allen anderen zur Seite steht, die Hilfe brauchen. Sie opfert sich als Tochter förmlich auf, alle konnten sich auf ihre Hilfsbereitschaft verlassen. "Ich konnte nicht aufhören, sie anzustarren", lesen wir im Roman. "Sie war mein Blick in den Abgrund und der Abgrund trug Kittelschürze und Lippenstift."
Sie lernt einen US-amerikanischen Jungen kennen und verliebt sich. Jays Vater ist beruflich in Spanien. Eine traumhaft schöne Zeit beginnt, der erste Sex wird zum Erlebnis. Es ist, als ob Jay wie ein Wunder vom Himmel gefallen sei. Doch das Glück währt nur kurze Zeit. Man verrät sie und damit endet alles. Die Erzählerin beginnt mit nächtlichen Ausflügen, schminkt sich und zieht sich weiblich an. Die Idole heißen David Bowie, Boy George und Pete Burns, die lauter "Umbruchsfantasien" wecken. Sie lernt Eugenia kennen. Sie ist trans und Sexarbeiterin, die die Erzählerin schließlich als "trans Mutter" adoptiert und die sie "Königin des trans Universums" nennt.
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Der lange Weg zum Coming-out
Eugenia macht ihr klar: "Sich wie'ne kleine Tunte zu schminken und am Wochenende auf Stöckelschuhen ein bisschen den Arsch zu wackeln ist nicht dasselbe wie Frausein." Die Erzählerin ist bei all ihren Erkundungen dem richtigen Leben immer so nahe und findet doch nicht den Absprung und Umstieg. "Die Rolle des guten Jungen wurde mir zum Geschwür […]." Es wird ein langer Weg werden, auf dem sie einmal brutal zusammengeschlagen wird. Ausgerechnet in dem Moment, als sie bereit ist, sich zu outen. Danach vergehen 13 Jahre – das Nichts, die Sackgasse. Aber das Trans-Sein wird man nicht los.
Die Gewalt war real gewesen, und ich verstand die Motivation hinter meinem Versteckspiel, aber meine Angst hatte alles auf den Kopf gestellt, und ich war das Ganze völlig verkehrt angegangen.
Doch wie heißt es in einem Song? "It's not where you start, it's where you finish.
It's not how you go, it's how you land." Die Autorin Alana S. Portero erzählt uns dazu die passende Geschichte, aber – wie gesagt – das ist kein Sonntagsspaziergang, und gerade deshalb unbedingt lesenswert.
Alana S. Portero: Die schlechte Gewohnheit. Roman. Aus dem Spanischen von Christiane Quandt. Originaltitel: La mala costumbre. 240 Seiten. Claassen Verlag. Berlin 2024. Hardcover mit Schutzumschlag: 24 € (ISBN 978-3-54610-072-4). E-Book: 19,99 €
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