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Umfrage
Ist Berlin noch Regenbogenhauptstadt?
Berliner Politiker*innen sprechen gern von der "Regenbogenhauptstadt", doch in der Community sorgt das Wort auch für gemischte Gefühle. Wir haben bei sechs Aktiven aus dem Berliner CSD nachgefragt.

Symbolbild: Brandenburger Tor in Regenbogenfarben beim Festival of Lights 2022 (Bild: IMAGO / Olaf Schuelke)
- 27. April 2024, 07:00h 5 Min.
Berlin hat für die queere Szene viel zu bieten: queere Clubs, eine abwechslungsreiche Barszene, viele kulturelle Veranstaltungen und queere Sportvereine. Auch für queere Tourist*innen ist Berlin ein beliebtes Reiseziel. Ja, das Wort "Regenbogenhauptstadt" wird von Politiker*innen oft verwendet. Gleichzeitig nehmen Straftaten gegen queere Menschen in Berlin zu, und viele Menschen aus der Community haben Angst, Händchen haltend durch die Stadt zu laufen oder als trans* Person angegriffen zu werden.
Wir haben sechs Aktive aus dem Berliner CSD gefragt: Ist Berlin wirklich noch Regenbogenhauptstadt?
Verena Diehl – Aktive im CSD Forum
Für mich gibt es hier kein klares Ja oder Nein, aber es gibt einen sehr klaren Trend. Einen schlechten Trend. Berlin ist immer noch bunt, und ich sehe uns als Hauptstadt, in der wir für unsere Community und Rechte eintreten, weil wir hier leben. Jedoch waren wir noch nie da, wo eine 'Regenbogenhauptstadt' eigentlich stehen sollte. Was es bräuchte, wird regelmäßig gefordert – vom CSD sowie anderen queeren Verbänden und Vereinen. Und es wird regelmäßig auf die lange Bank geschoben oder weggeschwiegen. Die Anfeindungen nehmen zu und kommen auch näher an mich heran. Wenn ich – und andere queere Menschen – sich hier nicht mehr oder konstant sicher fühlen können, dann ist Berlin eher weiter weggerückt von dieser Ambition als näher dran zu sein. (Foto: privat)
Seyran Ates – Vorstandsmitglied
Berlin war und ist immer noch für mich eine der wichtigsten Regenbogenhauptstädte der Welt. Und in einem Punkt hebt sie sich sogar ganz besonders hervor. Hier, in unserer bunten Stadt, haben wir 2022 zum ersten Mal weltweit eine Regenbogenfahne zum Pride Month an unsere LGBTIQ+ Rechte verteidigende Moschee gehisst. Das war nur in Berlin möglich, in der viele queere Muslime – bei allen Schwierigkeiten und Problemen – selbstbestimmt und frei leben und lieben. (Foto: Müjgan Arpat)
Ulli Pridat – Vorstandsmitglied
Wenn am Montagmorgen im Sommer der Nullerjahre kurz vor sechs Uhr die Sonne aufging und ich etwas übermüdet aus dem GMF kam, um zur U-Bahn am Alex zu laufen, kam mir nie ein unwohler Gedanke in den Kopf. Ob das an der Unbeschwertheit meiner Jugend lag oder leichtsinnig war, ist heute schwer zu sagen. Aber das Gefühl, einfach so am Alexanderplatz in queerem Outfit oder gar händehaltend in ein öffentliches Verkehrsmittel einzusteigen, ist nicht mehr so vorhanden. Warum berichten mir immer mehr queere Freund*innen, dass sie weder U-Bahn noch Uber fahren und Angst haben, beleidigt und bespuckt zu werden? Waren wir schon mal weiter mit der Gleichstellung in unserer Regenbogenhauptstadt oder wie konnte diese Angst entstehen?
Jedes Jahr aufs Neue sind wir schockiert, wenn wir am Tag nach dem Berliner CSD lesen müssen, dass Besucher*innen unserer Demo auf dem Nachhauseweg zusammengeschlagen oder gar mit Messern verletzt wurden und im Krankenhaus liegen. Regelmäßig gibt es Mitleidsbekundungen und Absichtserklärungen der Politik und Verbände, dass dies nicht zu dulden ist. Doch die Gewaltstatistik der Polizei wächst. Das "Sagbare" in der Gesellschaft ist wieder so viel rauer geworden. Wir müssen wieder mehr acht aufeinander geben und unsere Werte verteidigen, um wieder die Regenbogenhauptstadt zu werden, für die ich damals mit 16 Jahren aus Thüringen nach Berlin gekommen bin. (Foto: Müjgan Arpat)
Anna Holfeld – Team Beziehungspodcast
In unserer Bi+Community sprechen wir immer wieder über unsere eigene Unsichtbarkeit innerhalb der queeren Bubble, aber auch innerhalb der Stadt. Es braucht viel Kraft, sich immer wieder zu zeigen. Wenn ich vom Überfall auf zwei lesbisch gelesene Personen höre, ganz in der Nähe meines Ladens für Beziehungen, dann bekomme ich Angst, mich als Bisexuelle mit meiner Frau an der Hand zu zeigen. Das will ich nicht für mein Berlin, für mein Neukölln, für mein Leben. (Foto: privat)
EMI – Social Media Team
Definitiv! Berlin bietet queeren Menschen des gesamten Spektrums eine Vielzahl von Möglichkeiten, eine Community zu finden. Die Drag-Szene und die dazugehörige Community in Berlin wachsen stetig. Hier gibt es so viele Jobmöglichkeiten für Drag-Künstler*innen wie in kaum einer anderen deutschen Stadt. Es ist möglich, aus einem Hobby einen richtigen Beruf zu machen – sei es im Theater, auf Social Media, bei der Organisation von Partys oder in der Performance-Kunst. Leider spielt das Thema Unsicherheit auf der Straße trotzdem eine große Rolle. Wenn du auffällig queer oder "anders" – wie in meinem Fall in Drag – aussiehst, kommt es oft zu Beleidigungen, Anfeindungen oder im schlimmsten Fall zu Gewalt. Deshalb meide ich es, mich in der Öffentlichkeit in Drag zu bewegen. Dennoch ist Berlin für mich die Regenbogenhauptstadt Deutschlands. (Foto: privat)
Mara Geri – Vorstandsmitglied
Berlin hat immer noch eine unglaublich große und diverse queere Community, und jede Person kann in dieser bunten Community ihren Platz finden. Doch wenn man als queere Person wieder vermehrt Angst haben muss, im Alltag selbstbewusst zu seiner geschlechtlichen Identität und seiner sexuellen Orientierung zu stehen, dann ist das mit dem leuchtenden Regenbogen über der Hauptstadt nicht (mehr) so passend. Und wenn gerade trans Personen leider oftmals mit der alltäglichen Angst leben, man könnte das nächste Opfer eines transphoben Übergriffs werden, dann verändert dies das Freiheitsgefühl und zeigt, dass auch in der selbsternannten Regenbogenhauptstadt queeres Leben in allen Facetten leider noch nicht selbstverständlich ist. (Foto: Müjgan Arpat)

Die Umfrage erscheint im Rahmen der Medienpartnerschaft zwischen queer.de und dem Berliner CSD e.V.
Links zum Thema:
» Homepage der Berliner CSD e.V.














