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Interview
Peaches: Die Kamera war meine Freundin
Wir sprachen mit der queeren Musikerin Peaches über die neue Doku "Teaches of Peaches", die gigantische Menge an vorhandenem Archivmaterial, die Veränderungen ihrer Wahl-Heimat Berlin und Pläne für ein neues Album.

Peaches bei einem Auftritt (Bild: Avanti Media Fiction)
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8. Mai 2024, 06:20h 8 Min.
Madonna ist ein riesiger Fan und holte sie im vergangenen Jahr bei ihrem Berlin-Konzert mit auf die Bühne. Mit Pink und Christina Aguilera arbeitete sie ebenso zusammen wie mit alten Freund*innen wie Feist oder Chilly Gonzales, mit denen sie schon vor über 20 Jahren in WGs lebte. Und ihre Songs waren schon in Filmen und Serien wie "Mean Girls", "Lost in Translation", "Yellowjackets", "Sex Education" oder "The Handmaid's Tale" zu hören.
Nun ist Peaches ein ganzer Dokumentarfilm gewidmet, "Teaches of Peaches" läuft ab dem 9. Mai in den deutschen Kinos (Interview mit den Regisseur*innen). Wir sprachen mit der bisexuellen Kanadierin und Wahl-Berlinerin, die im November ihren 58. Geburtstag feiert und für ihre wilden, feministischen Bühnenshows immer noch als Coolness-Ikone umjubelt wird, am Telefon.

Poster zum Film: "Teaches of Peaches" startet am 9. Mai 2024 im Kino
Peaches, Sie sind seit rund 30 Jahren als Musikerin aktiv und werden längst als Kultstar und Elektroclash-Pionierin gefeiert. Nun kommt am 9. Mai "Teaches of Peaches" in die Kinos. Waren Sie auf Anhieb angetan von der Idee, an einem Dokumentarfilm über Ihr Leben mitzuwirken?
Ich musste schon erst von diesem Projekt überzeugt werden. Und der fertige Film ist nun auch eine Art Kompromiss. Einen kompletten Film nur als historisches Dokument, als nichts als einen Rückblick auf meine bisherige Karriere zu machen, das hätte mich gelangweilt – und in dieser Dimension auch überwältigt. Aber das Jubiläum meines Albums "The Teaches of Peaches" und die zugehörige Tour zu begleiten und als Aufhänger zu nehmen, damit fühlte ich wohl.
Neben den Aufnahmen der Tour-Vorbereitungen und den Konzertmitschnitten zeigt der Film jede Menge Archivmaterial. Haben Sie selbst gestaunt, was das alles zutage kam?
Nein, denn das Archivmaterial kommt ja alles von mir. Ich glaube, ich habe mindestens 7.000 Stunden Aufnahmen gesammelt, haben wir irgendwann festgestellt.
Wow. Weil Sie von Anfang an daran dachten, das eigene Vermächtnis zu sichern?
Eher weil ich selbst immer schon ein Film- und Video-Fan war. Man sieht ja im Dokumentarfilm, dass ich früher schon ständig irgendetwas gefilmt habe. Das Video zur ersten "Teaches of Peaches"-Single "Lovertits" haben wir zum Beispiel selbst mit meiner Super8-Kamera gedreht. Später habe ich mich dann in die wunderbare Welt der Digital-Kameras der früher 2000er begeben und damit alles dokumentiert, nicht zuletzt wenn ich auf Tour war. Meine Kamera war immer dabei. Einerseits als Zeugin, weil in meinem Leben lange Zeit so viel los war und ich das irgendwie festhalten wollte. Und andererseits als meine Freundin, denn ich war oft auch alleine.
Sie zogen damals von Toronto nach Berlin, wo Sie bis heute leben. Was mochten Sie an der deutschen Hauptstadt um die Jahrtausendwende?
Mir gefiel, dass es in Berlin noch keine starren Strukturen zu geben schien. Die Stadt wirkte unglaublich offen, irgendwie ungeordnet und willkürlich. In jedem Fall gab es viel Raum für kreative Menschen und ihre Ideen, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Und vor allem war das Leben hier noch verdammt billig. Man kam gut über die Runden, ohne von morgens bis abends arbeiten zu müssen. Das waren definitiv andere Zeiten.
Berlin war aber auch nie eine Stadt, die einen herzlich willkommen hieß. Fühlten Sie sich schnell angekommen, wenigstens im Nachtleben?
Ehrlich gesagt war ich im Berliner Nightlife nie wirklich zuhause. In Sachen Intersektionalität und Queerness fand ich hier nie wirklich, wonach ich suchte, und war immer eher irritiert davon, wie die Partyszene aufgestellt war. Und ja, die Deutschen habe ich in der Tat oft als eher wenig freundlich und einladend empfunden, das war nicht selten eher abtörnend. Aber zum Glück fand ich schnell meine Blase aus Künstler*innen und Musiker*innen, darunter Expats genauso wie Deutsche, mit denen ich eine Wellenlänge hatte. Da entstand dann schnell eine aufregende Dynamik.
Die Stadt hat sich in den vergangenen 25 Jahren extrem verändert, Sie haben es eben schon angedeutet. Warum sind Sie geblieben?
Selbst als Berlin sich zu verändern begann, merkte ich schnell, dass die Stadt nie werden würde wie London oder New York. Dieses Maß an Betriebsamkeit und Stress und Extremen wird es hier nie geben, und darüber bin ich eigentlich ganz froh. Die Gentrifizierung, die seit sieben oder acht Jahren in Gange ist, ist schon extrem und hat wirklich dafür gesorgt, dass eigentlich nichts von dem geblieben ist, was mich bei meiner Ankunft an Berlin gereizt hat. Aber trotzdem hat die Stadt – bislang zumindest – noch einiges zu bieten, gerade in kultureller Hinsicht. Und es ist leichter als in anderen großen Städten, sich zurückzuziehen und in aller Stille zu verstecken. Ich bin inzwischen in einer Lebensphase, wo ich beides brauche, Action und Ruhe.
Der Dokumentarfilm arbeitet die politische Dimension gut heraus, die Ihre künstlerische Arbeit immer schon hatte, von den (queer-)feministischen Texten bis zu den radikal-performativen Bühnenshows. Haben Sie sich je daran gestört, dass es trotzdem stets jede Menge Leute gab, die das gar nicht wirklich registriert haben, sondern zu Ihrer Musik einfach wild feiern wollten?
Damit hatte ich nie ein Problem, denn das Politische ist ja nur ein Teil meiner Arbeit. Und zwar einer, der sich gerne unbemerkt anschleichen darf. Mir gefiel der Gedanke, dass es Leute gibt, die im Club ekstatisch mitsingen bei Songs wie "Fuck the Pain Away" und vielleicht erst Stunden oder Tage später realisieren, wovon sie da eigentlich gesungen. Wenn die Musik so gut ist, dass man dazu tanzen will, aber am Ende doch noch ein wenig mehr hängenbleibt, das ist doch das Beste.
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Ihr Lebensgefährte Ellison sagt im Film, Sie seien sich Ihres Vermächtnisses und Ihrer Verantwortung als Künstlerin gegenüber dem Publikum sehr bewusst. Was meint er damit?
Das müssten Sie natürlich eher ihn als mich fragen. Aber ich vermute mal, dass er von der Verantwortung spricht, sich nicht auf seinen Lorbeeren auszuruhen. Es reicht ja nicht, sich als Avantgarde und Wegbereiterin zu verstehen. Man muss trotzdem weiter dazulernen, sich entwickeln und verstehen, dass den Weg bereiten auch heißt, für Veränderung zu sorgen. Und Veränderung bleibt nicht stehen. Deswegen muss man auch selbst immer weitergehen.
Spielen Sie darauf an, dass Sie in jüngster Zeit einige Ihrer alten Texte verändert haben? Im Song "I U She" vom Album "Fatherfucker" singen Sie jetzt zum Beispiel auch "I U They"…
Und statt "shake yer dicks" oder "shake yer tits" singe ich jetzt geschlechtsneutral "shake yer bits". Ganz genau. Als ich meine Karriere begann, war der Rahmen für meine Arbeit, auch der sprachliche, strikt binär. Aber jüngere Generationen haben das geändert, die Diskurse haben sich verschoben und die Sprache passt sich an. Beziehungsweise macht sie heute ganz anderes möglich, woran früher nicht zu denken war. Das kann und will und muss ich doch nutzen.
Für einen kurzen Moment flirteten Sie ja vor 20 Jahren auch mit dem Mainstream: ein Auftritt bei "Top of the Pops", die Single "Set It Off" erschien bei einem großen Label, inklusive teurem Videoclip. Wie schwer fiel es Ihnen, damals dem großen Geld und damit dem Ausverkauf zu widerstehen?
Das war letztlich verdammt leicht. Es war ein Segen, dass es erst einmal nur die eine Single war, die bei der großen Plattenfirma landete, denn das gab mir die Möglichkeit, ohne größere Schäden schnell zu merken, dass ich nicht in diese Welt gehöre. Plötzlich war ich mittendrin in dieser Maschinerie, in der ich ein völliger Fremdkörper war. Es gab ganze Pressetage, an denen mich ein Mainstream-Medium nach dem nächsten interviewte. Aber nicht, weil sie begeistert von meiner Musik waren oder sich dafür interessierten, wer ich bin, sondern einfach weil der Promotion-Fahrplan es vorsah. Das hat mir wirklich die Augen dafür geöffnet, warum gerade junge Popstars in diesem Business so oft unter die Räder kommen oder wirken, als seien sie fehl am Platz. Wenn man künstlerisch nicht schon fest verankert ist und seine musikalische Identität gefunden hat, ist dieses System, das bloß den nächsten Hit sucht, keines, das einem echten Halt bietet.
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Ihre Kollegin Shirley Manson von der Band Garbage sagt, Sie seien schlicht Ihrer Zeit voraus gewesen und "The Teaches of Peaches" wäre heute sicherlich ein viel größerer Erfolg als damals. Stimmen Sie ihr zu?
Keine Ahnung, wirklich. Vielleicht wäre es auch ein echter Flop, weil die Leute es sich einen halben Tag lang im Internet anhören und dann schon das nächste Album ihre Aufmerksamkeit weckt. Die Musikbranche hat sich krass verändert, die Schnelllebigkeit ist enorm geworden. Die Geschichte von "The Teaches of Peaches" war so ziemlich das Gegenteil von dem, was heute üblich ist. Das Internet gab es noch kaum, im Radio wurde meine Musik nicht gespielt, im Fernsehen war ich nicht zu sehen. Der Erfolg entwickelte sich ganz langsam und organisch, durch Mund-zu-Mund-Propaganda und Live-Auftritte. Zu sehen, wie deine Musik nach und nach bei den Leuten ankommt und ganz von selbst ihre Fans findet, ist eine bemerkenswerte Erfahrung, die sich so heutzutage kaum wiederholen lässt.
Denken Sie trotzdem daran, neun Jahre nach Ihrem Album "Rub" vielleicht nochmal ein neues aufzunehmen?
Aber ja doch, keine Sorge.
Teaches of Peaches. Dokumentarfilm. Deutschland 2024. Regie: Philipp Fussenegger, Judy Landkammer. Mitwirkende: Peaches, Black Cracker, Leslie Feist, Chilly Gonzales, Shirley Manson, Charlie Le Mindu. Laufzeit: 102 Minuten. Sprache: englische Originalfassung mit deutschen Untertiteln. FSK 16. Verleih: farbfilm. Kinostart: 9. Mai 2024
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