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Sachbuch

Warum es dieses Plädoyer für stressfreieren Sex dringend gebraucht hat

Sex sorgt vielfach für Stress statt Lust. Auch queere Menschen haben viele heteronormative Zugänge zum Sex übernommen. Es sei an der Zeit, das abzuschütteln, rät Beate Absalon in ihrem Buch "Not giving a fuck".


Symbolbild: Schwules Paar im Bett (Bild: IMAGO / Westend61)

Sex ist ein Platzhirsch. Er ist überall, nimmt sich seinen Raum, ob gewollt oder ungewollt. Und vor allem: Er wird selten hinterfragt. Sex gehört dazu, nein: Guter Sex gehört dazu, ist selbstverständlicher Teil des Lebens. Doch nicht nur das: Sex muss optimiert werden. Wenn es mal nicht klappt, dann stimmt etwas nicht. Dann muss man was dagegen tun.

Die Kulturwissenschaftlerin Beate Absalon schreibt dagegen an. Ihr Buch "Not giving a fuck" (Amazon-Affiliate-Link ) ist ein Plädoyer, Sex zu dezentralisieren. Denn die Platzhirschstellung von Sex – die sich auch Zwangssexualität nennen lässt – führt ihr zufolge eher dazu, dass Sex im zweifachen Sinne für viele gar nicht die schönste Nebensache der Welt ist. Sex ist weder Nebensache noch besonders schön. Vielmehr löst er Stress und Druck aus.

Ein Tabu ist geblieben

"Endlich keinen Sex mehr!", steht ziemlich provokant über dem Klappentext. Dabei sollte man nicht dem ersten Impuls verfallen, das Buch für eine prüde oder gar reaktionäre Lektüre zu halten. Im Gegenteil: Mit autoritärer Sex- und Lustfeindlichkeit hat ihr Vorhaben nichts zu tun. Beate Absalon will sich für die Freiheit einsetzen, sich sexuell ausleben zu können. Dazu gehört für sie aber auch die Freiheit, keinen Bock haben zu wollen. Oder weniger Lust zu haben. Oder auch einfach mal keinen Sex zu wollen, aber wann anders schon.

Denn obwohl Sexpositivity, gerade aus queerfeministischen Bewegungen, so gut wie alle Tabus gebrochen hat, ist ein Tabu geblieben: keinen oder weniger Sex haben zu wollen oder Schwierigkeiten damit zu haben.

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Einst verpönter Spaß wird zur Pflicht


"Not giving a fuck" ist am 22. Mai 2024 im Wiener Verlag Kremayr & Scheriau erschienen

Das trifft queere Menschen ganz besonders. Denn unser Sex wurde und wird kriminalisiert, tabuisiert, wir werden dafür diskriminiert. Beate Absalon bezieht sich auf den soziologischen Begriff der Fun Morality, um dieses Phänomen zu begreifen: Er bezeichnet nach Martha Wolfenstein die Einstellung, dass einst verpönter Spaß jetzt umso mehr nachgeholt werden muss, gar zur Pflicht wird.

Queere Menschen werden von der Mehrheitsgesellschaft durch ihre Sexualität definiert, definieren sich zugleich aber vielfach selbst dadurch. Gerade in der eigenen Identitätsfindung kann das empowernd sein. Ist das per se problematisch? Nein. Es ist wunderbar, die eigene Sexualität leben zu können. Kann das problematisch werden, wenn sich jemand dem entziehen will, es aber aufgrund des äußeren Drucks nicht kann? Ja.

Leere statt geiler Begegnung

Vor allem schwule Männer dürften das kennen: Auf Datingplattformen aussortiert zu werden, weil gerade ein Blowjob reichen würde, Ficken aber nicht sein muss. Weil man trotz Prep ein Gummi nutzen will. Weil man jetzt einfach mal nicht so Bock hat. Oder die andere Richtung: Sex suchen, obwohl man gar nicht so wirklich Lust hat. Sex als Ersatzbefriedigung, aus Langeweile, hinter der sich womöglich ganz andere Motive verstecken.

Denn an Sex werden Glücks- und Erlösungsversprechen geknüpft, die er nur selten einlösen kann, stellt Beate Absalon in "Not giving a fuck" fest. Und Sex muss oft nicht-sexuelle Bedürfnisse erfüllen: Anerkennung, Bestätigung, Sicherheit. Sex ist eben einfach zu haben. Aber ist er nachhaltig? Aus den eigentlich so geilen Begegnungen kann dann schnell ein Gefühl von Leere, Entfremdung, Schmerz entstehen.

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Auf einmal wurden Erektionsprobleme behandelbar

Beate Absalons Buch will keine Gebrauchsanweisung sein. Vielmehr liefert es eine ganze Reihe an Impulsen und Anknüpfungspunkten, über das eigene Sexleben und Begehren nachzudenken. Das gelingt der Autorin, die sich als queer identifiziert und selbst Workshops zu sexuellen Spielformen gestaltet, aus vielen Gründen so gut.

Sie schreibt fundiert über die Ursprünge der Zwangssexualität. Dabei bezieht sie sich auf Michel Foucault, der sie im 19. Jahrhundert verortet, als nicht nur der Begriff Sexualität auftaucht, sondern mit der Sexualwissenschaft auch Erektions- oder Orgasmusschwierigkeiten zu etwas Behandelbarem wurden. Wer nicht kann (oder kam), der*die musste behandelt werden.

Sex als Tofu

Bei aller kulturwissenschaftlichen Fundiertheit bleibt ihr Ton angenehm und unverkrampft. Sie schreibt von Sex als Tofu – eher der Geschmacksträger, der spicy gemacht werden kann -, von der Gotta-fuck-Einbahnstraße, in der wir uns befinden, um nur zwei schöne Beispiele zu nennen.

"Not giving a fuck" kann eine Offenbarung sein, ein Anstoß, unsere zwangssexuelle Gesellschaft zu erkennen und für sich selbst zu hinterfragen. Es ist wohltuend zu lesen, weil das Buch nicht nur verständnisvoll und vorurteilsfrei ist, sondern auch individuelle Fragen mit dem großen Ganzen verknüpft: Consent und Einwilligung kann so von etwas, das insbesondere Frauen betrifft, auf alle übertragen werden. Auch die sexpositive und queere Community als Ganzes kann nur davon profitieren, entkrampfter und toleranter beim Thema Sex zu werden.

Infos zum Buch

Beate Absalon: Not giving a fuck. Von lustlosem Sex & sexloser Lust – Gesellschaftlichen Zwang überwinden und lebendige Intimität entdecken. 192 Seiten. Kremayr & Scheriau. Wien 2024. Taschenbuch: 24 € (ISBN 978-3-218-01340-6). E-Book: 18,99 €

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