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Ausstellung

"After the Party": Andy Warhol im Darkroom

Das Fotografiska Berlin widmet sich in einer ästhetisch überzeugenden Schau den intimen Seiten des Pop-Art-Künstlers Andy Warhol. Dabei geht es vor allem um sein schwules Begehren und um seine queere Identität.


Darkroom-Atmosphäre und monumental aufgezogene Fotos: Blick in die Ausstellung "After the Party" (Bild: Axel Krämer)

Wer war Andy Warhol wirklich? Was ging in seinem Kopf vor, welche Gefühle trieben ihn an und mit wem pflegte er sexuelle Kontakte? Schon zu einem frühen Zeitpunkt seiner Karriere gab es erstaunlich viele Leute, die sich über Fragen wie diese den Kopf zerbrachen.

"Die Autobiographie und das Sexleben des Andy Warhol" lautete der Titel eines 1971 erschienenen Buches, das dieses Phänomen reflektierte. Es enthält zahlreiche Interviews von John Wilcock, Journalist und Gründer der New Yorker Zeitschrift "Village Voice", mit knapp mehr als zwanzig Personen aus dem Umfeld Andy Warhols – nur nicht mit dem Meister selbst, der sich bereits damals ziemlich wortkarg gab und aus seiner eigenen Persönlichkeit ein Mysterium machte.

So legt etwa ein Gespräch mit dem Dichter und Künstler Charles Henri Ford nahe, dass Warhol nicht angefasst werden wollte und vorzugsweise Männer oral befriedigte. Die Factory-Schauspielerin Brigid Berlin wiederum glaubt es besser zu wissen: "Ich bin mir sicher, dass Andy nicht schwul ist." Und ausgerechnet im Interview mit dem Musiker Lou Reed, der seine eigenen queeren Facetten in seiner Arbeit offen beleuchtete, wird das Thema gar nicht erst angesprochen. Am Ende zeigt sich, dass Wilcocks Buch in Bezug auf diesen Aspekt über Geschwätzigkeit und Voyeurismus nicht hinausreicht – vom fehlenden gesellschaftlichen Kontext ganz zu schweigen.

Warhols langjährige Liebesbeziehungen zu Männern

Homosexualität fing zwar damals in der kreativen Szene New Yorks an, deutlich sichtbar zu werden, blieb jedoch mit einem Stigma belegt. Wilcocks Buch spiegelt das Phänomen gewissermaßen wieder, ohne dabei in die Tiefe zu gehen. Nachdem er nicht nur in Warhols Umfeld emsig recherchiert, sondern auch mit diesem selbst viel Zeit verbracht hatte, resümiert Wilcock am Ende seines Gesprächsbandes: "Auch nach all den Jahren kann ich nicht mit Sicherheit behaupten, dass Andy homosexuell ist." Das klingt ein bisschen so, als ginge es darum, ihn vor Rufschädigung zu bewahren.


Selbstporträt von Andy Warhol in der Fotografiska-Ausstellung, die noch bis zum 15. September 2024 zu sehen ist (Bild: Axel Krämer)

Erst achtzehn Jahre später, mit der posthumen Veröffentlichung der Andy-Warhol-Tagebücher durch dessen Vertraute und Mitarbeiterin Pat Hacket im Jahr 1989, erfuhr die Öffentlichkeit von Warhols langjährigen Liebesbeziehungen zu Männern. Weitere rund dreißig Jahre vergingen, bis der amerikanische Kunstkritiker Blake Gopnik im Jahr 2020 seine rund tausend Seiten umfassende Biografie "Warhol – Ein Leben als Kunst" herausbrachte. Darin stellt er Warhols Umgang mit seinem Schwulsein in einen gesellschaftlichen und zeitgeschichtlichen Zusammenhang. Zudem zeigt Gopnik detailliert und kenntnisreich auf, wie sich all das auf Warhols künstlerisches Schaffen auswirkte.

Ein wirkliches Coming-out hatte er nie

Kaum, dass eine der ersten großen Ausstellungen das Thema aufgriff, wurden auch schon Befürchtungen laut, Warhol könne von nun an auf sein Schwulsein reduziert werden. Als 2021 das Kölner Museum Ludwig in Zusammenarbeit mit der Londoner Tate Gallery die Schau "Andy Warhol Now" zeigte und dabei ausdrücklich Warhols Homosexualität unter die Lupe nahm, gab es Kritik an einer vermeintlichen identitätspolitischen Vereinnahmung und einem als "woke" getarnten "Queer-Washing": Warhol sei kein Aktivist gewesen, so hieß es; er habe sich nie für Schwulenrechte eingesetzt und sich kein einziges Mal zur Aids-Krise geäußert.


Querelle, 1982 Ⓒ 2024 The Andy-Warhol-Foundation for the Visual Arts

Letzteres ist nicht von der Hand zu weisen, und gewiss wäre es ein Fehler, Warhol posthum zu einem aktivistischen Künstler zu stilisieren. Gerade das Gegenteil ist der Fall: In seinem Schaffen hielt er der Gesellschaft zwar einen Spiegel vor, politische Parolen waren ihm jedoch fremd, und ein wirkliches Coming-out hatte er nie. Und dennoch wird bis heute verkannt, welch enormes emanzipatorisches Potenzial etwa ein Werk wie "Kiss" birgt. Warhols fünfzigminütiger Experimentalfilm entstand im Jahr 1963, also fünf Jahre vor Stonewall, und zeigt Küsse in allen denkbaren Konstellationen, darunter auch von gleichgeschlechtlichen Paaren. Der 16-mm-Film war nicht nur für die damalige Zeit ein Tabubruch – es würde auch heute noch in einigen Ländern und Regionen einen Proteststurm auslösen, vor allem dort, wo die Kenntnis von Warhols Werk auf Siebdrucke von Suppendosen, Blumen und Marilyn Monroe beschränkt ist.

Andy Warhols intime und weniger bekannte Seiten

Im Berliner Ausstellungshaus Fotografiska ist "Kiss" nun Teil der großen Schau "After the Party", die sich Andy Warhols intimen und weniger bekannten Seiten widmet. Gezeigt werden rund 150 Werke aus zwei großen Privatsammlungen, der James R. Hedges Collection in Los Angeles und der Jack Shainman Gallery in New York – allesamt Fotografien und Videos. Bei dieser Auswahl werden die queeren Aspekte sowohl von Warhols Privatleben als auch seiner Arbeit so offenkundig, dass es scheinbar keiner großen Erklärungen mehr bedarf. Zu sehen sind etwa Aufnahmen von Warhols Anwesen in Montauk, auf denen der befreundete Künstler Victor Hugo abgebildet ist, der auf einem Bild in Netzstrümpfen posiert, auf einem anderen in gebückter Haltung den nackten Hintern in die Kamera streckt. Andere zeigen Warhols große Liebe Jon Gould, der später an den Folgen von HIV verstarb. Die meisten dieser Aufnahmen waren wohl nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.


Eines der Bilder von Jon Gould in Montok

Ein anderer Schwerpunkt der Schau stellen männliche Aktfotografien aus den 1970er Jahren dar. Ein paar davon stammen aus einer Serie, bei der Warhol die Grenze zwischen Kunst und Pornografie auslotet – bekannt geworden unter dem Titel "Sex Parts and Torsos". Damit schuf er "Nahaufnahmen von Torsi, Gesäßen und Penissen, die er in seinen Tagebüchern als 'Landschaften' bezeichnete", heißt es im Ausstellungstext. "Indem er den männlichen Körper vom Sexobjekt zu einer Landschaft abstrahierte, löste er sich vom Realen und Körperlichen." Allerdings empfand Warhol selbst wohl etliche Abbildungen aus der Serie als so extrem, dass sie von vornherein für eine Veröffentlichung nicht in Frage kamen. Entstanden sind sie aus rein privatem Interesse, wobei Warhol niemals eines seiner Models berührt haben soll – das berichtet jedenfalls Gopnik in seiner Biografie. Im Text der Ausstellungstafeln ist davon nicht die Rede.

Porträts von trans Frauen und Dragqueens


Andy Warhol, Ladies and Gentlemen (Easha McCleary), ca. 1974 Ⓒ Courtesy of 2024 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. Licensed by Artist Rights Society ARS, New York

Teil der Fotografiska-Schau sind auch ein paar Polaroids aus der Serie "Ladies and Gentlemen" von 1975. Sie sind das Produkt einer Auftragsarbeit, für die 14 trans Frauen und Dragqueens aus den Nachtklubs des New Yorker Greenwich Village für umfangreiche Aufnahmen rekrutiert wurden – einige davon blieben anonym, andere wiederum zählten schon damals zu den Berühmtheiten der queeren Szene, wie etwa Marsha P. Johnson, die in der Berliner Ausstellung jedoch nicht zu sehen ist.

Eine Besonderheit von "After the Party" ergibt sich aus der Darkroom-Atmosphäre der spärlich beleuchteten Räume, passend zum Ambiente der ehemaligen Tacheles-Ruine. Spektakulär ist zudem die Ausstellungsarchitektur, bei der intime Fotos auf Wandgröße aufgezogen sind – eine Idee des Kurators Thomas Schäfer. Das jeweilige Motiv, unter anderem auch ein frappierend ehrliches und nur ein paar Monate vor Warhols Tod aufgenommenes Selbstporträt, kommt einem dabei äußerst nahe: Manche werden es möglicherweise als zu nah empfinden, andere nutzen es wiederum als Kulisse für ein Instagram-Selfie. Zweifellos ist das ästhetische Konzept von "After the Party" von bestechender Coolness. Im Vergleich zu vielen Warhol-Ausstellungen, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten zu sehen waren, kommt diese erfrischend unbefangen daher.

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Warhol-Schau auch in der Neuen Nationalgalerie

Wer durch die Fotografiska-Räume schlendert, könnte jedoch den Eindruck gewinnen, als hätte die gesellschaftliche Atmosphäre zu Warhols Lebzeiten keinen Anstoß geliefert, sich um schwules Begehren oder queere Identität Gedanken zu machen. Es scheint, als hätte es keinen Kampf um Akzeptanz gegeben, keinen Anlass zu äußeren oder inneren Konflikten. Das Thema Aids, das in Warhols letztem Lebensabschnitt eine entscheidende Rolle im kulturellen Leben New Yorks einnimmt, taucht im Ausstellungstext nicht auf. Vor allem letzteres ist bedauerlich, denn auch wenn Warhol die Aidskrise in seiner Arbeit nicht für alle offen sichtbar reflektiert, sind er und sein Umfeld auf dramatische Weise davon betroffen. Freunde und Kollegen sterben in großer Zahl, unter anderem sein Liebhaber Jon Gould und – kurz nach Warhols Tod – auch Keith Haring, für den er ein Freund und Mentor war. Dieses Kapitel queerer Geschichte, das von Hoffnungslosigkeit, Angst und Ausgrenzung begleitet war, gerät allzu schnell aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein.

Man darf gespannt sein, wie Klaus Biesenbach, Museumsdirektor und Kurator, das Thema in der Neuen Nationalgalerie angehen wird. Am 9. Juni eröffnet dort "Andy Warhol – Velvet Rage and Beauty". Auch in dieser Schau wird Warhols Homosexualität im Zentrum stehen. Eines steht dabei schon jetzt fest: Biesenbach wird mehr Licht hereinbringen. Das ist wortwörtlich gemeint, denn allein das lichtdurchflutete Obergeschoss im ikonischen Mies-van-der-Rohe-Gebäudes, für das die Ausstellung konzipiert ist, verspricht eine völlig andere Atmosphäre als das ehemalige Tacheles. Im besten Falle werden sich beide darüber hinaus durch ihre unterschiedliche Konzeptionen ergänzen.

-w-