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Als Queers und Bergleute gemeinsam kämpften

Queere Menschen, die sich für die Interessen von Minenarbeitern einsetzen? So geschah es im Großbritannien der 1980er Jahre. Arte erinnert mit einer neuen Doku an Mark Ashton, den Anführer jener Aktivist*innen.


Mark Ashton suchte in den 1980er Jahren Verbündete im Kampf gegen die Thatcher-Regierung (Bild: arte)
  • Von Michael Freckmann
    30. Mai 2024, 03:34h 6 Min.

"Sie graben nach Kohle, die Energie erzeugt. Deswegen können wir queeren Menschen bis um drei Uhr nachts tanzen!", sagte Mark Ashton auf die Frage, warum er und seine Freund*innen sich ausgerechnet für Minenarbeiter einsetzten. Aber waren Bergleute aus den ländlichen Räumen mit ihrem Männlichkeitsbild wirklich die natürlichen Verbündeten queerer Personen? Und waren viele queere Menschen nicht gerade aus diesen Milieus in die Großstädte geflohen? Doch der 24-jährige Mark Ashton ließ sich nicht beirren. Hiervon handelt die Arte-Doku "Mark Ashton: Gay People und Minenarbeiter in einem Kampf!", die noch bis zum 9. Juni 2024 kostenlos in der Arte-Mediathek gestreamt werden kann.

Als im Großbritannien der 1980er Jahre immer mehr Kohleminen geschlossen wurden und die konservative Thatcher-Regierung die Gewerkschaften kleinkriegen wollte, verloren viele der Miners nicht nur ihren Job. Es ging um Selbstwertgefühl, soziale Anerkennung und das Wissen, durch eigene Arbeit etwas aufgebaut zu haben. Besonders gegenüber den konservativen Eliten, dem Bürgertum und dem Adel. Und nun stellte sich ausgerechnet eine kleine Gruppe aus London, bestehend aus Menschen, die von all diesen gesellschaftlichen Gruppen seit je her daran gehindert wurden, akzeptiert zu werden, auf die Seite der Arbeiter?

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Gemeinsam gegen Regierung, Polizei und Medien

An ihrer Spitze stand Mark Ashton. Er arbeitete in der Londoner Bar "Conservative Club" am Bahnhof King's Cross, kam oft in Drag-Kleidung dorthin und bediente so seine Kundschaft. Als er seinen in Bangladesch arbeitenden Vater besuchte, war er über die Armut dort so geschockt, dass er anfing, sich in London politisch zu engagieren. Für Mieter*innenrechte, für nukleare Abrüstung und natürlich für die Rechte queerer Menschen. Schon 1984 war er auch in dem Dokumentarfilm "Framed Youth" zu sehen, in dem Menschen auf der Straße über ihre Ansichten zum Thema Homosexualität befragt wurden. Er zeigte Gesicht, was damals in diesem Zusammenhang ein echtes Wagnis war.

Als die Bergarbeiter-Streiks immer weiter zunahmen und die Regierung den Gewerkschaften finanzielle Mittel kürzte, kam Mark auf die Idee, für die Miners Geld zu sammeln. Denn Mark hatte erkannt, dass die Gegner von queeren Menschen und den Bergleuten dieselben waren: Die Polizei, die Regierung und große Teile der Presse. Mark wollte diese Unterstützung der Minenarbeiter aber nicht einfach als anonymer Bürger leisten, sondern als selbstbewusster schwuler Mann, der sich für andere stark machte.

"Es macht keinen Sinn zu sagen: Ich bin schwul und verteidige die schwule Community und alles andere ist mir egal", sagte Mark einmal, "es ist wichtig, alle Communities zu unterstützen". Vor der einzigen queeren Buchhandlung in England, "Gay's The Word", baten anfangs er und einer seiner Freunde um Spenden. Daraus entwickelte sich die Gruppe der "Lesbians and Gays Support the Miners" (LGSM).

Auch der Spielfilm "Pride" erzählt die Geschichte

Als sie dann eine gewisse Summe zusammen hatten, standen sie vor der Frage, wie sie das Geld zu den Kohlekumpeln bringen sollten. Also mieteten sie einen Minibus und fuhren die 300 Kilometer in Richtung Wales in den kleinen Ort Onllwyn. Die Geschichte dieses gemeinsamen Kampfes wird auch im Spielfilm "Pride" (Amazon-Affiliate-Link ) von 2014 erzählt. Dort begrüßt Mark die Leute mit: "Wenn einer von fünf Menschen queer ist, dann sind wir auch mindestens für einen von fünf Minenarbeitern willkommen." Aber natürlich gibt es auch in diesem Dorf Feindschaft und Ablehnung. Und wie so oft sind es einige Frauen vor Ort, die ihren verstockten Männern Toleranz beibringen.


Szene aus dem Spielfilm "Pride" (Bild: CBS Films)

Aber dabei blieb es nicht. Zurück in London organisierte Marks Gruppe das "Pits and Perverts"- Benefizkonzert für die Minenarbeiter. Bei dem Konzert mit dabei war auch Jimmy Somerville von "Bronski Beat", der mit Mark befreundet war. Und auch ein Vertreter der Kohlearbeiter kam und hielt eine kleine Ansprache auf der Bühne. Ein einzigartiger Culture-Clash.

Die Bergleute kamen zum Pride nach London

Spätestens an dieser Stelle dürften sich manche fragen, was denn nun die queeren Menschen von ihrem Einsatz für die Bergleute hatten? Welche "Gegenleistung" gab es denn nun dafür? Doch in dieser Kategorie dachten Mark und seine Gruppe nicht. "Gebracht" hat es auf den ersten Blick am Ende ohnehin wenig. Denn die Streiks wurden abgebrochen und die Thatcher-Regierung hatte gewonnen. Zuletzt setzte sich gar eine Mehrheit in dem walisischen Ort damit durch, weitere Hilfe der LGSM abzulehnen.

Trotzdem passierte ein Jahr später etwas bis dahin Undenkbares. Zur Londoner Pride-Demo rollten plötzlich Busse aus Wales an. Darin waren Minenarbeiter mit ihren Familien, ihren Trachten, Fahnen und Musikinstrumenten. Die nirgends weniger hinpassten, als ins urbane London auf den CSD. Und gerade deswegen dort genau richtig schienen, als sie am Ende sogar die Parade anführten. Die Arbeiter und ihre Familien revanchierten sich, ohne selbst davon noch etwas zu haben. Sie bedankten sich mit uneigennütziger Solidarität.

Dies alles spielte in einer Zeit, in der nicht nur die Arbeiter*innen-Bewegung am Boden lag. Auch die Euphorie der politischen Schwulen- und Lesbenbewegung der 1970er Jahre war mancherorts verflogen. Ein Organisator des London Pride von 1985 sagte Mark und seiner Gruppe, die Zeit der politischen Parolen sei vorbei, man wollte jetzt stattdessen feiern. Marks Gruppe ging es hingegen um eine Solidarität, die sich auch für andere Personen einsetzte, wenn sie nicht direkt zur eigenen Gruppe gehörten. Wie es auch der eine Minenarbeiter bei dem "Pits and Perverts"-Benefizkonzert in den Saal rief: "Sieg den Minenarbeitern, den Lesben und Schwulen, den Alten, den Jungen, Kranken und Außenseitern!"

Das grenzüberschreitende Handeln sollte neue Räume öffnen, weil unterschiedliche Kräfte ihre Energien bündelten. Es sollten Koalitionen entstehen, mit denen die Gegner*innen nicht rechnen. Letztlich hatte der Einsatz der queeren Gruppe für die Miners noch eine weitere positive Folge. Da die Gewerkschaft der Bergleute innerhalb der Labour-Party eine wichtige Akteurin war, gab sie den Ausschlag dafür, dass Labour 1985 auf ihrem Parteitag erstmals einen Antrag für mehr Rechte für queere Menschen annahm.

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Ashton starb 1987 an den Folgen von Aids

Die Arte-Doku "Mark Ashton: Gay People und Minenarbeiter in einem Kampf!" zeigt ein schönes Panorama dieser Zeit und fächert auch Marks Leben etwas weiter auf, das sonst doch meistens – wenn überhaupt erinnert – auf die Unterstützung der Bergarbeiter reduziert wird. Wenngleich auch die Doku mit 27 Minuten wirklich sehr kompakt geraten ist. Wem das nicht reicht, kann sich aber auch noch den Spielfilm "Pride" ansehen. Dessen Fokus liegt zwar nur auf dem Kampf für die Minenarbeiter, doch im Film sieht man sehr gut, wie im zwischenmenschlichen Miteinander Vorurteile abgebaut werden.

Mark Ashton begann sich nach seiner Arbeit für die Bergleute für die Londoner Druckereiarbeiter einzusetzen. Doch dann erkrankte er an Aids. Noch drei Tage vor seiner Krankenhauseinweisung war er als Streikposten eingeteilt, starb aber bereits zwölf Tage später im Alter von 26 Jahren. Für queere Menschen wurde es in England dann auch erstmal nicht besser. 1988 führte die Thatcher-Regierung die sogenannte "Section 28" ein. Damit wurde kommunalen Einrichtungen, darunter auch Schulen, vorgeschrieben, nicht mehr positiv über Homosexualität sprechen zu dürfen. Das Gesetz blieb immerhin bis 2003 in Kraft. Wie wohl Marks Protest dagegen ausgesehen hätte?

Und heute, 40 Jahre später? Wofür er wohl heute, im Alter von 64 Jahren – wahrscheinlich wieder mit anderen, aber vor allem auch für andere – protestieren und sich engagieren würde?

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