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Interview
Wird Kai Wegner vom CSD Berlin ausgeladen?
Der Berliner CSD e.V. hat seine diesjährigen Forderungen veröffentlicht – und droht dem Regierenden Bürgermeister mit einem Redeverbot. Acht Fragen an Thomas Hoffmann, Leiter politische Kampagne und Nachhaltigkeit.

Den Colliergriff kann er schon ganz gut: Berlins Regierender Bürgermeister und CDU-Chef Kai Wegner (l.) beim Berliner CSD 2023 (Bild: IMAGO / NurPhoto)
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31. Mai 2024, 12:35h 6 Min.
Beim Berliner CSD im vergangenen Jahr hielt der Regierende Bürgermeister Kai Wegner die Eröffnungsrede. Dieses Jahr droht ihr mit einem Sprechverbot für den CDU-Politiker. Was ist passiert?
Wie oft ist es in den vergangenen Jahren schon vorgekommen, dass sich Politiker*innen ins Scheinwerferlicht des Berliner CSD gestellt haben, sich solidarisch mit der Community zeigten und versprachen, sich für den Schutz und die Rechte unserer Community einzusetzen – nur passiert ist am Ende wieder nichts? Auch im letzten Jahr haben wir das erlebt: Kai Wegner hat versprochen, sich für die Aufnahme von queeren Menschen ins Grundgesetz stark zu machen (das ist übrigens auch in diesem Jahr wieder eine unserer wichtigsten Forderungen). Seitdem haben wir dazu leider nichts mehr gehört. Das wollen wir kein zweites Jahr in Folge erleben. Daher knüpfen wir die Vergabe der Eröffnungsrede beim Berliner CSD in diesem Jahr an die Bedingung, dass den warmen Worten auch mindestens genauso warme Taten folgen.
Was erwartet ihr konkret von der schwarz-roten Landesregierung?
Natürlich wissen wir, dass es der Landesregierung nicht gelingen kann, den sehr wichtigen aber auch umfangreichen Forderungskatalog des Berliner CSD e.V. innerhalb eines Jahres umzusetzen. Wir haben daher zusammen mit dem basisdemokratischen CSD-Forum sechs Kernforderungen vereinbart, die unserer Community in diesem Jahr besonders wichtig sind. Was wir von Kai Wegner und seiner Regierung erwarten, ist ein konkreter und verbindlicher Plan, wie uns die Landesregierung bei der Umsetzung unserer sechs Kernforderungen unterstützen wird. In Anbetracht der gesellschaftlichen Lage ist das doch nicht zu viel verlangt, oder?
1) Bundesrats- und Kommunikationsinitiative des regierenden Bürgermeisters zur Aufnahme queerer Menschen ins Grundgesetz
2) Gezielte Maßnahmen und Prävention gegen Hasskriminalität, sowie eine ausreichende Finanzierung dieser
3) Verpflichtende Schulungen des Lehrpersonals zu geschlechtlicher und sexueller Diversität
4) Diskriminierungsfreie Räumlichkeiten, bessere Hallenzeiten und sichere Zugänge zu Sportstätten in Berlin
5) Queere Sichtbarkeit in gesamter Vielfalt in den Medien – Wir fordern 15 % queere Medienförderung
6) Gemeinsame Debatte mit der Landesregierung über Mehrelternschaften
Zu den sechs Kernforderungen gehören gezielte Maßnahmen gegen Hasskriminalität. Was heißt das konkret? Mehr Polizei auf den Straßen, mehr Videoüberwachung?
Das Thema Hasskriminalität bewegt die Community gerade in besonderem Maße: Einige trans* Menschen trauen sich im Dunkeln nicht mehr auf die Straße, queere Paare werden mit Glasflaschen beworfen. Das ist sehr besorgniserregend. Aktuell entwickelt der "Runde Tisch gegen queerfeindliche Hasskriminalität" mit vielen Beteiligten Maßnahmen dagegen. Welche das sind, entscheiden Expert*innen, und wir warten die Ergebnisse ab. Den Runden Tisch und auch das Engagement des Queerbeauftragten der Berliner Landesregierung, Alfonso Pantisano, in dieser Sache begrüßen wir ausdrücklich! Was wir aber kritisieren ist, dass der Prozess bis Ende 2025 andauern soll und erst danach die Umsetzung der dabei entwickelten Maßnahmen erfolgen könnte. Das dauert uns viel zu lang! Und auch eine Finanzierung gibt es für das Ganze noch nicht. Wir fordern, dass entwickelte Maßnahmen schnell und schon während des Prozesses in die Umsetzung kommen sowie ausreichend finanziert werden. Darüber hinaus erwarten wir, dass auch die Entwicklung von Präventionskonzepten durch mehr Aufklärung und Bildung in diesen Prozess integriert wird.

Die Fragen von queer.de hat Thomas Hoffmann beantwortet, Leiter politische Kampagne und Nachhaltigkeit beim Berliner CSD (Bild: privat)
Im Bereich der Bildungspolitik fordert ihr "verpflichtende Schulungen des Lehrpersonals zu geschlechtlicher und sexueller Diversität". Ist Berlin in diesem Bereich nicht schon vorbildlich?
Auf dem Papier vielleicht. Es mag sein, dass das Angebot an solchen Schulungen und auch die Tatsache, dass es an jeder staatlichen Schule in Berlin eine Kontaktperson für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt gibt, vorbildlich ist. Die Angebote sind aber am Ende nicht mehr als ein zahnloser Tiger, wenn sie nicht wahrgenommen werden. Wir fordern daher, dass entsprechende Schulungen verpflichtend sind und die angemessene Umsetzung der Inklusion von geschlechtlicher und sexueller Diversität in den Lehrplänen auch durchgesetzt wird.
Wie kann eine "diskriminierungsfreie und sichere Sport-Infrastruktur für queere Menschen in Berlin" aussehen? Was muss dafür getan werden?
Queere Menschen haben im Sportunterricht oder klassischen Sportvereinen oft Ausgrenzung erlebt. Gut, wenn sie wieder eine sportliche Heimat in Berlin finden: Queere Sportvereine können hier diskriminierungsfreie Orte sein. Rund 3.000 Mitglieder sind in queeren Sportvereinen organisiert. Wenn wir von sicherer Sport-Infrastruktur sprechen, dann geht es aber schon bei den Hallenzeiten und der Anreise los: Viele Vereine und Sportgruppen müssen aufgrund der viel zu geringen Hallenkapazität auf sehr späte Zeiten ausweichen. Gerade für besonders vulnerable Gruppen wie trans* Menschen kann das ein echtes Sicherheitsrisiko darstellen, insbesondere, wenn dann auch noch eine schlechte Beleuchtung der Wege hinzukommt. Hier sollte bei der Vergabe der Hallenzeiten den besonderen Sicherheitsbedürfnissen marginalisierter Gruppen Rechnung getragen und eine sichere Infrastruktur auch bei der An- und Abreise gewährleistet werden. Zusätzlich brauchen wir diskriminierungsfreie Räumlichkeiten wie All-Gender-Umkleidekabinen, sanitäre Anlagen und Beschriftungen. Wir erwarten von der zuständigen Senatsverwaltung, hierzu schnellstmöglich Empfehlungen für die Berliner Bezirke zu erarbeiten und auf die anschließende Umsetzung hinzuwirken.
Ihr wollt eine "gemeinsame Debatte mit der Landesregierung über Mehrelternschaften" führen? Wäre da nicht eher die Bundesregierung die richtige Ansprechpartnerin?
Stellt euch vor, euer Kind hat einen schweren Unfall und ihr dürft es nicht im Krankenhaus besuchen, weil eure Elternschaft nicht anerkannt ist – das ist eine Situation, die wir niemandem wünschen. Nach einem aktuellen Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom April 2024 steht dem Gesetzgeber die Einführung bzw. Anerkennung von Mehrelternschaften mit bis zu vier Elternteilen offen. Das ist ein wichtiges Momentum, das wir nutzen wollen. Zwar ist es richtig, dass wir hier von einer bundespolitischen Maßnahme sprechen. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass die Berliner Landesregierung auch einen signifikanten Einfluss auf die Bundespolitik hat – zum Beispiel über ihre Parteien oder den Bundesrat. Wir wollen daher gemeinsam mit der Landesregierung darüber ins Gespräch kommen, wie wir diese für viele Eltern sehr wichtige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nutzen können.
Ihr fordert in den sechs Kernforderungen auch "15 % queere Medienförderung". Könnt ihr das näher erläutern?
Das können wir! Rollenbilder haben in Film und Fernsehen einen starken Einfluss auf die Zuschauenden – egal ob jung oder alt. Das kennt ihr bestimmt noch aus eurer eigenen Jugend. Uns ist es daher wichtig, dass in den Medien die gesamte Vielfalt der queeren Lebensrealitäten sichtbar ist. Insbesondere marginalisierte und weniger sichtbare Gruppen wie zum Beispiel trans* und bi+sexuelle Menschen sollten präsenter werden. Denken wir beispielweise an bi+sexuelle Menschen: Obwohl diese rund 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen, sind sie in den Medien stark unterrepräsentiert. Wir fordern das Land Berlin daher auf, dass mindestens 15 Prozent aller vom Land geförderten Filmprojekte die gesamte Vielfalt der queeren Community abbilden.
Die Mehrheit der Kernforderungen beziehen sich auf die Berliner Landespolitik. Hat der Hauptstadt-CSD keinen bundespolitischen Anspruch?
Als Berliner CSD e.V. konzentrieren wir uns mit unseren Forderungen in diesem Jahr auf die Berliner Landespolitik – denn hier sind die Wege kurz, hier bestehen gute Kontakte und hier können wir unseren Einfluss optimal nutzen. Das heißt aber keinesfalls, dass wir nicht auch auf bundespolitischer Ebene wichtige Verbesserungen für unsere Community erzielen wollen – die Aufnahme queerer Menschen in das Grundgesetz und Mehrelternschaften sind nur einige Beispiele. Im nächsten Jahr werden wir aber tatsächlich einen weiteren Fokus setzen: Pünktlich vor der Bundestagswahl, die im Herbst 2025 stattfindet, wollen wir uns mit den anderen großen CSDs in Deutschland und dem CSD Deutschland e.V. zusammenschließen und gemeinsam bundespolitisch auftreten. Wir können noch nicht viel verraten, aber ihr könnt gespannt sein. Dabei zählen wir natürlich auch auf eure Unterstützung – sowohl in diesem als auch im nächsten Jahr.

Das Interview erscheint im Rahmen der Medienpartnerschaft zwischen queer.de und dem Berliner CSD e.V.
Links zum Thema:
» Homepage des Berliner CSD e.V.
Mehr zum Thema:
» Folgeartikel: Queerbeauftragter wirft CSD Berlin Erpressung vor (31.05.2024)














