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Der Chaos-Tag im Leben von trans Latino Feña
Selten hat ein Film den Alltag einer trans Person so vielschichtig, authentisch und aufrichtig dargestellt wie "Mutt". In diesem Monat ist das Drama von Vuk Lungulov-Klotz in der Queerfilmnacht zu sehen.

"Mutt" erzählt von einem Tag im Leben des jungen trans Manns Feña in New York (Bild: Salzgeber)
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8. Juni 2024, 02:51h 4 Min.
Die pubertierende Halbschwester taucht plötzlich auf, dem Ex-Freund begegnet er und der Vater aus Chile kommt zu Besuch: Für den jungen trans Mann Feña wird dieser Sommertag zur reinen Tortur. "Mutt" ist ein aufrichtiger Independent-Film über Struggle und Glücksmomente.
Waschsalons scheinen rund um die Uhr offen zu haben. In New York zumindest. Wie praktisch für Feña und John, denn so finden die beiden einen Unterschlupf. Ein Regenschauer hat sie überrascht, klatschnass betreten sie den Laden.
Feña zittert, und John zaubert für ihn ein Hemd aus seinem Rucksack. Was romantisch klingt – und aussieht -, ist doch etwas anders. Denn die beiden Ex-Partner haben sich gerade zum ersten Mal seit eineinhalb Jahren getroffen. Feña hat sich bei John entschuldigt. Der kennt Feña noch als seine Freundin. Jetzt gibt er ihm also sein Hemd.
Feña und sein Ex kommen sich wieder näher
Feña zögert, John soll nicht zuschauen. Der ist irritiert – er kennt ihn doch nackt. Aber eben nur vor dessen Mastektomie, also der Angleichung der Brust. John dreht sich um, doch Feñas Körper mit der Narbe spiegelt sich im Bullauge der Waschmaschine. John ist neugierig – und wendet sich wieder Feña zu. Der ist überrumpelt, zieht schnell das Hemd an und schnauzt ihn an.
Was sich dann entwickelt, ist ein ganz besonders intimer Moment. John würde die Brust seines Ex-Freundes gern sehen. Der willigt zaghaft ein. Was voyeuristisch werden könnte, ist ganz aufrichtig und ehrlich. John stellt Fragen, ist wirklich interessiert. Es ist ein vorsichtiges Herantasten – auf beiden Seiten.
Drei Begegnungen in 24 Stunden
Doch John ist nicht die einzige Überraschungsbegegnung des Tages. "Mutt", der erste Spielfilm von Regisseur Vuk Lungulov-Klotz, erzählt etwa 24 Stunden im Leben des jungen trans Latinos Feña. Die beginnen abends in einer Bar – wo er den Ex John trifft – und gehen bis zum nächsten Abend, als er seinen chilenischen Vater vom Flughafen abgeholt hat.
Dazwischen steht auch noch seine pubertäre Halbschwester unerwartet bei ihm auf der Arbeit. Die schwänzt die Schule und will lieber mit Feña abhängen als mit der Mutter, zu der Feña keinen Kontakt mehr hat.
Feña, einer der wenigen unisex Namen in Chile
"Mutt" hat dabei den Charme eines Erstlingsfilms, der nicht perfekt durchchoreographiert ist. Die Dramaturgie folgt keiner klassischen Struktur: Statt einem Höhepunkt, nach dessen Auflösung die Handlung schnell vorbei ist, hat das Drama mehrere unterschiedlich starke Ausschläge – die aber nicht auf die drei Begegnungen reduziert sind.
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Regisseur Vuk Lungulov-Klotz, selbst ein trans Mann chilenisch-serbischer Abstammung, hat "Mutt" auch geschrieben und co-produziert. Sein Film überzeugt vor allem durch wahnsinnig authentische Dialoge. Alleine durch sie erhält Feña – einer der wenigen unisex Vornamen in Chile, wie er erklärt – einen nuancierten Charakter, der klar macht: Auch Feña ist ein Mensch mit Ecken und Kanten.
Nicht nur Struggle, sondern auch Glücksmomente
Zu all dem Chaos mit den spontanen und emotional überfordernden Überraschungsgästen kommt auch noch Feñas ganz normaler Alltagsstress: Da ist ein Scheck nicht auf seinen richtigen Namen ausgestellt und kann nicht eingelöst werden. Aber da kommt es auch zu einer besonders charmanten Begegnung in einer Apotheke, in der er sich als schwuler bester Freund ausgibt – und viel Spaß dabei hat. Denn natürlich erlebt Feña auch Glücksmomente.
Das alles fängt Kameramann Matthew Pothier in einem engen 4:3-Format ein. Weil "Mutt" zu größeren Teilen nachts spielt, ist es dazu fast immer dunkel oder schummrig. So entsteht ein Noir-Look, dem gekonnt eingefangenes Gegenlicht ein sehr ästhetisches Feeling verleiht.
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"Mutt" ist eine echte Ausnahmeerscheinung
Feña, die erste Rolle von Lío Mehiel, hat den ganzen Film über nicht nur Zeit- sondern auch emotionalen Stress. Was die drei Begegnungen eint: Zu seinem Ex, zur Halb-Schwester und zum Vater hat sich die Beziehung seit der Transition verändert, sie muss neu austariert werden, sich erst noch finden. Dabei beweist sich Feña überhaupt nicht als "Mutt", also als Dummkopf, sondern als höchst menschlich: manchmal überfordert, manchmal voreilig.
Und trotz starken, emotionalen, auch aufwühlenden Szenen ist der Film nicht rührig. Er ist stellenweise angenehm melodramatisch, aber oft auch lustig. Selten hat ein Film den Alltag einer trans Person so vielschichtig, authentisch und aufrichtig dargestellt. "Mutt" ist eine echte Ausnahmeerscheinung.
Mutt. Drama. USA 2023. Regie: Vuk Lungulov-Klotz. Cast: Lío Mehiel, Cole Doman, Alejandro Goic, Chase Owens, Jari Jones, MiMi Ryder. Laufzeit: 87 Minuten. Sprache: englisch-spanische Originalfassung mit deutschen Untertiteln. FSK 12. Verleih: Salzgeber. Im Juni 2024 in der Queerfilmnacht
Links zum Thema:
» Alle Kinotermine auf der Homepage der Queerfilmnacht
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