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Autobiografie

Die größte Lüge der Georgine Kellermann

Das Buch "Georgine – Der lange Weg zu mir selbst" der trans Journalistin Georgine Kellermann zeigt, wie wichtig es ist, sich selbst anzuerkennen. Leider wirkt es auch wie eine Rechtfertigung, sich jahrzehntelang für die Karriere und gegen die Wahrheit entschieden zu haben.


Georgine Kellermann am 28. Mai 2024 auf der "re:publica"-Konferenz in Berlin (Bild: Kritzolina / wikipedia)

Georgine Kellermann, wohl eine der bekanntesten trans Frauen in der Bundesrepublik, hat ihre Lebenserinnerungen im Ullstein Verlag veröffentlicht. Sie gewährt uns Einblicke in ihr Leben, das sie als einen langen Weg zu sich selbst beschreibt. Dass sie trans ist, wusste sie eigentlich schon früh, ohne es allerdings benennen zu können. Erst mit sechzig Jahren beginnt sie zu leben, was sie schon lange wusste und tritt in die Öffentlichkeit als trans Frau. Glückwünsche kommen daraufhin von überall her, dazu viel Anerkennung. Eine Welle der Sympathie trägt Georgine förmlich in ihr neues Leben hinein.

Die Biografie "Georgine – Der lange Weg zu mir selbst" zeigt wieder einmal, wie wichtig es ist, sich selbst anzuerkennen. Aber dieser erste und wichtigste Schritt kennt offenbar zu viele Widerstände und Ängste. Im Fall von Georgine Kellermann gab es an einem gewissen Punkt in ihrem Leben eine Entweder-oder-Grundsatzentscheidung, nämlich entweder journalistische Karriere oder trans sein. Beides bringt sie nicht zusammen und versucht es erst gar nicht.

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Die Karriere war wichtiger als das richtige Leben


"Georgine – Der lange Weg zu mir selbst" ist Ende Mai 2024 im Ullstein Verlag erschienen

Ich gestehe eine gewisse Irritation darüber, dass die Karriere wichtiger war als das richtige Leben. Denn als sie dort mit großer Verspätung endlich angekommen ist, beschreibt sie uns das als euphorischen Dauerzustand. Dennoch entschied sie sich für die Karriere, die nun den größten Teil ihres Lebens prägt und der auch im Buch breiten Raum einnimmt, während Georgine in der Erinnerung immer nur als die verleugnete Fremde auftritt.

Bezeichnend, dass diese Georgine sprachlich über weite Strecken stets in der dritten Person genannt wird, als sei sie nicht wirklich das eigentliche, wahre Ich. Derweil liefert jener Georg Kellermann Reportagen aus allen Ecken der Welt, was mit vernehmlichem Stolz ausführlich (nach meinem Empfinden zu ausführlich) beschrieben wird. Als ginge es auch um eine Rechtfertigung, sich für den beruflichen Erfolg und gegen die Wahrheit entschieden zu haben.

Offenbar, so meine Vermutung, war es ihr wert, für die Karriere das richtige Leben als trans Frau zu opfern. Sie macht aber auch die gesellschaftlichen Zwänge für ihre Mutlosigkeit verantwortlich. Klar, für das Trans-Sein bekommen wir keine nette Einladung mit einem "Herzlich Willkommen". Das ist auch heute noch so, auch wenn sich manches zum Positiven geändert hat. Trotzdem, Grenzen kann man überschreiten.

"Damals war ich ein Schauspieler"

Geboren wurde sie 1957 in Ratingen, wo sie aufwächst, zur Schule geht und erste journalistische Erfahrungen bei der "Rheinischen Post" sammelt. Bereits als Jugendliche bedient sie sich im Kleiderschrank der Mutter (der klassische Missgriff) und wird irgendwann dabei ertappt. Das Peinliche dieser Situation prägt sich ein. Ob sie deshalb in der Folgezeit so sehr die Männlichkeit betont und sogar noch freiwillig zur Bundeswehr will? Wobei sie bekennt: "Mir ist heute völlig schleierhaft, warum."

Aus heutiger Sicht weiß sie: "Damals war ich ein Schauspieler. Ich spielte Georg, es war die Rolle meines Lebens." Aber auch: "Georg, das war die Hülle, die Georgine versteckte." Und: "Georg ist die größte Lüge, die ich mir im Leben leistete." Unglaublich, wie das über Jahrzehnte funktionierte. Denn nebenher wurde Frauenkleidung angeschafft, wie Georgine im Buch verrät, aber immer Undercover. Immer ist die Angst dabei, entdeckt zu werden.

Sie benutzt gerne die Umschreibung in der "falschen Hülle" oder in der "falschen Verpackung" leben. Doch der Körper lässt sich um verpacken und dazu in aller Öffentlichkeit, wie sie schließlich doch noch herausfand, und dafür brauchte es auch keine geschlechts­angleichende Operation. Sie nennt sich selbst transgender.

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Ein Dankeschön an Alice Schwarzer

Bei einem Satz musste ich jedoch zweimal hinschauen, ob ich wirklich richtig gelesen habe und habe es dann noch immer nicht glauben wollen: "Alice Schwarzer hat unendlich viel für Menschen wie mich getan." Wie bitte? Unendlich viel getan? Das würde ich mir gerne bei nächster Gelegenheit von Georgine erklären lassen. Bei Schwarzer waren wir nie etwas anderes als bemitleidenswerte arme kranke Menschen. Und heute lässt sie und ihre "Emma" keine Gelegenheit aus, uns zu schaden.

Seit ihrem Coming-out engagiert sich Georgine für die Community in der Öffentlichkeit, auch wenn sie meint, sie habe kein Talent für Aktivismus. Als Promi kann sie Vorbild sein, sie erreicht mit ihren Auftritten viele Menschen. Denn bei allem, was sich in letzter Zeit positiv für trans Menschen geändert hat, bleiben die Bedrohungen durch Hass und Gewalt bestehen. Wenn sie von ihren Besuchen bei Schulklassen, auf dem CSD oder dem Dyke March erzählt, blüht sie jedes Mal förmlich auf.

Berührend ihr Besuch im Berliner Gründerzeit-Museum auf den Spuren von Charlotte von Mahlsdorf. Georgine beschreibt, wie sie vor einem großen Spiegel steht und sich darin betrachtet. Für trans Menschen ist der Spiegel immer zwiespältig, denn bevor wir darin unser wahres Ich sehen, sehen wir vorher, was wir nicht sind und nicht sein wollen.

Ich sehe eine Frau.
Eine glückliche Frau.
Ihre Augen strahlen mich an.
Ich sehe mich.
Wie ich wirklich bin.

Infos zum Buch

Georgine Kellermann: Georgine – Der lange Weg zu mir selbst. Meine Befreiung als trans Frau nach über 60 Jahren. 288 Seiten. Ullstein Verlag. Berlin 2024. Hardcover: 22,99 € (ISBN 978-3-550-20239-1). E-Book:18,99 €

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