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Kommentar

Sie lassen uns einfach nicht in Ruhe

Kaum ein Tag vergeht ohne dumme oder diffamierende Berichte über trans Menschen in den Medien. Wenn, wie nun aktuell geschehen, transfeindliche Attacken unter der Fahne der Wissenschaftlichkeit geführt werden, ist wirklich Gefahr in Verzug.


Symbolbild: Verliebtes trans Paar im Park (Bild: Zackary Drucker / The Gender Spectrum Collection)

Nein, nicht schon wieder das trans Thema. Aber wer fängt denn damit immer wieder an? Dauernd stolpere ich über Kommentare, in denen über Menschen wie mich geurteilt wird, Kommentare, die alles verdrehen und über Halbwahrheiten nicht hinauskommen. Gewiss, Dummheit und Arroganz waren sich schon immer treue Schwestern und machen das Trans-Sein zum permanenten Verteidigungsfall.

Sie lassen uns einfach nicht in Ruhe. Kaum ein Tag, an dem uns nicht eine Polizeimeldung erreicht, in der von transphober Gewalt die Rede ist, an dem wir nicht Hass in den Medien erfahren, weil wir beispielsweise und ganz aktuell als Sündenbock für den Rechtsruck in der Bundesrepublik verantwortlich gemacht werden. Es ist wie ein Zwang, trans Menschen als Bedrohung zu verteufeln. Keine Diffamierung ist zu schäbig, um nicht vorgebracht zu werden. Perfide, wenn das als Meinungsfreiheit gerechtfertigt wird.

Es sind immer wieder die üblichen Verdächtigen, die lautstark gegen trans Menschen Front machen und dabei so tun, als ginge es um ihre Selbstverteidigung, um mal eben die Realität komplett zu verdrehen. Als wären es nicht wir, denen man die Nase blutig schlägt. Ich kann es nicht anders als zwanghaft nennen, wenn uns TERFs & Co. am liebsten in die Psychiatrie abschieben würde, weil wir nach ihrer Ansicht die größte Gefahr für Frauen in diesem Land darstellen, und hören dann gleichzeitig in den Nachrichten, dass die häusliche Gewalt weiter angestiegen ist. Uns wird Realitätsverweigerung vorgeworfen, aber eben von Menschen, die vor lauter Transphobie schon längst jegliche Verbindung mit der Wirklichkeit verloren haben.

Nirgendwo auch nur eine Spur menschlichen Anstands, dafür kübelweise Häme. Am beliebtesten ist die Biologiekeule, mit der sie uns einbläuen wollen, uns trans Menschen gibt es nicht. Als ob nicht gerade wir in Fragen der Geschlechtlichkeit ein besonderes Mitspracherecht besitzen. Aber das setzte bei der Anti-Trans-Liga wenigstens Erkenntnisinteresse voraus, ganz abgesehen von einem Minimum an Respekt. Die fassen sich lieber zwischen die Beine und halten das als die einzige Wahrheit in Sachen Geschlecht.

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Die Schein-Seriosität von NZZ und IQN

Eigentlich tut man jenen viel zu viel Ehre an, auf ihr Geschwurbel antworten zu wollen. Denn weder sind sie in der Lage, über die Genitalien hinaus zu denken, noch geht es ihnen wirklich um ein Gespräch. Die Kommunikationsfähigkeit tendiert gegen Null. Wenn dann allerdings, wie aktuell geschehen, transfeindliche Attacken unter der Fahne der Wissenschaftlichkeit geführt werden, ist Gefahr in Verzug. Vor allem, wenn wir es mit so offenkundiger Schein-Seriosität zu tun haben wie im Fall zweier Artikel.

Der eine erschien in der "Neuen Zürcher Zeitung" (NZZ), verfasst von Judith Blage, der andere auf der Webseite der Initiative Queer Nations (IQN) von einem anonym bleibenden Autor, der dort als Philosoph vorgestellt wird. IQN kann es nicht lassen und haut mit schöner Regelmäßigkeit in die immergleiche transfeindliche Kerbe. Und versteht sich dabei, man glaubt es nicht, als queer und diskursoffen. Wenn das queer ist, möchte ich wirklich nie queer sein. Als Haltung ist das einfach nur schauderös, wie der gute alte Theodor Fontane gesagt hätte.

Jetzt also ist es ein Philosoph, der eine Antwort auf die Frage "Warum die Gender-Aktivisten falsch liegen" versucht und kläglich scheitert. Er ist natürlich (und dieses Wort hat hier seine volle Berechtigung) ein Fan der Biologin Marie-Luise Vollbrecht und unterstellt Gender-Aktivisten [sic] "völlige Ahnungslosigkeit in wissenschaftlicher Methodologie" und dazu "ein pathologisches Verhalten", welches durch eine "toxische Schuldumkehr" gekennzeichnet sei. Der Mann spricht, wie mir scheint, von sich selbst und kann Natur von Natürlichkeit nicht unterscheiden. Natürlich wird die Natur erst durch die Kultur, eine alte kulturwissenschaftliche Regel.

Der "naturalistische Fehlschluss" wurde zum Eigentor

Gut, seien wir nicht kleinlich, vielleicht hat er nicht die richtige Literatur gelesen und kennt deshalb nicht den Unterschied. Wie wäre es für den Anfang mit einem kleinen Essay von Lorraine Daston "Gegen die Natur"? Die fehlenden Basics hindern ihn freilich nicht, im nächsten Atemzug, den britischen Aufklärer David Hume aus dem 18. Jahrhundert als Fürsprecher aufzurufen, der auf den "naturalistischen Fehlschluss" kam. Was ist damit gemeint? Ganz einfach, man dürfe nicht von beobachteten Fakten auf moralische Normen schließen.


IQN-Gastautor "Der Theoretiker" beruft sich auf David Humes, der im 18. Jahrhundert lebte (Bild: Grégory ROOSE / Pixabay)

Nur übersieht Herr Anonymous auf IQN, dass unsere Kultur genau das mit dem bipolaren Geschlechtskonzept tut, um daraus eine natürliche Heteronormativität abzuleiten. Und dass es im Fall von trans nicht um Moral, sondern schlicht um das Existenzrecht geht. Außerdem kennt er wohl außer der reproduktiven Biologie kein anderes biologisches Wissen. Da möchte ich ihm gerne den Biologen Milton Diamond ans Herz legen. Der kennt nicht nur Genitalien und Keimdrüsen, sondern auch unser Gehirn mit dem Leitsatz: "Das wichtigste Sexualorgan des Menschen sitzt zwischen den Ohren und nicht zwischen den Beinen." Auf jeden Fall wurde David Humes naturalistischer Fehlschluss für Herrn Anonymous zum Eigentor. Ein wenig Ethik gehört trotzdem dazu: Dass für trans Menschen ebenfalls die Menschenrechte gelten, kann ja wohl kein Fehlschluss sein.

Es war nicht unklug, anonym zu bleiben

Um auf Lorraine Daston zurückzukommen. Sie fragt nämlich, weshalb die Menschen "so hartnäckig die Natur als Quelle der Normen menschlichen Verhaltens" betrachten. Und weil wir es beim IQN-Text angeblich mit einem Philosophen zu tun haben, hätte ich noch eine weitere Lektüreempfehlung, nämlich die großartige Seyla Benhabib, die in diesem Jahr den Theodor-W.-Adorno-Preis erhalten wird. In der Sammlung von Gender Studies mit dem Titel "Selbst im Kontext" heißt es:

Das traditionelle Vernunftdenken westlicher Prägung hält sich selbst für den Diskurs des Einen, selbstidentischen Subjekts und macht uns auf diese Weise blind für alles Abweichende und Andersartige; es spricht allem, was nicht in seine Kategorie passt, die Daseinsberechtigung ab.

Nennen wir es Eigentor oder intellektuellen Schiffbruch, so gesehen war es zumindest nicht unklug, anonym zu bleiben. Es besteht keineswegs eine Pflicht, zu allem eine Meinung zu haben, und schon gar nicht, wenn man zu feige ist, dafür mit seinem Namen einzustehen. Frech dagegen die Erklärung der Redaktion: "Er hat seiner Familie versprochen, so lange anonym zu bleiben, wie die Transdebatte derart toxisch ist." Ich würde sagen, so setzt er wenigstens seine Karriere als Wissenschaftler nicht aufs Spiel.

Wissenschaftsjournalismus aus dem Barbie-Shop

Aber wer rührt denn bloß dauernd das viele Gift in die Debatte? Zum Beispiel jüngst Judith Blage, ihres Zeichens Wissenschaftsjournalistin bei der "Neuen Zürcher Zeitung". Für sie ist Geschlechtsidentität ein Reizwort und kommentiert in diesem Zusammenhang, was sie identitätspolitischen Zeitgeist nennt.


Absurde NZZ-Überschrift: Was hat das eine mit dem anderen zu tun?

Doch schnell wird klar, das ist Wissenschaftsjournalismus aus dem Barbie-Shop, nämlich fern der Realität und in seinen Behauptungen so knallig und unecht wie das Barbie-Rosa. Mag dort zwar alles hübsch aufgeräumt sein, so erleben wir in dem Artikel genau das Gegenteil – Verwirrung und Falschbehauptungen: "Wenn ein Junge proklamiert, er sei schon immer ein Mädchen gewesen, dann sollte das nicht hinterfragt werden." Wo geschieht so etwas?

Es reicht nicht aus, im Internet ein paar Kuriositäten herauszupicken, mit schlecht recherchierten Fakten und Halbwahrheiten zu vermischen, um dann zu Ansichten zu kommen wie beispielsweise, trans "ähnelt eher einer parareligiösen Vorstellung". Das ist genderkritische Ideologie à la Jane Claire Jones, die bei trans von einem "mittelalterlichen christlichen Kult" spricht. Oder wenn Blage von einer speziellen Entspannungs-Psychotherapie schreibt, bei der Manager für ein Wochenende mal "Sissi" sein können. Als ob das auch nur entfernt etwas mit der Realität von trans Menschen zu tun hat. Mein Eindruck: Der Artikel selbst ist ziemlich fragwürdiger Zeitgeist.

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Trans-Sein ist keine Frage der Sozialisation

Wenn Blage von der Identität spricht, ist nie klar, welche sie eigentlich meint. Denn wo wir uns Geschlechtsidentität vorstellen sollen, handelt es sich bei ihr um entwicklungspsychologische Identität. Nur ist das Trans-Sein eben keine Frage der Sozialisation. Sinnverdrehungen und manchmal auch nur Fantasy haben bei ihr Vorfahrt:

Interessanterweise kommt jetzt in der Diskussion ein Argument auf, das so zentral und schlagend ist, dass man sich als Betrachter ungläubig die Augen reibt, warum das bis anhin kaum ein Thema war: Die Annahme, dass jemand im falschen Körper geboren sein kann, beruht auf der Existenz einer vom Körper abgekoppelten Geschlechtsidentität. Diese muss unveränderbar und naturalistisch determiniert sein. Es heisst, die Geschlechtsidentität sei angeboren.

Dass die Neurobiologie dafür einen Beweis schuldig bleibe, bleibt eine Behauptung. Man muss sich eben die Mühe machen, sich nicht nur die Augen ungläubig zu reiben, sondern die Forschungsliteratur vorzunehmen. Was wohl das Mindeste für Wissenschaftsjournalismus ist. Also auch hier die dringende Empfehlung, Milton Diamond und seine Kolleg*innen zu konsultieren. Aber das macht Arbeit, lieber fetzt Frau Blage einen schnoddrigen Text in die Zeitung. Das heißt glücklicherweise nicht, dass Leser*innen am Ende nicht mehr an Verstand draufhaben, als eine Redakteurin, um hier Mireille Lacombe zu zitieren, die knapp und treffend in der Onlineausgabe der NZZ kommentiert: "Wenn es keine Geschlechtsidentität gibt, warum verwenden wir dann Begriffe wie Mann und Frau?" Gut gefragt.

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