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USA
Supreme Court verhandelt über Verbot der Behandlung von trans Jugendlichen
Fast die Hälfte der US-Bundesstaaten verbietet inzwischen die Abgabe von Hormonblockern und Co. an Minderjährige.

Das Urteil am Supreme Court könnte in einem Jahr fallen – möglicherweise unter einem anderen US-Präsidenten (Bild: Ted Eytan / flickr)
- 25. Juni 2024, 16:17h 4 Min.
Das Höchste Gericht der Vereinigten Staaten hat am Montag bekannt gegeben, einen aus Tennessee vorgelegten Rechtsstreit zur Frage der Verbote von medizinischen Behandlungen bei trans Jugendlichen in der nächsten Sitzungsperiode ab Herbst anzunehmen. Damit könnte das Gericht in einem Jahr (Ende Juni oder Anfang Juli 2025) ein Grundsatzurteil zu der Frage verkünden.
Im Rahmen eines nicht nur in den USA geführten politischen Kulturkampfes haben in den letzten Jahren über zwanzig republikanisch geführte Bundesstaaten die medizinische Versorgung von minderjährigen trans Personen verboten. So untersagt auch das im Februar 2023 in Tennessee erlassene Gesetz etwa die Abgabe von Pubertätsblockern oder Hormontherapien an Jugendliche. Begonnene Behandlungen waren zudem spätestens neun Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes abzubrechen. Das Gesetz sieht zivilrechtliche Klagemöglichkeiten für die behandelten Personen, ihre Eltern und das regionale Justizministerium gegen Ärzte, Eltern und andere Personen vor. Medizinisches Personal kann auch die Zulassung verlieren.
Nachdem ein einzelner Bundesrichter das Inkrafttreten des Gesetzes zunächst gestoppt hatte, bestätigte der Sixth Circuit Court of Appeals, die nach Regionen aufgeteilte Berufungsinstanz auf Bundesebene, das Gesetz und ein weiteres aus Kentucky zunächst im Eilverfahren und dann auch inhaltlich. Beides landete vor dem Supreme Court, der nun entschied, den Fall aus Tennessee in der Version einer Beschwerde des US-Justizminsteriums anzunehmen. Neben ihm hatten drei trans Jugendliche und ihre Eltern sowie ein medizinischer Dienstleister die Klagen eingebracht.
"Gefährlicher Angriff" auf trans Jugendliche
"Ich kämpfe gegen dieses Gesetz, weil ich weiß, wie wichtig die Versorgung für zehntausende von trans Jugendlichen wie mich ist", sagte im letzten Jahr das 15-jährige trans Mädchen L.W. zur ersten Klage gegen das Gesetz, bei der die Familien von der Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU) unterstützt werden. "Der Gedanke, dass ich die Medikamente verlieren könnte, die ich brauche, macht mir Angst. Und wenn dieses Gesetz in Kraft bleibt, muss meine Familie möglicherweise Tennessee verlassen: den Ort, an dem ich mein ganzes Leben lang gelebt und den ich geliebt habe."
"Die Zukunft unzähliger trans Jugendlicher dieser und zukünftiger Generationen hängt davon ab, dass sich dieses Gericht an die Fakten, die Verfassung und seine eigenen modernen Präzedenzfälle hält", kommentierte Chase Strangio von der ACLU. "Diese Verbote stellen einen gefährlichen und diskriminierenden Angriff auf das Wohlergehen von trans Jugendlichen im ganzen Land und ihres verfassungsmäßigen Rechts auf gleichen Schutz dar." Das Gesetz versperre den Zugang zu notwendigen medizinischen Behandlungen, argumentiert die US-Regierung. "Das Recht, mit der Familie und den Ärzten über die eigene Gesundheit und medizinisch anerkannte Behandlungsmöglichkeiten zu sprechen, ist ein Recht, das jeder haben sollte, auch trans Kinder, die besonders anfällig für ernste Depressionen, Angstzustände und Suizid sind."
Rechtauslegung nach Parteilinie?
Die Kläger und auch das aktuelle US-Justizministerium unter Präsident Joe Biden sehen in den Behandlungsverboten einen Verstoß gegen die Gleichbehandlungsklausel im 14. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten, konkret eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der Geschlechtsidentität. Unter anderem mit dieser Begründung hatte ein US-Bundesgericht ein entsprechendes Verbot im Bundesstaat Arkansas untersagt (queer.de berichtete). Es ist die erste und bislang einzige Entscheidung auf dieser Ebene nach Verfassungsrecht und nach einer zweiwöchigen Verhandlung. In weiteren zumeist Eilverfahren hatten Gerichte unterschiedlich geurteilt – oft nach Parteilinien.
Im April hatte der Supreme Court entschieden, dass ein entsprechendes Gesetz in Idaho in Kraft treten kann (wo Mediziner*innen, die trotzdem trans Jugendliche behandeln, eine Gefängnisstrafe von bis zu zehn Jahren droht). Das Gericht entschied dabei allerdings nicht über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, sondern hob eine Blockade des Inkrafttretens während des weiter laufenden Verfahrens auf.
Mit Anspannung wird erwartet, wie das Gericht mit seiner erzkonservativen Mehrheit grundsätzlich zu den Verboten Stellung beziehen wird. Sollte der republikanische Präsidentschaftsbewerber Donald Trump die Wahl im Herbst gewinnen, scheint zudem eine Rücknahme der Berufung möglich. Während queere Menschen nicht ausdrücklich in landesweiten Antidiskriminierungsgesetzen aufgeführt sind (und eine Mehrheit dafür seit Jahrzehnten fehlt), vertrat das Justizministerium unter Biden wie unter Obama öffentlich und in Prozessen die Auffassung, dass diese in entsprechenden Richtlinien in der Verfassung und Bürgerrechtsgesetzen ebenfalls vor Diskriminierung geschützt sind. Unter Trump wurde die gegenteilige Haltung vertreten.
2020 hatte der Supreme Court entschieden, dass Paragraf 7 des Civil Rights Acts aus dem Jahr 1964 Diskriminierung am Arbeitsplatz auch aufgrund der Merkmale sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität untersagt. In der vorliegenden Frage könnte es aus den unterschiedlichsten Gründen anders urteilen bzw. die Verbote in Kraft lassen, die Entscheidung etwa den Bundesstaaten überlassen. (cw)














