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Großbritannien

Auch Starmer gegen "Gender-Ideologie" an Schulen

Im Wahlkampf verzettelt sich die Labour-Partei im von den Konservativen angezettelten Kulturkampf gegen die Rechte und Anliegen von trans Personen und weicht zunehmend von progressiven Haltungen ab. Spitzenkandidat Keir Starmer zeigte sich nun sogar offen für ein Treffen mit J. K. Rowling.


Labour unter Keir Starmer, hier bei einem Wahlkampfauftritt Mitte Juni, liegt in Umfragen derzeit rund um die 40 Prozent, gut das doppelte an Prozent der Konservativen unter Premier Rishi Sunak (Bild: Keir_Starmer / twitter)

  • 26. Juni 2024, 15:16h 7 Min.

Rund eine Woche vor den Parlamentswahlen in Großbritannien hat der in Umfragen führende Spitzenkandidat der sozialdemokratischen Labour-Partei am Dienstag gegenüber Reportern gesagt, dass er gegen "Gender-Ideologie" an Schulen sei.

Keir Starmer wurde gefragt, ob er das geplante Verbot der aktuellen konservativen Tory-Regierung, jungen Menschen in England in der Schule etwas über Trans-Identität beizubringen, aufheben würde. "Nein", antwortete der 61-Jährige: "Ich bin nicht dafür, dass in unseren Schulen Ideologien zum Thema Gender gelehrt werden". Man müsse den begonnenen Konsultationsprozess beenden und "sicherstellen, dass es altersgerechte Leitlinien gibt. Das ist hilfreich für die Lehrer und dient dem Schutz der Kinder."

Die Regierung unter Premierminister Rishi Sunak hatte im Mai angekündigt, Sexualaufklärung bei Kindern unter neun Jahren zu untersagen – und Unterricht über "Gender-Ideologie" bei allen Schüler*innen. Bildungsministerin Gillian Keegan hatte betont, dass nur über das "biologische Geschlecht" und bei älteren Schüler*innen über die Möglichkeit von Geschlechtsanpassungen nach derzeitiger Rechtslage gesprochen werden solle – "umstrittene" und angeblich aktuell an Schulen weit verbreitete Ansichten, dass es 72 Geschlechter gebe oder Geschlecht ein Spektrum sei, seien etwa zu untersagen. In Interviews gab Keegan recht unterschiedliche Definitionen zu "Gender-Ideologie", während sie betonte, dass trans Frauen für sie Männer seien. Später sagte sie, dass diese Aussage nicht gelten solle für Menschen, die eine rechtliche und medizinische Transition abgeschlossen hätten.

Im letzten Jahr hatte die Regierung bereits Richtlinien erlassen, wonach Lehrkräfte unter anderem Schüler*innen nicht mit erwünschten Namen und Pronomen ansprechen müssen und Eltern über entsprechende Wünsche des Nachwuches auch gegen ihren Willen informieren sollten (queer.de berichtete).

Unklare Haltungen und Wenden bei Labour

Bridget Phillipson, die Labour-Schattenministerin im Bereich Bildung, hatte in einem Interview in der letzten Woche noch betont, die Pläne der Tories zum Schulunterricht nach einem Wahlsieg auf den Prüfstand zu stellen. "Es gibt trans Personen in der Gesellschaft und ihre Existenz sollte anerkannt werden. Viele Aspekte des Entwurfs enthalten gute und klare Prinzipien. Andere Elemente driften meiner Meinung nach viel zu sehr in parteiische und unnötige Sprache ab." Die Aussage von Phillipson blieb vage, wurde aber dennoch von Konservativen kritisiert.

Starmer griff nun hingegen den Kampfbegriff "Gender-Ideologie" und damit den rechten wie vage umgrenzten Kulturkampf gegen queere Menschen auf. Statt wie früher konsequent trans Menschen zu verteidigen, äußerten sich Labour-Politiker*innen in den letzten Jahren bisweilen hilflos, während einst klare Haltungen und progessive Richtlinien aufgegeben oder auf den Prüfstand gestellt wurden.

So hatte die Partei bereits im Streit um das von der britischen Zentralregierung gestoppte Selbstbestimmungsgesetz in Schottland keine gute Figur gemacht. Im Wahlprogramm der Partei aus dem Jahr 2019 stand ein entsprechendes Gesetz – im britischen Diskurs "Self-ID" genannt – noch auf der sozialdemokratischen Agenda. Im letzten Sommer deutete Schatten-Frauenministerin allerdings ein Umdenken hin zu einer Reform an, die weiter auf Begutachtung setzt (queer.de berichtete).

So heißt es nun auch im Wahl-Manifest, Labour wolle "das aufdringliche und veraltete Gesetz zur Geschlechtsanerkennung modernisieren, vereinfachen und zu einem neuen Verfahren umgestalten" und sich dafür einsetzen, "Demütigungen für trans Personen zu beseitigen, die Anerkennung und Akzeptanz verdienen". Gleichzeitig behalte man die "Notwendigkeit einer Diagnose der Geschlechtsdysphorie durch einen Facharzt" bei, "um den Zugang zum Gesundheitssystem zu ermöglichen".

Schatten-Gesundheitsminister Wes Streeting betonte in einem Interview, man wolle die "erniedrigenden Teile des Verfahrens" streichen, um mit einem "respektierenden Gesetz" den Menschen ein Leben "in Freiheit, Würde und Respekt" zu ermöglichen. Der schwule Politiker hatte kürzlich betont, er stehe nicht mehr zu seinem früheren Zitat "trans Männer sind Männer, trans Frauen sind Frauen, kommt damit klar". Die Realität sei komplizierter. Damit reagierte Streeting sehr unterkomplex auf den gerade vorgelegten Untersuchungsbericht zu staatlichen Angeboten für trans Jugendliche in Großbritannien, der von der Regierung zur weiteren Stimmungsmache auf dem Rücken von trans Menschen genutzt wurde und von queeren Organisationen und Fachverbänden in vielen Bereichen als rückschrittlich, einseitig bis pseudowissenschaftlich kritisiert wurde. Im Vorfeld der Veröffentlichung jenes "Cass-Reports" hatte der staatliche Gesundheitsdienst die Verschreibung von Pubertätsblockern an Minderjährige gestoppt (queer.de berichtete).

Starmer versucht einen Spagat

Der politische "Diskurs" wird freilich platter und ausgrenzender geführt: "Wir wissen, was eine Frau ist. Keir Starmer weiß es nicht", twitterten die Konservativen zu Beginn des Wahlkampfes. Der Labour-Chef hatte einst klar gesagt, dass trans Frauen Frauen seien. Öffentlich zunehmend mit "biologischen" Fragen konfrontiert, hatte er dann im letzten Jahr gesagt, dass "99,9 Prozent der Frauen natürlich keinen Penis haben", was ihn Kritik von allen Seiten einbrachte. Kritik kam in der letzten Woche auch vom früheren Labour-Premier Tony Blair: "Eine Frau hat eine Vagina und ein Mann einen Penis". Er wundere sich, warum sich Politiker schwer täten, den Begriff Frau zu definieren.

"Was die Biologie betrifft, stimme ich mit dem überein, was Tony Blair neulich in Bezug auf die Tatsache sagte, dass Männer Penisse und Frauen Vaginas haben", betonte Starmer in der letzten Woche nun auch in einer BBC-Wahldebatte. Ob das ein Sinneswandel sei, wurde er gefragt. Der Labour-Politiker antwortete mit dem Versuch, die Debatte zu erden: "Es gibt Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, in das sie hineingeboren wurden, und die viel Angst und Leid durchmachen. Meine Einstellung im Leben ist es, jeden zu respektieren und ihm Würde zu geben, unabhängig von seiner Position. Und das werde ich immer tun."

Als er 2021 die Labour-Abgeordnete Rosie Duffield gerügt hatte, die betonte, dass nur Frauen eine Gebärmutter haben, sei dies seine Reaktion auf eine "sehr toxische, sehr spaltende" Debatte gewesen, bei der man den Blick auf den Menschen verloren habe, so Starmer in der Debatte. Und das könne dann dazu führen, "dass der Premierminister des Vereinigten Königreichs im Parlament einen Trans-Witz macht, während die Mutter einer ermordeten trans Teenagerin zusieht".

Tories setzen auch auf Transfeindlichkeit

Das passierte im Februar, als Sunak im Parlament "witzelte", Starmer falle es schwer, "eine Frau zu definieren". Starmer reagierte damals empört, da die Mutter von Brianna Ghey im Publikum saß (queer.de berichtete). Die damals 16-Jährige war im Februar 2023 von zwei Teenager*innen brutal ermordet worden (queer.de berichtete). Dabei spielten laut Richterin auch transfeindliche Motive eine Rolle.

Die Konservativen waren in den letzten Jahren immer wieder durch transfeindliche Stimmungsmache und Politik aufgefallen. Zum Beginn des Wahlkampfs kündigten sie eine Reform der britischen Gesetzgebung zur Antidiskriminierung an (queer.de berichtete). Mit ihr solle klargestellt werden, dass der Begriff "sex" an vielen Stellen des Gleichstellungsgesetz als "biologisches Geschlecht" zu verstehen sei, nicht als soziales Geschlecht (gender). Damit wolle man etwa verhindern, dass "biologische Männer" an Angeboten für weibliche Opfer von häuslicher Gewalt oder Sportwettbewerben für Frauen teilnehmen könnten. Auch in diesen Fragen gelang es den Konservativen, Labour-Politiker*innen mit unterschiedlichen Aussagen und Haltungen vor sich herzuführen.

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Starmer würde Rowling treffen

Für weitere Entgeisterung in der queeren Community sorgte Starmer am Montag, als er in einem Podium der Zeitung "Sun" sagte, dass er sich mit der transfeindlichen Harry-Potter-Autorin J. K. Rowling treffen würde. Diese hatte sich am Wochenende mit einem Gastbeitrag in der Londoner "Times" weiter in den Wahlkampf eingemischt und betont, dass sie Labour wegen der Haltung zu trans Frauen wohl nicht mehr wählen könne. Die Partei habe Frauen im Stich gelassen.

Er respektiere, was Rowling sage, und heiße die Debatte willkommen. "Natürlich würde ich mich mit ihr treffen", sagte er auf eine entsprechende Moderatoren-Frage. Es sei immer sein Stil gewesen, alle Personen an einen Tisch zu bringen und Streitfragen zu klären. Man müsse aber alle mit Respekt behandeln. "Rowling, ich respektiere sie. Sie hat einige wirklich wichtige Punkte angesprochen. Ich würde diese Diskussion begrüßen, denn ich glaube, dass wir unter Labour-Regierungen große Fortschritte bei den Frauenrechten gemacht haben. Bei der Gleichberechtigung haben wir enorme Fortschritte gemacht. Es gibt noch mehr zu tun, wenn wir das Privileg haben, diesem Land zu dienen."

In dem "Sun"-Panel sagte Starmer auch auf eine Publikumsfrage, dass Räume für Frauen geschützt werden müssen. Als Staatsanwalt habe er viel mit Opfern von sexueller und häuslicher Gewalt zu tun gehabt und die Wichtigkeit von sicheren Räumen gesehen. Und diese müssten geschützt werden, in diesem Bereich oder etwa im Sport oder speziellen Krankenstationen. "Wir dürfen nicht den Weg der Selbst-Identifikation gehen." Man müsse aber auch anerkennen, dass der derzeitige Prozess zur Erlangung eines Gender Recognition Certificates nicht würdevoll sei.

Rowling nutzte die Aussagen bei Twitter für weitere Attacken. Man schütze etwa nicht Frauen, wenn man wie Labour die rechtliche Anerkennung des Geschlechts vereinfachen wolle und so "Männer" weiterhin Zutritt zu Frauenräumen erlangten – die von Labour weiterhin geforderte medizinische Begutachtung reicht ihr also nicht. Auch schrieb Rowling, sie würde Starmer treffen, wenn er sich vorher mit einigen anderen Gruppen treffen würde, etwa mit der transfeindlichen "LGB Alliance". (cw)

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