Hauptmenü Accesskey 1 Hauptinhalt 2 Footer 3 Suche 4 Impressum 8 Kontakt 9 Startseite 0
Neu Presse TV-Tipps Termine
© Queer Communications GmbH
https://queer.de/?50080

Interview

Queeres Feiern ohne Alkohol: Das steckt hinter den "Sober Partys"

Auf queeren Partys wird gerne mal einen über den Durst getrunken. Die "Lemonade Queers" setzen dagegen auf nüchternes Feiern. Wie das in der Community ankommt, verrät die Initiative im Interview mit queer.de.


Vlady Schklover und Momo Strödecke von den "Lemonade Queers" (Bild: Claudia Hammer)

Der Konsum von Alkohol wird von einem nicht gerade kleinen Teil der LGBTI-Community regelrecht zelebriert – sei es auf Pride-Paraden oder im TV bei Dating-Shows wie "Prince Charming". Für viele scheint es deshalb fast schon undenkbar geworden zu sein, nüchtern feiern zu gehen. Doch genau darin steckt nun das Konzept von "Lemonade Queers", einer queeren Veranstaltungsreihe im Berliner SchwuZ, die sich auf "Sober Partys" spezialisiert hat – und in diesem Jahr bereits ihr einjähriges Bestehen feiert.

Anlässlich des Jubiläums sprach queer.de mit den Veranstalter*innen Vlady Schklover und Momo Strödecke. Dabei geht es nicht nur um ihr Veranstaltungskonzept, sondern auch den Einfluss von (queeren) Serien sowie die Hintergründe zum übermäßigen Alkoholkonsum in der LGBTI-Community.

Vor rund einem Jahr habt ihr mit "Sober Partys" im Berliner "SchwuZ" begonnen. Wie kamt ihr auf diese Idee?

Vlady Schklover: Als ich sechs Monate sober war, suchte ich über Facebook nach anderen sober Leuten, die gern aktiv am (Nacht)leben teilnehmen. Die positive Resonanz war überwältigend und führte zu einem Meetup, bei dem mir der Wunsch nach einem sober Truck beim CSD mitgeteilt wurde. Obwohl es dafür zu spät war, bot mir das "Pride among"-Team des Berliner CSD e.V. an, eine Sober Party im SchwuZ zu organisieren, für die ich Momo – Momo war auch beim ersten Meetup dabei – mit ins Boot holte. Nach dem Riesen-Erfolg der ersten Party mit über 250 Besucher*innen, haben wir uns für die "Impact"-Förderung beworben und diese auch erhalten, sodass wir im Jahr 2024 siebenmal im SchwuZ nüchtern feiern können.

- Werbung -

Welchen Stellenwert spielen Alkohol und Drogen eurer Meinung nach in der LGBTI-Community?

Vlady Schklover: Alkohol und Drogen sind stark mit der queeren Community verbunden, da viele Veranstaltungen in Bars oder Clubs stattfinden, wo Konsum gefördert wird. Oft dient Konsum der Emotionsregulation, da queere Menschen häufig mit psychologischen Belastungen, Intimitätsproblemen und Einsamkeit kämpfen, die durch Ausgrenzung und einer langen ungeouteten Phase verstärkt werden, und dadurch werden natürlich viele Mauern und Schutzschilder aufgebaut, welche durch Alkohol und Drogen schneller abgebaut werden, man sich besser mit Menschen verbinden kann. Studien zeigen, dass queere Menschen ein erhöhtes Risiko für Substanzabhängigkeiten haben, was auf fehlende Emotionsregulation und die Herausforderungen des Coming-outs zurückzuführen ist.

Worin seht ihr neben den gesundheitlichen Folgen die größten Gefahren von Alkohol und Drogen – gerade im Kontext des queeren Feierns?

Vlady Schklover: Ich möchte betonen, dass ich weder Feiern noch Konsum grundsätzlich verurteile. Auch für mich war es lange Zeit ein Weg, mich zugehörig zu fühlen. Das Problem entsteht, wenn sich die Identität nur noch über Konsum definiert. Viele queere Menschen stürzen ab, erleben Übergriffe und werden retraumatisiert. Speziell in der Gay-Szene geht es oft um schnellen Sex, Drogen und Partys, was zu einer oberflächlichen und zweckorientierten Kultur führt. Diese Dynamik schließt viele aus und schafft eine Umgebung, in der sich viele Queers auch gar nicht mehr wohlfühlen.

Wie kritisch betrachtet ihr queere Shows wie "Prince Charming" oder "Charming Boys", in denen Alkohol nahezu schon verherrlicht wird?

Momo Strödecke: Ich bin immer für das Motto "Leben und leben lassen". Mich überrascht, dass in diesen Fernsehformaten Konsum derart normalisiert und auch weitestgehend gesellschaftlich akzeptiert wird. Ich wünsche mir, dass es künftig mehr Formate gibt, in denen auch queere Menschen, die nicht konsumieren, willkommen und zelebriert werden.

Vlady Schklover: Man braucht nicht einmal die Reality-Shows anzuschauen, um zu erkennen, wie Alkohol dargestellt wird. In den meisten beliebten Serien und Filmen, wie "Sex and the City", wird Alkohol entweder als cooler Lifestyle oder als Mittel zum Stressabbau präsentiert. Dies spiegelt sich auch in der Gesellschaft wider.

Wie gut kamen eure Partys denn innerhalb des letzten Jahres an?

Vlady Schklover: Wir sind überwältigt, dass unsere Veranstaltungen stets mit 130 bis 200 Besucher*innen eine entspannte und tolle Atmosphäre bieten. Zudem haben wir vor kurzem die 1000-Follower*innen-Marke auf Instagram erreicht. Die Resonanz ist äußerst positiv, wobei es selbstverständlich immer Raum für Verbesserungen gibt. Auch die Unterstützung von sober Communitys wie dem "Mindful Drinking Club", "Chateau Zero", "Sodaclubberlin" und "Nicedry Hamburg" ist großartig. Zudem haben Medien über uns berichtet.

Gab es auch Stimmen, die euer Konzept in Frage gestellt haben? Falls ja, wie geht ihr damit um?

Momo Strödecke: Bisher haben uns keine Stimmen erreicht, die unser Konzept in Frage stellen – ganz im Gegenteil: Uns erreichen so viele dankbare Stimmen, die das Konzept feiern! Unsere Gäste haben die Möglichkeit, uns ihre Vorschläge und Feedback während und nach der Veranstaltung mitzuteilen. Zu einzelnen Punkten haben wir bereits Feedback erhalten, wobei das meiste bei der nächsten Veranstaltung umgesetzt werden kann, wie zum Beispiel eine geringere Lautstärke oder mehr Zeit zum Tanzen. Wir sind definitiv immer offen für Feedback und konstruktive Verbesserungsvorschläge und werten diese dann gemeinsam aus, um sie gegebenenfalls umzusetzen.

Welche Tipps habt ihr für junge, queere Menschen, die sich ohne den Konsum von Alkohol oder Drogen vielleicht zu schüchtern fühlen, um auf eine Party zu gehen?

Momo Strödecke: Wir raten, macht es so wie Vlady, postet in den verschiedenen Gruppen wie etwa auf Facebook "Queer & Sober Berlin" oder "Queer, wild & sober". Zudem gibt es auch auf WhatsApp und Telegram sober Gruppen, und auch "Lemonade Queers" hat eine eigene WhatsApp-Gruppe, schreibt uns an, wir laden euch gerne ein, denn ihr seid definitiv nicht allein. Eine weitere Möglichkeit könnte auch sein, Freund*innen zu fragen, ob sie auch mal nüchtern mit euch ausgehen und so ein gemeinsames Erlebnis schaffen, schließlich ist jede*r auf die Unterstützung seines Freund*innen-Kreises angewiesen.

Zu guter Letzt, schreibt die Veranstalter*innen an und fragt, ob es bei den Events auch Connection Spaces genau dafür gibt. Je mehr die Veranstalter*innen mitkriegen, dass es erwünscht ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es bald an mehr Orten Connection Spaces mit Fokus auf sober feiern gibt.

Was zeichnet eure Partys – abseits des "Sober-Faktors" – aus? Was können die Besucher*innen dort erwarten?

Momo Strödecke: Bei den "Lemonade Queers"-Veranstaltungen im SchwuZ kombinieren wir den Connection Space mit einer Variety-Show und einem anschließendem DJ-Set, um die Sober-Community zu vernetzen und zu stärken und gleichzeitig einfach gemeinsam Spaß zu haben. Der Connection Space ist ein einstündig angeleiteter Ort zur Begegnung mit allen Teilnehmenden, wobei ich verschiedene Themen der queeren Community aufgreife und so zum Austausch mit neuen Menschen anrege. Die Variety-Show umfasst verschiedene Sparten an diversen Künstler*innen, die durch Drag, Comedy, Poetry, Tanz oder Live-Musik zum Nachdenken, Schmunzeln oder einfach reiner Freude anregen.

Die Queer-Kollekte
Die queere Community braucht eine starke journalistische Stimme – gerade jetzt! Leiste deinen Beitrag, um die Arbeit von queer.de abzusichern.
Jetzt unterstützen!

Inwiefern arbeitet ihr mit dem Berliner CSD zusammen?

Vlady Schklover: Das wunderbare Pride-Month-Team des Berliner CSD e.V. hat unsere erste Veranstaltung im Juli 2023 unterstützt, indem es die Mietkosten übernommen und uns Hilfe bei der Grafik gewährt hat, welche wir bis heute verwenden. Auch im Jahr 2024 wird die Miete für unsere Veranstaltungen vom CSD übernommen, wofür wir sehr dankbar sind. Die Zusammenarbeit war einfach und unkompliziert, und wir schätzen diese großartige Kooperation sehr.

Was denkt ihr, wie sich die Themen Alkohol und Drogen in Zukunft entwickeln werden? Werden diese denselben Stellenwert in der LGBTI-Community behalten oder wird diese zum Umdenken kommen?

Vlady Schklover: Wir arbeiten intensiv daran, mehr Bewusstsein, Diskussionen und Sichtbarkeit für den sober Lifestyle zu schaffen. Unser Ziel ist es, herzliche und positive Orte zu schaffen, an denen sich queere Menschen wohlfühlen und austauschen können. Beispiele dafür sind unser Panel "Queer & Sober in Berlin" am 4. Juli in Zusammenarbeit mit dem Village Berlin sowie die Präsenz von "Lemonade Queers" auf dem Whole Festival.

Momo Strödecke: Ich bin der festen Überzeugung, dass zukünftig bewusster konsumiert wird, auch da es immer mehr nüchterne Vorbilder gibt, die zeigen, dass wir auch ohne Konsum zusammen Spaß haben können. Und ich bin sehr froh, mit unseren Veranstaltungen auch zur Normalisierung nüchterner Events beitragen zu können.

-w-