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München
Keith Haring und Andy Warhol: Kunst und Homosexualitäten
Das Museum Brandhorst feiert die schwulen Jahrhundertkünstler mit der Ausstellung "Party of Life". Wer Glanz und Glamour erwartet, wird nicht enttäuscht – doch die Schau geht tiefer und überrascht mit ungewöhnlichen Werken.

Keith Haring (l.) und Andy Warhol 1985 im New Yorker Club "Palladium" (Bild: Nan Goldin / Courtesy Nan Goldin, New York)
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7. Juli 2024, 09:53h 6 Min.
So hat man Andy Warhol noch nie gesehen: breite Schultern, geschwellte Brust, der ganze Körper ein Muskelpaket – und dazu komplett nackt. Die Banane, die er vor seinem Mund hält, entwarf er einst als Logo für die Band Velvet Underground. Sie hat als Symbol für Warhols Schaffen längst Kultstatus erreicht, doch auf dieser Zeichnung erhält sie eine explizit sexuelle Bedeutung: In Größe und Form spiegelt sie Warhols Penis wider, der als einziges Element fast naturalistisch dargestellt ist. Alles andere ist im piktogrammartigen Stil gehalten, den man aus den Arbeiten von Keith Haring kennt. Haring schuf dieses einzigartige Porträt im Jahr von Warhols Tod aus Trauer über seinen verstorbenen Freund und Mentor.

Andy Warhol, porträtiert von Keith Haring (Bild: Axel Krämer)
Bemerkenswert ist das 1987 entstandene Bild vor allem, weil es das damalige Image von Andy Warhol auf den Kopf stellt – meist wurde dieser als asexuell und unkörperlich wahrgenommen. Er selbst haderte mit seinem Körper und sagte, er wäre gerne eine Maschine. Auch seine Attentäterin Valerie Solanas mutmaßte in ihren Notizen, Warhol sei nicht an Sex interessiert. Die Narben im Brustbereich, die durch ihren Angriff entstanden, zeichnen sich auf dem Porträt deutlich ab. Doch entgegen aller Spekulationen stellt Haring seinen Künstlerkollegen als schwulen und hypersexuellen Superhelden dar. Allerdings lässt er ihn gleichwohl in seiner rechten Hand einen blutenden Apfel halten, der als Symbol der Sünde auf einen tief verinnerlichten Katholizismus und auf Schuldgefühle verweist.
Schwule Jahrhundertkünstler und ihr außergewöhnliches Verhältnis
Keith Harings Porträt von Andy Warhol stammt aus einer Schweizer Privatsammlung: eine seltene Leihgabe, die zu den Höhepunkten einer neuen Ausstellung mit insgesamt mehr als 120 Werken von Warhol und Haring zählt. Sie ist noch bis zum 26. Januar 2025 im Münchner Museum Brandhorst zu sehen und widmet sich dem außergewöhnlichen Verhältnis der beiden schwulen Jahrhundertkünstler als Freunde, Künstlerkollegen und Weggefährten. Dabei werden sowohl ihre Gemeinsamkeiten als auch die Unterschiede in den Fokus gerückt: Beide stammen aus christlich geprägten Familien in Pennsylvania, beide schickten sich an, die Kunstwelt mit ihrem jeweils unverwechselbaren Stil zu revolutionieren – und beide flohen nach New York City, um sich selbst zu verwirklichen, wenngleich mit einem zeitlichen Unterschied von knapp drei Jahrzehnten.
Kuratorin Franziska Linhardt konzentriert sich auf jene Epoche, die beide Künstler gemeinsam erlebten. Die Schau bietet darum Einblick in den "Kosmos der 1980er Jahre, MTV, Discos, Voguing, Hip-Hop, New Wave und Graffiti", wie Linhardt beim Presserundgang betont. Der Ausstellungstitel "Party of Life", entlehnt von Keith Harings Geburtstagsfeiern, verspricht Glanz und Glamour, Pop und schönen Schein. Dies wird auch erfüllt, doch die Ausstellung geht tiefer und zeigt mehr als das allseits bekannte Repertoire.
Siebdruck-Dreier mit Keith Haring und Juan Dubose?

Blick in die Ausstellung: Siebdrucke von Warhol
Zu den vielen Überraschungen gesellt sich etwa das Siebdruckgemälde, das Warhol 1984 als Porträt von Keith Haring und dessen Liebhaber Juan Dubose schuf. Es zeigt das interethnische Paar in einer innigen Umarmung, wobei zwischen den beiden Liebenden eine dritte Figur zu sehen ist. Der erläuternden Text deutet an, dass sich Warhol möglicherweise selbst in das Bild montierte, da ihn die "offene Zurschaustellung homosexueller Zuneigung über Race-Grenzen hinweg" faszinierte. Warhol war dreißig Jahre älter als Haring, in New York wurde die Kriminalisierung von Homosexualität erst in den 1980er Jahren abgeschafft. Es liegt nahe, dass Warhol in diesem Gemälde die verpasste Chance eines eigenen Coming-outs reflektierte.
Keith Haring ging von Anfang an offen mit seinem Schwulsein um. Für ihn war der Kampf um Emanzipation Teil seines künstlerischen Selbstverständnisses. Queerness oder Kinderschutz zählten genauso zu den Themen, für die er sich einsetzte, wie er sich sich gegen atomare Aufrüstung, Gentrifizierung in Manhattan oder Apartheid in Südafrika engagierte. Warhol blieb hingegen mit seiner Kunst ein distanzierter, aber nicht unkritischer Beobachter der Gesellschaft. Gegenüber Haring äußerte er sich immer wertschätzend. Er bewunderte an ihm seine jugendliche Energie, die ihm selbst neues Leben einhauchte – und Kontakte zu einem ihm bis dahin unzugänglichen Netzwerk ermöglichte. Dank Keith Haring lernte er Grace Jones und Madonna kennen. Für letztgenannte kam es sogar zu einer Kollaboration, die in der Ausstellung präsentiert wird: ein Gemälde für die Hochzeit von Madonna, das Warhol und Haring gemeinsam schufen.

Blick in die Ausstellung (Bild: Axel Krämer)
Das Ende der Party
Auch das Ende der Party wird im Museum Brandhorst thematisiert. Warhols Tod im Jahr 1987 als Spätfolge des Attentats ist ein schwerer Schlag für Haring. In einem Interview sagte er, dass Andy Warhols Leben und Werk seine eigene Kunst erst möglich gemacht hätten. Im Jahr darauf erhält er seine HIV-Diagnose. In der kurzen Zeit, die ihm noch bleibt, engagiert er sich hauptsächlich für Aufklärung im Zusammenhang mit Aids, für die Rechte von Infizierten und den Kampf gegen Doppelmoral und staatliche Ignoranz.
In dieser Zeit entsteht auch die Werkserie "Apocalypse", ein Gemeinschaftswerk von ihm mit dem Schriftsteller William S. Burroughs, die das New York der 1980er Jahre als apokalyptische Landschaft darstellt – eine Auseinandersetzung mit der Hoffnungslosigkeit und der Verzweiflung in diesen Jahren, aber auch mit dem eigenen Tod. Haring kombiniert auf den Bildern Symbole aus der Kunstgeschichte, der christlichen Religion und der Konsumkultur. Burroughs trägt dazu Texte bei, in einem von ihnen heißt es: "Die Kreaturen all eurer Träume und Albträume sind im Hier und Jetzt so körperlich, wie sie es jemals waren und sein werden."

Blick in die Ausstellung (Bild: Axel Krämer)
Auch Andy Warhol hatte sich kurz vor seinem Tod künstlerisch mit Aids beschäftigt. Bei dem 1985/86 entstandenen Siebdruck "Bereuet und sündiget nicht mehr! (Negativ)" etwa greift er mittels eines großen Werbeschriftzugs ein evangelikales Mantra auf, das während der Aidskrise instrumentalisiert wurde, um die Angst vor Ansteckung auszunutzen und moralischen Druck auf schwule Männer auszuüben. Kirche und Medien verstärkten so das Leid und das Stigma, das mit der Erkrankung verbunden war. Warhols Werk kritisiert diese heuchlerische Haltung und reflektiert die gesellschaftliche Ausgrenzung und Diskriminierung der Betroffenen. Vermutlich spielten bei der Entstehung des Kunstwerks auch die durch Warhols christliche Erziehung bedingten inneren Konflikte eine Rolle.
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Selbstverständlicher Umgang mit Warhols und Harings Homosexualität
Welche Relevanz hat die Kunst der beiden Pop-Art-Künstler heute noch? Was können wir aus ihrem Vermächtnis lernen? Dem Museum Brandhorst ist mit dieser Ausstellung eine vielschichtige Ausstellung gelungen, die Warhols und Harings Homosexualität selbstverständlich in den Fokus nimmt – und dabei aufzeigt, dass beide sehr unterschiedlich damit umgingen.
Im Gespräch berichtet Museumsdirektor Achim Hochdörfer, dass sich die Verantwortlichen im Haus damit intensiv auseinandergesetzt haben. "Über Jahrzehnte hinweg war die sexuelle Orientierung der Künstler nicht Teil der Rezeption. Jetzt öffnet man die Box und muss überlegen: Inwiefern hat ihre Homosexualität und das gesellschaftliche Drumherum die Kunst maßgeblich mitgeprägt? Und wie behandelt man das Thema, ohne dass nur ein Spektakel daraus wird? Es besteht dabei ja die Gefahr, dass die Künstler nur auf ihre Homosexualität reduziert werden. Dabei hatten sie auch was zu sagen, was nicht mit ihrer Sexualität zu tun hat. Diese Tonlage wollten wir treffen."
Links zum Thema:
» Mehr Infos zur Ausstellung auf der Homepage des Museums Brandhorst
Mehr queere Kultur:
» auf sissymag.de















