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Nachruf

"Sprechen Sie von morgens bis abends über Sex! Das hält jung!"

Die US-Sexualtherapeutin Ruth Westheimer ist mit 96 Jahren gestorben. Gerade für Lesben und Schwule hatte sie in den 1980er Jahren eine große Bedeutung.


Ruth Westheimer wurde am 4. Juni 1928 in Wiesenfeld bei Würzburg geboren (Bild: Rhododendrites / wikipedia)
  • 13. Juli 2024, 21:05h 4 Min.

Die US-Sexualtherapeutin Ruth Westheimer ist nach US-Medienangaben im Alter von 96 Jahren gestorben. Die unter dem Namen "Dr. Ruth" bekannte Westheimer sei am Freitag in ihrem Zuhause in Manhattan gestorben, zitierte unter anderem die "New York Times" ihren Sprecher Pierre Lehu. Westheimer wurde erst als Über-50-Jährige mit ihrer bahnbrechenden Radioshow "Sexually Speaking" bekannt, in der sie offen über den weiblichen Orgasmus, Masturbation, Homosexualität und andere tabuisierte Themen sprach.

Geboren wurde Westheimer 1928 als Karola Ruth Siegel im deutschen Wiesenfeld. Ihre jüdischen Eltern wurden von den Nazis ermordet. Westheimer führte ein bewegtes Leben mit vielen Kapiteln – mit einer militärischen Ausbildung als Scharfschützin nach dem Krieg im damals von Großbritannien kontrollierten Palästina und einem Studium an der Sorbonne in Paris, wohin sie in den 1950er Jahren mit ihrem ersten Mann zog.

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Von der Haushälterin zur Sexualtherapeutin

Frisch geschieden ging sie später nach New York, wo sie eine Weile als Haushälterin arbeitete. An der Universität Columbia promovierte sie und begann ihre Karriere als Sexualtherapeutin.

Westheimer bekam zwei Kinder: Ihre Tochter Miriam aus einer zweiten, kurzen Ehe sowie ihren Sohn Joel aus der Ehe mit ihrem dritten Mann, Manfred Westheimer. Mit dem ebenfalls Holocaust-Überlebenden blieb Dr. Ruth bis zu seinem Tod im Jahr 1997 zusammen.

Nach ihren Studienjahren arbeitete Westheimer mit der wegweisenden Sexualtherapeurin Helen Singer Kaplan, bevor sie 1980 ihre Radioshow in New York startete. In weniger als zwei Jahren wurde sie mit landesweit ausgestrahlten TV- und Radiosendungen zu einer bekannten Persönlichkeit.

Die Unvoreingenommenheit der nur 1,40 Meter großen Westheimer, ihre Erscheinung und fröhliche Art machten es dem Publikum einfach, ihr zu vertrauen. Ihre Ratschläge waren oft prägnant und direkt: Sex vor dem Abendessen haben, Fantasien miteinander teilen und flexibel sein, wenn sich der sexuelle Appetit des Partners vom eigenen unterscheidet.

Westheimer vermied das Wort "normal"

Ruth Westheimer vermied das Wort "normal" und legte nahe, dass alles, was zwischen zwei einwilligenden Erwachsenen in der Privatsphäre geschieht, in Ordnung sei. Da war in den 1980er Jahren alles andere als selbstverständlich. Gerade für Lesben und Schwule hatte sie so eine große Bedeutung. "Dieses Image der netten, verständnisvollen Oma half auf jeden Fall dabei, auch Menschen zum Zuhören zu bringen, die vielleicht eigentlich eher homophob waren", meinte Dokumentarfilmer Ryan White über Dr. Ruth im Interview mit queer..de. "Deswegen fühlten sich ungeoutete Teenager bei ihr genauso gut aufgehoben wie Leute, denen Homosexualität fremd war."

Westheimer befürwortete auch die Legalisierung der Prostitution, was für eine Kontroverse sorgte. Ihr Buch "Sex für Dummies" wurde in 17 Sprachen übersetzt.

Im Nachgang der #MeToo-Bewegung rieben sich einige an ihrer Einstellung zur Einwilligung: "Diese Idee, dass man, wenn man erregt ist und bereits angefangen hat, fragen sollte: 'Darf ich deine linke oder deine rechte Brust anfassen?' ist einfach Unsinn", sagte sie im Jahr 2019 der britischen Zeitung "The Guardian".

Die Aufklärerin war vernarrt in ihre Kinder und Enkel und teilte ihre komplizierte Lebensgeschichte mit ihnen – etwa ihre Zeit als Scharfschützin. "Ich war eine sehr gute Schützin", sagte Westheimer einmal. "Einmal war ich mit meinem Enkel auf einem Volksfest, wo man mit einer Wasserpistole auf den Mund eines Clowns schießen musste. Wir kamen mit zwölf Plüschtieren und einem Goldfisch nach Hause."

Bis zuletzt äußerst aktiv

Ihr Leben wurde 2013 in dem Theaterstück "Becoming Dr. Ruth" verarbeitet und wurde zum Stoff für die 2019 veröffentlichte Dokumentation "Ask Dr. Ruth".

Westheimer äußerte stets ihre Dankbarkeit dafür, den Holocaust überlebt zu haben – und ihr Gefühl, dafür etwas zurückgeben zu wollen. "Ich wusste nicht, dass mein späterer Beitrag zur Welt darin bestehen würde, über Orgasmen und Erektionen zu sprechen, aber ich wusste, dass ich etwas für andere tun musste, um mein Leben zu rechtfertigen", sagte sie der "Harvard Business Review" im Jahr 2016.

Selbst in ihren letzten Lebensjahren blieb Westheimer äußerst aktiv. Dem Magazin "People" verriet sie 2023 ihr Geheimnis: "Sprechen Sie von morgens bis abends über Sex! Das hält jung!" (cw/AFP)