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TV-Tipp
Das olympische Prinzip "Schneller, höher, weiter" gilt nicht für alle
Im sehr sehenswerten Dokumentarfilm "Queer gewinnt – Eine Sport-Utopie" geht es um einen Olympiatraum, der von der körperlich übergriffigen Politik des IOC zerstört wurde.

Läuferin Amanda Reiter beim Training im heimischen Lenggries (Bild: ZDF / Caroline Spreitzenbarth)
- Von Bo Wehrheim
22. Juli 2024, 08:37h 4 Min.
In wenigen Wochen beginnen die Olympischen Sommerspiele in Paris. Neben Skateboard, Sportklettern und Surfen, die bei den Spielen in Tokio erstmals olympisch waren, wird in diesem Jahr auch Breaking Teil der Wettkämpfe sein. 16 B-Girls und 16 B-Boys treten in Solo-Battles gegeneinander an. Die neuen Sportarten sollen die Olympischen Spiele jünger, gesellschaftlich relevanter und inklusiver machen – doch es ändert sich weder etwas an der starren binären Geschlechtertrennung noch an der Herabwürdigung Schwarzer Athlet*innen.
Im Dokumentarfilm "Queer gewinnt – Eine Sport-Utopie", der rechtzeitig zum Olympia-Start in der 3sat-Mediathek gestreamt werden kann (im TV wird der Film am Montag, den 22. Juli 2024 um 22:25 Uhr auf 3sat ausgestrahlt), begibt sich ein queeres Laufkollektiv auf eine Zeitreise durch die Sportgeschichte, um Athlet*innen zu ehren, die trotz herausragender Leistungen nie auf das Sieger*innentreppchen gelangten.
Herausragende Schwarze Athlet*innen gelten als verdächtig
Denn das olympische Prinzip "Schneller, höher, weiter" gilt nicht für alle. Während außergewöhnlich leistungsstarke Körper von weißen cis Männern gefeiert werden, gelten insbesondere Schwarze Athlet*innen, die im Frauensport durch herausragende Leistungen auffallen, als verdächtig. Sie werden seit je her mit der Frage konfrontiert ob sie "echte" Frauen seien und müssen sogenannte "Geschlechtsüberprüfungen" über sich ergehen lassen: Angefangen mit sogenannten "Weiblichkeitszertifikaten" in den 1930er Jahren, über das Abtasten von Genitalien in den 1950ern und Chromosomentests in den 1970ern bis hin zur 2012 vom World Athetics (WA) eingeführten "Regel zu Hyperandrogenismus". Die Regel gilt bis heute und verpflichtet Athlet*innen dazu, nach Aufforderung ihren Testosteronwert prüfen zu lassen und diesen, wenn er einen willkürlich festgelegten Grenzwert überschreitet, durch Medikamente oder chirurgische Eingriffe zu senken.

Annet Negesa gewann bei den Afrikaspielen 2011 eine Goldmedaille im 800-Meter-Lauf (Bild: ZDF / Caroline Spreitzenbarth)
Nach einer Klage der indischen Sprinterin Dutee Chand vor dem Sportgerichtshof musste der WA wissenschaftlich beweisen, inwiefern höhere Testosteron-Werte tatsächlich zu sportlichen Vorteilen führen. Die von der WA selbst in Auftrag gegebene Studie wurde inzwischen widerlegt, trotzdem ist die Regel bis heute für alle internationalen Wettkämpfe gültig.
Es geht nicht um Fairness
Bemerkenswert ist, dass nicht alle Sportler*innen getestet werden, sondern nur diejenigen, die durch besonders starke – und damit vermeintlich "männliche" – Leistungen auffallen. Daran wird deutlich, dass es beim "Schützen der weiblichen Kategorie" nicht um Fairness geht. Vielmehr ist es eine Abwertung von Leistung im Spitzensport, die nicht von weißen Männern erbracht wird.

Die Athlet*innen eines queer-feministischen Kollektivs beim Erfahrungsaustausch (Bild: ZDF / Caroline Spreitzenbarth)
So durften bei den letzten Olympischen Spielen in Tokio die beiden schnellsten 400-Meter-Läuferinnen der Welt nicht antreten. Christine Mboma und Beatrice Masilingi, die zu diesem Zeitpunkt beide erst 18 Jahre alt waren, mussten sich im Vorfeld Untersuchungen unterziehen, und die halbe Welt spekulierte über ihre Genitalien. Schließlich wurden sie wegen "zu hoher" Testosteronwerte vom Wettkampf ausgeschlossen. Der WA empfiehlt Sportler*innen in diesem Fall eine Hormon-Therapie, was bereits 2017 heftig vom Weltärztebund kritisiert wurde: "Wenn Ärzte diese Medikamente verabreichen, verstoßen sie gegen den Ethik-Code", warnte der Vorsitzende Frank Ulrich Montgomery. Er hält es für "sehr bedenklich, Athleten Hormonpräparate zu verschreiben, um die normalen Vorgänge in ihrem Körper zu verändern".
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Caster Semenyas Kampf für Menschenrechte
Auch in "Queer gewinnt – Eine Sport-Utopie" geht es um einen Olympiatraum, der von der körperlich übergriffigen Politik des IOC zerstört wurde. In Zeitlupeneinstellung läuft die ugandische Leichtathletin Annet Negesa ein fiktives Rennen und erzählt aus dem Off, wie sie wegen der Testosterongrenze nicht bei den Olympischen Spielen antreten durfte. Mitarbeiter des Sportverbands hätten sie ins Krankenhaus gebracht, vorgeblich um ihren Testosteronspiegel mit einer Injektion zu senken. Nach der Behandlung sei Annet Negesa mit OP-Narben am Bauch aufgewacht, leide seitdem unter schweren gesundheitlichen Folgen und sei auf Hormonsubstitution angewiesen.
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Die südafrikanische Mittelstreckenläuferin Caster Semenya, die durch den Testosterongrenzwert immer wieder von der Teilnahme an Internationalen Wettkämpfen ausgeschlossen wurde, hatte 2018 erfolglos dagegen geklagt. Als "eklatanten Rassismus" bezeichnete die Regierungspartei Südafrikas das willkürliche Festlegen von Testosterongrenzwerten. Die Regelungen verletzten "die Menschenrechte der Athlet*innen" und zielten "vor allem auf diejenigen in Osteuropa, Asien und dem afrikanischen Kontinent". Tatsächlich werden laut einem Bericht von Human Rights Watch (HRW) Schwarze Athlet*innen besonders häufig "missbräuchlichen Geschlechtstests" unterzogen, die laut HRW, auf willkürlichen Definitionen von Weiblichkeit und rassistischen Stereotypen beruhen.
2023 erkannte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte endlich an, dass die Läuferin diskriminiert wurde – trotzdem musste der WA die Regel nicht zurück nehmen. Doch der 33-Jährigen geht es längst nicht mehr um die eigene Karriere: "Ich hoffe, dass die Entscheidung des Gerichtshofs alle jungen Frauen dazu inspiriert, sie selbst in ihrer ganzen Vielfalt zu sein und sich zu akzeptieren.", sagte sie im Mai diesen Jahres bei einer Anhörung in Straßburg.
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