Hauptmenü Accesskey 1 Hauptinhalt 2 Footer 3 Suche 4 Impressum 8 Kontakt 9 Startseite 0
Neu Presse TV-Tipps Termine
© Queer Communications GmbH
https://queer.de/?50459

Queerfilmnacht

Verliebt in einen Clown

Als Yuri den Kindergeburtstags-Clown Agostino trifft, ist er sofort fasziniert. Kurzerhand beschließt er, als sein Assistent mit ihm umherzufahren. "Patagonia" ist ein aufregendes Drama rund um Abhängigkeit und Selbstbefreiung.


Szene aus "Patagonia" (Bild: Salzgeber)

7,80 Euro soll die Kundin in der Metzgerei bezahlen. Sie gibt Yuri einen Zehner, der junge Mann ist ein bisschen überfordert, wiegt den Schein langsam in der Hand, sein Blick sucht nach Hilfe. 2,20 zurück, ruft seine Tante hinter der Fleischtheke. "Ja, ich weiß", antwortet er.

Yuri, 20 Jahre alt und mit ganz viel Sinn für Nuancen gespielt von Andrea Fuorto, ist nicht der Schnellste. Aber hätte die Tante ihm noch ein paar Sekunden mehr Zeit gegeben, er hätte wahrscheinlich richtig gerechnet. "So ein guter Junge", sagt die Kundin zum Abschied, mehr zur Tante als zu ihm. So als wäre der junge Mann ein Hund – süß, aber harmlos.

- w -

Ago lebt ein freies Leben


Poster zum Film: "Patagonia" startet am 22. August 2024 regulär im Kino und läuft im gesamten August bereits in der Queerfilmnacht

Der junge Mann hat in seiner Zurückhaltung und den nervösen, unsicheren Gesten etwas Unbeholfen-Kindliches. Dass seine Tanten ihn überversorgen, trägt nicht gerade dazu bei, dass sich das verändert. Die anderen unterschätzen ihn, und Yuri merkt das.

Kein Wunder, dass Yuri fasziniert ist von Agostino (Augusto Mario Russi). Beim Geburtstag seines Cousins bringt er als Clown die Kinder zum Lachen. Agostino, kurz geschorene rote Haare, lebt ein freies, unabhängiges Leben. In einem Van reist er herum, arbeitet nur, wenn ihm danach ist. Er braucht nicht viel. In Agostino, den Yuri nur Ago nennt, erkennt er die Erfüllung seiner Sehnsüchte. Also wird er dessen Assistent, zieht in den Van ein.

Yuri bleibt Agos Gast

Im seinem Debüt-Langfilm "Patagonia" erzählt der italienische Regisseur Simone Bozzelli die Geschichte zweier gegensätzlicher Figuren, die das Schicksal zusammengebracht hat. Doch die Unterschiede führen auch zu einem deutlichen Machtgefälle.

Denn Agostino gibt Yuri andauernd das Gefühl, nur ein Gast zu sein. Mit Sätzen wie "Geh doch, wenn es dir nicht gefällt" verweigert er sich, Konflikte zu lösen. Er mag Yuri, solange der sich so verhält, wie es ihm passt. "Ich will frei sein", so lautet sein Credo, "keiner sollte abhängig sein". Man müsste ergänzen: Außer von ihm.

Direktlink | Offizieller deutscher Trailer
Datenschutz-Einstellungen | Info / Hilfe

Yuri bekommt ein Nippelpiercing

Die beiden machen einen Stopp bei einer Art Trailerpark, wo sich Raver, Hippies und andere Außenseiter versammeln. Techno, ausgelassene Stimmung, Drogen, Menschen mit Engelsflügeln auf dem Rücken, viel Glitzer und grünes Licht. Yuri bekommt eine weiße Ratte geschenkt, Agostino reagiert eifersüchtig.

Die Dynamik der beiden kann sich kaum einpendeln, sie ist von Ausschlägen in die eine oder andere Richtung bestimmt. Mal kommen sie sich näher, sind ganz vertraut – es ist spürbar, dass sie nicht nur Freunde sind, sondern dass da wirklich Gefühle im Spiel sind. So sticht Agostino Yuri ein Nippelpiercing. "Natürlich tut das weh", sagt der lächelnd. Freud und Leid sind manchmal eben untrennbar miteinander verbunden.

Sehnsuchtsort Patagonien

Dann wieder ist Agostino aufbrausend, grenz­überschreitend, demütigend. Es sind schmerzhafte Szenen, die Kameramann Leonardo Mirabilia hier mit großer Klarheit auf 16mm einfängt.

Dabei verbindet das Paar doch ein großer Traum: nach Patagonien zu reisen. Dieser südliche Zipfel Südamerikas mit seiner rauen Landschaft und der unendlichen Einsamkeit ist ein Sehnsuchtsort der beiden – ohne dass sie wirklich wissen, was sie dort erwartet, was sie dort wollen. Ein fast mythisch aufgeladener Ort, den ihre Abenteuerlist sich erschafft. Ein Traumgebilde, um sich wegzuwünschen.

Die Queer-Kollekte
Die queere Community braucht eine starke journalistische Stimme – gerade jetzt! Leiste deinen Beitrag, um die Arbeit von queer.de abzusichern.
Jetzt unterstützen!

Ambivalenz aus Freiheit und Abhängigkeit

Regisseur Simone Bozzelli hat mit "Patagonia" einen im besten Sinne ungewöhnlichen Film geschaffen: Ein Drama, das sich herkömmlichen Erzählmustern zwar nicht vollends entzieht, aber doch seinen ganz eigenen Rhythmus findet. Das Drehbuch von Bozzelli und Tommaso Favagrossa begegnet all seinen Figuren dabei mit großem Respekt. Auch Yuri verfügt über Handlungsmacht und ist alles andere als ein Opfer der anderen.

Die vielen am Rande auftauchenden Tiere – der Welpe, die Ratte, die Schlange und die Vögel – bilden dabei eine zweite, wenn auch offensichtliche symbolisch aufgeladene Ebene rund um das große Thema seines Films: die Ambivalenz aus Freiheit und Abhängigkeit, die kaum in Einklang zu bringen ist. Oder wie es Morgan ausdrückt, der Yuri die Ratte geschenkt hat: Niemand will in einem Käfig leben. Wobei, manche sind für einen Käfig gemacht.

Infos zum Film

Patagonia. Drama. Italien 2023. Regie: Simone Bozzelli. Cast: Andrea Fuorto, Augusto Mario Russi, Elettra Dallimore Mallaby, Alexander Benigni. Laufzeit: 110 Minuten. Sprache: italienische Originalfassung mit deutschen Untertiteln. FSK 16. Verleih: Salzgeber. Kinostart: 22. August 2024. Im gesamten August 2024 bereits in der Queerfilmnacht
Galerie:
Patagonia
12 Bilder
-w-

Queere TV-Tipps
-w-


-w-