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Fotografie

Peter Hujar: Porträts im Leben und Sterben

Er war Augenzeuge der Stonewall-Unruhen, schwuler Aktivist und ein Chronist der queeren Bohème im New York der 1960er und 70er Jahre. Im Rahmen der Biennale wird der Fotograf Peter Hujar in Venedig mit einer berührenden Ausstellung gewürdigt


Peter Hujar (1934-1987), Self-Portrait Lying Down, 1975 (Bild: The Peter Hujar Archive / Artists Rights Society)

So richtig heiter waren die Fotoshootings bei ihm nie. Kein Herumalbern vor der Kamera, kein Tingeltangel, kein Posieren und kein Spiel mit Requisiten. Jegliche Attitüde sollte abgestreift, die Panzerung der Seele Schicht um Schicht abgetragen werden. Peter Hujar wollte mit seinen Fotos zum unverwechselbaren Kern seines jeweiligen Gegenübers vordringen, um es in all seiner Verletzlichkeit zu offenbaren.

Auf diese Weise sind ihm eindringliche und äußerst intime Aufnahmen geglückt: von dem Literaten William Burroughs etwa, dem Regisseur Robert Wilson, den Schriftstellerinnen Susan Sontag und Fran Lebowitz, oder auch von sich selbst in seinem "Selbstporträt im Liegen". Die meisten Bildnisse gehen unmittelbar unter die Haut, so auch das des Undergroundfilmers John Waters, dessen verschmitztes Lächeln ein wehmütiger Zug umweht.


John Waters (I), 1975 (Bild: The Peter Hujar Archive / Artists Rights Society)

Ohne schrilles Bühnenoutfit zeigt sich Dragqueen Divine ungewohnt scheu, den Blick gedankenverlorenen nach innen gerichtet. Alle genannten Fotos stammen aus dem Jahr 1975 und zeigen befreundete Persönlichkeiten aus Hujars näherem Umfeld. Einige der von ihm Porträtierten sind damals nur einem überschaubaren Publikum bekannt, doch innerhalb der New Yorker Bohème, als deren Chronist Peter Hujar gilt, haben sie sich längst einen Namen gemacht. Indes geht es ihm selbst nie um Erfolg und Ruhm.

Die aufblühende queere Szene New Yorks eingefangen

Peter Hujar ist der Sohn ukrainischer Eltern, geboren 1934 in New Jersey. Zuhause wird ausschließlich Ukrainisch gesprochen, erst mit der Einschulung lernt er die englische Sprache. Nach seinem Studium an der High School of Art and Design in Manhattan und einem Studienaufenthalt in Italien fotografiert er für "Harper's Bazaar" und "GQ". Hujar bekommt einen einträglichen Job in einer renommierten Werbeagentur in Manhattan, doch den kündigt er 1967 nach wenigen Jahren zugunsten seiner eigenen künstlerischen Agenda: Er möchte mit seinem fotografischen Blick vor allem die aufblühende queere Szene New Yorks einfangen, auch wenn er damit kaum einen Cent verdient. 1969 wird Hujar zum Augenzeugen der "Stonewall"-Unruhen im West Village. Kurz darauf inszeniert er ein Plakatmotiv mit fröhlich demonstrierenden Mitgliedern der Gay Liberation Front (GLF), das unter der Überschrift "Come out!" ikonischen Status erreicht.


Divine , 1975 (Bild: The Peter Hujar Archive / Artists Rights Society)

Zu dieser Zeit fallen viele Straßenzüge New Yorks einer grassierenden Immobilienspekulation zum Opfer, Leerstand und Verfall dominieren das Stadtbild. Ruinen und verlassene Lagerhallen werden zum Schauplatz der Bohème – und zum Cruising-Hotspot für schwule Männer. Vor allem letzteres erkundet Hujar exzessiv, sowohl künstlerisch als auch privat. Darüber hinaus fokussiert er sich mit Leidenschaft darauf, die Wesenszüge befreundeter Personen aus seinem kreativen Umfeld mit der Kamera in charakteristischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen festzuhalten.

Der Ruhm kam erst nach seinem Tod

Als 1976 sein Bildband "Portraits in Life and Death" erscheint, interessiert sich nur ein kleines Publikum für seine Fotografien. Das ändert sich nach dem Tod Hujars, der 1987 den Folgen einer HIV-Infektion erliegt. Inzwischen sind viele der von ihm Porträtierten weltberühmt – ein Umstand, der ihn selbst posthum zu einer bedeutenden Figur in der Kunstszene erscheinen lässt. Doch es wird noch einige Jahre dauern, bis der internationale Kunstbetrieb den Wert seiner Arbeit wirklich anerkennt. Im Jahr 2018 widmet ihm das Morgan Library & Museum in New York eine umfangreiche Retrospektive: Damit schreibt sich sein Name unwiderruflich in die Geschichte der Fotografie ein, "Portraits in Life and Death" wird in die Reihe der Klassiker aufgenommen. Zu Lebzeiten hatte er sich sowohl dem Promikult widersetzt als auch der Vorstellung eines Kanons in der Geschichte der Fotografie – nun war seine Arbeit selbst ein Teil davon. Das Peter-Hujar-Archiv schreibt auf seiner Homepage, die "schwierige" Persönlichkeit Hujars und dessen beharrliche Weigerung, sich dem Markt zu beugen, habe dafür gesorgt, dass seine erste Veröffentlichung auch die einzige blieb.


Susan Sontag, 1975 (Bild: The Peter Hujar Archive / Artists Rights Society)

Erstmals sind nun in Europa Abzüge sämtlicher Aufnahmen aus seinem Bildband zu sehen. Sie werden vom Peter Hujar Archiv in Zusammenarbeit mit dem Art Institute Chicago und der Biennale am Istituto Santa Maria della Pietà in Venedig gezeigt. Die Schau trägt denselben Titel wie das Buch: "Portraits in Life and Death", und tatsächlich wird damit gleichwohl Peter Hujars Lebenswerk umschrieben, das quer durch alle Werkserien eine meditative Betrachtung über das Leben und den unvermeidlichen Tod ist. Genau das verleiht seinen Bildern eine tiefe, oft melancholische Dimension.

Im Vorwort schreibt Susan Sontag, die zu den Porträtierten im Buch gehört: "Fotografie verwandelt die ganze Welt in einen Friedhof. Als Connaisseure der Schönheit sind Fotografierende – wissentlich oder nicht – Engel des Todes". Auch wenn die Kunst des Sterbens dem Zeitalter der Moderne abhanden gekommen sei, enthielten "alle Augen, sobald sie zur Ruhe kommen, das Wissen um das unausweichliche Ende. Der Körper weiß es. Und die Kamera zeigt es unerbittlich." Im Nachhinein scheint es beinahe so, als zeichne sich in den Porträts aus Hujars engem Umfeld ein wissender Blick ab, der den vernichtenden Einbruch von HIV und Aids im queeren New York der 1980er Jahre vorwegnimmt.

Leben und Tod zusammenbringen

So gesehen verwundert es nicht, dass Hujar seine Porträts von Lebenden mit einer Werkserie einbalsamierter Körper in den Katakomben von Palermo kombiniert. Die Bilder entstehen in den 1960er Jahren während seiner Studienreise nach Italien. Offenbar werden dabei die Weichen für sein späteres Schaffen gestellt. "Die Katakomben waren eine frühe Art, über die einzigartige Möglichkeit der Fotografie nachzudenken, Leben und Tod zusammenzubringen und sie durch momentane Einblicke zu fixieren", erklärt Kuratorin Grace Deveney bei der Ausstellungseröffnung in Venedig. Auch in der Porträtfotografie habe sich Hujar auf die Suche nach dem "Gespür des unausweichlichen Todes im Leben" begeben.


Palermo Catacombs #2, 1963 (Bild: The Peter Hujar Archive / Artists Rights Society)

Bei einem Podiumsgespräch im New Yorker Morgan Library & Museum, das 2018 im Rahmen der ersten großen Retrospektive stattfand, erzählt Fran Lebowitz von ihrer Freundschaft zu Peter Hujar – und dessen widersprüchlicher Persönlichkeit. "Peter hatte einen gewissen Sinn für Humor, er war auch schlagfertig" – doch habe er gleichwohl den Eindruck von Verlorenheit vermittelt. Er sei misstrauisch gewesen, häufig auch wütend. Nicht immer traf sein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit ins Schwarze. Sie hatten sich 1971 bei einer Filmaufführung kennengelernt – Lebowitz war damals 21, er 37. "Peter hatte einen Pullover und darüber eine Tweedjacke an, und als er aufstand, sah ich, dass er dazu einen Rock trug, eine Art karierter Faltenrock, der bis zu den Knöcheln reichte. Das war damals riskant, man hätte ihn dafür verhaften können. Als ich ihn fragte, warum er das macht, sagte er, er finde es ungerecht, dass Frauen Hosen tragen können, Männer aber keine Röcke. Es war also zumindest eine Art Versuch, Gerechtigkeit herzustellen."

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David Wojnarowicz dokumentiert Hujars Tod

Nachdem Hujar bei einem Arztbesuch in Folge seiner HIV-Infektion eine düstere Diagnose erhält, möchte ihn Lebowitz aufmuntern und lädt ihn in ein angesagtes Restaurant ein. "Er war deprimiert, komplett am Boden zerstört. Da kam Dolly Parton zur Tür rein. Auf einmal wurde Peter lebendig, er war wie elektrisiert. Dolly Parton! Allein diese Begegnung hat ihm den Tag gerettet." Und das, obwohl es dabei gar nicht zu einem Wortwechsel kommt – und Hujar von dem Kult um Celebritys angeblich ohnehin nichts hält.

Als er spürt, dass sein Leben zu Ende geht, beginnt Peter Hujar mit der Planung seiner eigenen Beerdigung. "Peter suchte einen Priester auf, obwohl ich mich nicht an ihn als eine religiöse Person erinnere", so Lebowitz. "Er wählte den teuersten katholischen Friedhof im ganzen Land aus, aber er wollte einen schlichten Eichensarg, wie bei den orthodoxen Juden". Die Suche nach einem Bestattungsinstitut stellt sich als schwierig heraus. Aufgrund des Stigmas von HIV und Aids ist am Ende nur ein Unternehmen bereit, Hujar beizusetzen.

Als dieser am 25. November 1987 im Cabrini Medical Center an einer aidsbedingten Lungenentzündung stirbt, ist David Wojnarowicz bei ihm. Für Wojnarowicz ist Hujar nicht nur ein Freund und ehemaliger Liebhaber, sondern auch ein künstlerischer Mentor. Wenige Momente nach Hujars Tod nimmt Wojnarowicz 23 Fotos von seinem Leichnam auf, von Kopf bis Fuß. Die Aufnahmen werden im Zusammenhang mit der Aids-Krise zu einem bedeutenden Teil der Kunst- und Dokumentationsgeschichte – nicht nur als Gedenken an Hujar, sondern auch als Zeugnis seines fortwährenden Einflusses.

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