https://queer.de/?50900
Interview
Wie hat Ihnen das Berghain gefallen, Stephen Fry?
Im neuen Film "Treasure – Familie ist ein fremdes Land" spielt Stephen Fry einen Holocaust-Überlebenden. Wir sprachen mit dem schwulen Schauspieler über ernste Themen und Humor, seinen österreichischen Pass, hetero Rollen und das Berliner Nachtleben.
- Von
11. September 2024, 03:31h 6 Min.
Er ist ein guter Freund von King Charles und gilt in seiner Heimat als Kultfigur. Stephen Fry, geboren 1957, arbeitet als Schauspieler, Autor, Regisseur, Comedian und Moderator – auf X zählt er knapp zwölf Millionen Follower*innen.
Als einer der ersten britischen Künstler*innen machte Fry in den 1980er Jahren seine Homosexualität öffentlich. Eine Glanzrolle gab er als Titelheld in "Oscar Wilde". Doch in seinen 60 TV-Auftritten und 50 Filmen sind queere Rollen erstaunlich dünn gesät.
Nun erlebt man Stephen Fry als Holocaust-Überlebenden im Vater-Tochter-Drama "Treasure – Familie ist ein fremdes Land" von Julia von Heinz, das am 12. September 2024 in die deutschen Kinos kommt. Bei der Weltpremiere im Februar auf der Berlinale kündigte der 67-Jährige einen Besuch im Berghain an. Nun wollten wir von ihm wissen, was daraus geworden ist.
Mister Fry, beim letzten Gespräch haben Sie Ihr deutsches Lieblingswort verraten: "oberaffenturbotittengeil". Können wir diesmal auf Deutsch reden?
Ich würde unser Gespräch lieber auf Englisch führen, weil meine Grammatik in Deutsch absolut schrecklich ist. Wobei ich mittlerweile ein Deutscher geworden bin, zumindest fast. Ich besitze einen österreichischen Pass und die doppelte Staatsbürgerschaft.
Wie kam es dazu?
Sowohl Österreich als auch Deutschland bieten Nachfahren von unter der NS-Herrschaft ermordeten oder verfolgten Juden die Möglichkeit, die Staatsbürgerschaft zu beantragen. Ich habe keine direkten deutschen Vorfahren, Mein Großvater war Ungar, und ich bin nicht sehr interessiert an der ungarischen Staatsbürgerschaft, solange Viktor Orban an der Macht ist. Aber meine Großmutter kam aus Wien. Also habe ich dieses Programm genutzt und sehr schnell und einfach die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen. Ich bin sehr stolz darauf, ein stolzer Österreicher und ein stolzer Brite zu sein.
Das hilft Ihnen auch gegen Warteschlangen an der Grenze, wenn man in die EU einreist….
Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Schengen. Das war für mich nicht der Grund, aber es ist ein erfreulicher Nebeneffekt.
Bei der "Treasure"-Weltpremiere auf der Berlinale sagten Sie, Sie müssten unbedingt eine Nacht im Berghain verbringen. Was war das Ergebnis?
Wissen Sie was? Ich schäme mich, zu gestehen, dass ich nach unserer Premieren-Party im Soho House einfach zu müde war. Ich dachte, ich würde dem Ort nicht gerecht werden. Ich hatte das Glück, auf der Gästeliste eines DJs zu stehen, was selten vorkommt. Zwei Wochen vorher wurde Elon Musk abgewiesen. Sie ließen ihn nicht rein. Unglaublich, ich liebe das. Aber ich hoffe, wiederzukommen, wenn ich weniger müde bin.

Stephen Fry und Lena Dunham in "Treasure – Familie ist ein fremdes Land" (Bild: Łukasz Bąk / Alamode Film)
"Treasure" bietet etliche Pointen. Wie wichtig ist Humor bei einem solch ernsten Thema wie dem Holocaust?
Es ist immer riskant, Verallgemeinerungen über Kultur und Menschen zu machen. Aber wenn es ein Volk gibt, das Humor im Angesicht von Widrigkeiten nutzt, dann sind es die Juden. In Russland, Polen und Galizien, als es wieder Pogrome gab, nahmen sie ihre Geige, ihre Schachbücher, die heiligen Bücher und ihren Sinn für Humor mit. Das ist in ihrer Literatur, Musik, ihren Theaterstücken und ihrer Kultur deutlich zu sehen. Manchmal sind die Witze sehr dunkel. Es gibt einen Lieblingswitz des ungarisch-jüdischen Physikers Johannes von Neumann. Ein polnisches Mädchen wird in Polen vergewaltigt und ermordet. Im nahegelegenen Schtetl rennen alle Juden zur Synagoge, um zu besprechen, wie sie damit umgehen sollen, da sie wissen, dass sie dafür verantwortlich gemacht und bestraft werden. Der Präsident der Synagoge kommt freudig angerannt und sagt: "Keine Sorge, das Mädchen war jüdisch." Ein sehr dunkler Witz, aber viele Juden finden ihn treffend, weil es die Natur des Sündenbocks widerspiegelt.
Sie sind als Comedian längst Kult. Welche Rolle spielt Humor für Sie selbst?
Oscar Wilde sagte einmal: "Er ist nicht ernst genug, um Humor zu haben." Humor begleitet uns in den schwierigsten Zeiten. Ein Sinn für Humor zeigt eine absolute Verbindung zur Wahrheit der Dinge, und deshalb lachen wir. Es ist die wunderbarste menschliche Reaktion. Wenn ich einen Film ohne Humor sehe, ist es, als hätten die Schauspieler keine Nasen. Humor und Ernsthaftigkeit gehen Hand in Hand. Humor zeigt eine tiefe Verbindung zur Wahrheit. Das Lachen ist eine wunderbare menschliche Reaktion und bedeutet nicht, dass man Dinge nicht ernst nimmt. Selbst in den schrecklichsten Situationen bleibt der menschliche Geist stark. Beethovens Musik, besonders der Wechsel von Moll zu Dur, symbolisiert diesen Triumph. Selbst in einer Welt voller Leid und Ungerechtigkeit gibt es etwas in uns, das dagegen ankämpft. Und es bedeutet sicherlich nicht, dass man Dinge nicht ernst nimmt. Um wieder mit Oscar Wilde zu sprechen: "Wenn du Dinge wirklich ernst nimmst, wirst du vieles darin finden, worüber du lachen kannst."
Erinnern Sie sich an Ihre Gefühle, als Sie das erste Mal ein Konzentrationslager besuchten?
Sehr deutlich. Auschwitz war das erste Konzentrationslager, das ich besuchte. Ich war überrascht, wie ordentlich und offen es war. Ich hatte riesige Mauern erwartet, dieses Gefühl der Bedrohung, das alles bedrohlich überragt. Aber es war alles so geplant, um die Opfer ruhig und hoffnungsvoll zu halten. Teil des Schreckens war die Täuschung. Die Soldaten dort wollten nicht, dass die Juden, die zu ihrem Tod geführt wurden, schrieen und in Panik gerieten. Sie wollten sie ruhig und hoffnungsvoll halten. Also lächelten sie, als die Leute aus dem Zug stiegen, und sagten, Sie kommen hier entlang, der Arzt wird Sie untersuchen, und vergessen Sie nicht, Ihre Sachen mitzunehmen. Als sie sie zu den Duschen führten, die wir jetzt als Gaskammern kennen, sagten sie sogar: "Hängen Sie Ihre Kleider auf und merken Sie sich die Nummer Ihres Hakens, weil Sie zurückkommen wollen". Diese banale, organisierte Art des Bösen hat mich schockiert.
|
Sie haben über 60 TV-Shows gemacht und mindestens 50 Filme. Abgesehen von einer queeren Doku "Out There" und der Rolle des Oscar Wilde gibt es nicht viele Projekte mit schwulen Themen. Obwohl Sie sagten, Sie seien es leid, Heterosexuelle zu spielen. Was ist passiert?
Ich erinnere mich nicht daran, das gesagt zu haben. Ich habe ein paar schwule Rollen gespielt, aber es gibt tatsächlich nicht viele davon. Ich möchte sicherlich keine schwulen Liebesszenen in meinem Alter mehr machen. (lacht) Ich kann mich wirklich nicht daran erinnern, das gesagt zu haben. Das klingt sehr untypisch für mich. Ich denke nicht in solchen Kategorien, ich möchte dies oder das spielen. Vielleicht habe ich nur einen Scherz gemacht darüber, warum ich immer als Heterosexueller besetzt werde. Ich bin wahrscheinlich nicht camp genug, das ist es, was ich gesagt habe. Die Leute denken nicht unbedingt an mich als schwules Klischee, was sowohl gut als auch schlecht ist. Ich bin einfach dankbar, wenn ich ein Drehbuch bekomme, und freue mich über interessante Rollen. Ich weiß, was ich kann und was nicht. Ich bin kein Filmstar. Aber manchmal bekomme ich eine größere oder ungewöhnliche Rolle, wie Eddie oder Oscar Wilde.
Sie haben 17 Bücher geschrieben, welche Rolle spielt dieses Schaffen für Sie?
Wenn ich nicht alle anderthalb Jahre ein Buch schreibe, werde ich nervös. Es ist, als ob ich mich wie eine schwangere Person fühle oder wie eine Kuh, die gemolken werden muss. Vielleicht ist das eine bessere Analogie. Meine Euter und Zitzen jucken, und ich muss das rauslassen. Es ist ein Privileg, verschiedene Projekte machen zu können. Manche Leute mögen Routine, aber ich brauche Abwechslung und neue Erfahrungen. Manchmal hat man das Gefühl, wenn man sich morgens die Zähne putzt oder Tassen in die Spülmaschine stellt, dass man denkt: Moment mal, das habe ich doch gestern schon gemacht. Warum mache ich es nochmal? Man hat das Gefühl, dass alles, was man tut, kreativ und neu sein sollte.
Mehr queere Kultur:
» auf sissymag.de
05:35h, ProSieben:
Die Simpsons
Folge 308: Homer auf Irrwegen – Homer verlässt seine Familie und zieht bei zwei Schwulen ein, doch das macht ihn auf Dauer nicht glücklich.
Zeichentrick, USA 2003- mehr TV-Tipps »
















