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Literatur

Für die queere Dystopie "Napalm im Herzen" braucht man starke Nerven

Der katalanische Autor Pol Guasch erzählt in seinem preisgekrönten Debütroman "Napalm im Herzen" von einem schwulen Liebespaar, das sich nach einer apokalyptischen Explosion auf die Flucht begibt.


Pol Guasch, 1997 in Tarragona geboren, veröffentlichte 2021 seinen Debütroman "Napalm al cor". Im Januar 2024 publizierte er mit "Ofert a les mans, el paradís crema" seinen zweiten Roman (Bild: Maria Ródenas)

Napalm ist eine klebrige, zähe Masse: ein Brandstoff, der sich an Oberflächen haftet und schwer zu löschen ist. Seine zerstörerische Kraft steht für die Grausamkeit moderner Kriegsführung, und so lässt bereits der Titel erahnen, dass "Napalm im Herzen" (Amazon-Affiliate-Link ) eine verstörende Geschichte erzählt. Tatsächlich entpuppt sich Pol Guaschs Roman als finstere Dystopie, die seinem Lesepublikum starke Nerven abverlangt.

Von den ersten Seiten an macht sich der Gestank von Verwesung bemerkbar. Nach einer apokalyptischen Explosion liegt die Zivilisation in Trümmern: "Ein ohrenbetäubender Knall, ein blendendes Licht aus der Fabrik, das stundenlang den Himmel verschleierte, dann Stille." Am Tag danach treiben Schwärme lebloser Fische an der Oberfläche, Scharen toter Vögel bedecken den Boden. Wälder werden abgeholzt, um dort Leichengruben auszuheben.

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Überleben nach der Katastrophe


"Napalm im Herzen" ist im Juli 2024 im Wallstein Verlag erschienen

Am Horizont ragen Wolkenkratzer mit zersplitterten Glasfassaden in den Himmel. Bewaffnete Männer mit Glatzköpfen, die eine fremde Sprache sprechen, übernehmen die Macht und terrorisieren die verbliebene Bevölkerung. Das berichtet zumindest der namenlose Protagonist und Ich-Erzähler, der als heranwachsender junger Mann mit seiner Mutter auf einem Hügel am Rande der Stadt lebt, oder vielmehr: überlebt.

Den Vater, dem er nie Mann genug war, hat er längst vor der Katastrophe an einem Strick baumelnd in der Küche vorgefunden. Nun weist ihn die Mutter an, die Leiche des jüngst verstorbenen Großvaters zu zerhacken und im Garten zu vergraben, in der Hoffnung, dass die sterblichen Überreste im Existenzkampf als Dünger für das dort angebaute Gemüse dienen – eine eindringliche Metapher für die Dynamik seiner Familiengeschichte, die sich fortan auf die Beziehung des Sohnes zur Mutter zuspitzt und die Frage aufwirft, warum diese die Sprache der kahlköpfigen Unterdrücker beherrscht.

Schwule Liebe im Ausnahmezustand

So hoffnungslos die Situation für ihn auch ist: Lebensmut schöpft der junge Held aus seiner Liebe zu dem gleichaltrigen und von der Mutter misstrauisch beäugten Boris, der in der Stadt lebt und den er seit der Katastrophe vor mehr als neunhundert Tagen nicht mehr gesehen hat. Die Erinnerungen an ihn treiben ihn an: an dessen Geruch, an die "glänzenden schwarzen Augen wie der Laich wilder Fische" und an den gemeinsamen sexuellen Höhepunkt in einem Versteck neben der Wiese: "Es war gewaltig, wie die Geburt oder der Tod der Sterne, eine Explosion im Grünen, während die Kuh neben uns graste."

Im Lockdown des Ausnahmezustands schreiben sich die beiden Briefe. Nach einem brutalen Mord, dessen Schilderung die Grenze zwischen Opfer und Täter verwischt, kommt es zu einem Wiedersehen – und zur gemeinsamen Flucht durch das zerstörte Land, mit einer Leiche auf dem Rücksitz. Dabei begegnen sie anderen Flüchtenden; sie treffen auf Sklavenhalter, werden von der Miliz aufgehalten und stoßen schließlich auf eine Sekte, die ihr Heil im Anbau einer Droge findet.

All das wird in atemberaubendem Tempo beschrieben, mit der Liebe zum Poetischen wie auch zu abschweifenden Details. An einer Stelle dehnt der Protagonist die Hochspannung mit einer eingeschobenen Meditation, in der er den Bild- und Gedankenstrom einer einzigen Sekunde beschreibt: "In dem winzigen Augenblick, des es braucht, 'Ja' zu sagen, sah ich die Mikroben in meiner Mutter vor mir, ihre Farben und Formen, die hauchdünnen gekringelten Röhren, prall gefüllten Säcke, mit Stacheln gespickten Hüllen, gelatineartigen Membranen und die langgezogenen Geißeln, mit denen sie sich fortbewegen."

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Eine literarische Symphonie des Schreckens

Der 1997 in Tarragona geborene Autor Pol Guaschs legt mit "Napalm im Herzen" ein fulminantes Debüt hin: eine literarische Symphonie des Schreckens, in der zwar der Glaube an die Liebe aller Hoffnungslosigkeit trotzt, die Unterscheidung zwischen Gut und Böse sich jedoch aufzulösen beginnt. In Spanien erhielt er als bisher jüngster Preisträger den Anagrama Award für den besten Roman des Jahres. Guaschs Sprache zeichnet sich nicht nur durch Einfallsreichtum und Bildhaftigkeit aus, sie verbindet sich zudem mit einer innovativen Erzählstruktur: Die Chronologie der atmosphärisch dichten Handlung wird durch eingefügte Sequenzen aufgebrochen, in denen sich unterschiedliche Perspektiven in Raum und Zeit spiegeln. Schockeffekte tun ihr übriges.

An einer Stelle im Buch heißt es: "Zwischen Wunsch und Wirklichkeit versteckt sich zusammengerollt die Hysterie, und die muss man beherrschen, sonst wird der Körper zu einem unbewohnbaren Fest." Zumindest beim Lesen von "Napalm im Herzen" kommt uns diese Erkenntnis erschreckend nahe.

Infos zum Buch

Pol Guasch: Napalm im Herzen. Roman. Aus dem Katalanischen übersetzt von Kirsten Brandt. 270 Seiten. Wallstein Verlag. Göttingen 2024. Gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag: 22 € (ISBN 978-3-8353-5695-5). E-Book: 17,99 €
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