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Interview
"Wir engagieren keine Leute ausschließlich aufgrund ihrer Identität"
Die neue queere ARD-Serie "Schwarze Früchte" setzt Maßstäbe in Sachen Diversität. Im Interview erzählt Head-Autor und Hauptdarsteller Lamin Leroy Gibba, warum es für Menschen wie ihn nur wenige Rollen gibt und weshalb es so schwierig ist, ein vielfältiges Team zu finden – es sich aber lohnt.

Lamin Leroy Gibba als Laro in "Schwarze Früchte". Die Serie kann seit 18. Januar 2024 in der ARD-Mediathek gestreamt werden (Bild: ARD Degeto / Jünglinge Film / Studio Zentral / Louis Malcolm Saidou Reiss)
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26. Oktober 2024, 14:25h 8 Min.
Lamin, kannst du "Schwarze Früchte" in einem einzigen Satz zusammenfassen?
In "Schwarze Früchte" geht es um zwei Schwarze und queere Friends, die versuchen, ihr Leben auf die Reihe zu kriegen, wobei aber immer wieder Chaos ausbricht.
Und eine dieser Figuren, Lalo, spielst du. Aber du bist auch Head-Autor. War schon gleich klar, dass du die Hauptrolle in deiner Serie spielst?
Ja, ich habe die Serie von Anfang an als ein Projekt entwickelt, in dem ich auch spiele. Das habe ich auch mit den Produktionsfirmen direkt besprochen, und sie haben von Anfang an das Potential in der Kombination von diesen Positionen gesehen.
Wie war es für dich, dir selbst eine Rolle zu schreiben?
Während meines Schauspielstudiums habe ich angefangen, Theaterstücke und Kurzfilme zu schreiben, in denen ich auch mitgespielt habe. Das Schauspielstudium war für mich wirklich toll, weil ich über vier Jahre an meinem Handwerk arbeiten und spannende Rollen spielen und vieles ausprobieren konnte. Aber die Realität der Branche, selbst in Amerika wo ich studiert habe, war trotzdem die, dass mir als Schwarzer und sichtbar queerer Schauspieler nur eine ziemlich limitierte Anzahl von Rollen zur Verfügung standen. Ich wollte aktiver darin werden, Teil von interessanten Projekten zu sein, in denen ich komplexe Figuren spielen kann, die in der Geschichte wirklich Raum einnehmen. So hab ich angefangen, mehrere verschiedene Projekte zu entwickeln, und eins davon ist "Schwarze Früchte".
Was hast du denn mit Lalo gemeinsam und wo unterscheidet ihr euch?
Uns verbinden die Grundpfeiler: Unsere Identität, dass wir beide queer, aus Hamburg und Schwarz sind. Und natürlich gibt es viele Details in Lalo, aber auch in allen anderen Figuren der Serie, mit denen ich connecten kann. Es ist aber kein autobiografisches Projekt. Es war mir wichtig, eine Figur zu erschaffen, die anders ist als ich und die auch herausfordernd ist zu spielen.
Und worin unterscheidet ihr euch?
In den meisten Aspekten unterscheiden wir uns. Der naheliegendste Unterschied ist, dass eine bestimmte Ziellosigkeit ein großes Thema für Lalo ist, während ich sehr früh wusste, was ich mit meinem Leben machen will. Ich habe meinen Eltern schon mit vier Jahren gesagt, dass ich Schauspieler werden will. Im Kindergarten war ich in einer Theatergruppe, in der Schulzeit auf einer Jugendschauspielschule, dann war ich im Jungen Schauspielhaus in Hamburg, und nach dem Abi habe ich angefangen, Schauspiel zu studieren. Ich hatte früh diese Klarheit, die Lalo nicht hat. Er hat zwar auch eine bestimmte Art von Tatendrang und Ehrgeiz, aber er ist noch ein bisschen richtungslos. Er hat dann die Idee, Künstler zu werden, aber was genau das für ihn bedeutet, weiß er auch noch nicht so genau.
Kannst du den Titel "Schwarze Früchte" erklären?
Der Titel stand von Anfang an fest, noch bevor ich die genaue Handlung wusste. Für mich fängt er die Tonalität der Serie ein. Ich wollte einen Titel finden, der eigentlich so ist wie die Serie selbst: offen für Interpretationen. Die Serie stellt viele Fragen. Wir wollten nie so erzählen, dass man das Gefühl hat, wir sagen: Das ist die eine Wahrheit, oder genau so sollst du Lalo oder Karla finden. Durch Fragen liegt die Deutung der Geschichte und ihrer Figuren letztendlich beim Publikum, die alles durch den Filter ihrer eigenen Erfahrungen und Werte erlebt. Das ist das, was ich am Geschichtenerzählen spannend finde.
Es geht in der Serie vor allem um junge Queers und People of Color. Ist die Serie trotzdem für eine ganz breite Zielgruppe interessant?
Absolut. Je spezifischer Geschichten erzählt werden, desto universeller sind sie. Außerdem glaube ich, es ist für jeden spannend, darüber nachzudenken, wo man im Leben hinwill und in welchen Beziehungsdynamiken man feststeckt oder was die eigene Vergangenheit mit dem Jetzt zu tun hat. Das sind die Dinge, die die Figuren in unserer Serie beschäftigen. Ich finde es voll wichtig, dass "Schwarze Früchte" innerhalb des Mainstreams in der ARD-Mediathek läuft, wo wirklich jede Person in Deutschland Zugang zu ihr hat und einschalten kann. Wir haben uns beim Schreiben und Inszenieren die Perspektiven des Publikums so vorgestellt wie die der Figuren und deshalb haben wir die vielen Details ihrer Lebensrealitäten nicht erklärt, sondern gezeigt. Auch als Zuschauer bin ich auch voll interessiert an Serien und Filmen, wo ganz spezifische Geschichten erzählt werden, die ich durch die Erzählung mit Authentizität miterleben kann, ohne dass ich als Zuschauer bedacht werde, dem alles erklärt werden muss.
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Aber es geht ja auch um Rassismus, Sexismus oder Queerfeindlichkeit. Wie schwierig ist es, solche Themen in der Serie zu thematisieren, ohne moralisch rüberzukommen?
Ich habe das gar nicht als Themen gesehen, die ich bewusst reinpacke. Das gehört zu den Lebensrealitäten der Figuren, weil Rassismus, Sexismus und Queerfeindlichkeit in unserem gesellschaftlichen System verankert sind.
Es ist ja oft ein schmaler Grat, Diskriminierungen darzustellen. Wie seid ihr damit umgegangen?
Die Regiepersonen Elisha Smith-Leverock, David Uzochukwu und ich haben viel darüber gesprochen, wie wir schwierige Situationen wie Diskriminierung, Rassismus, Sexismus oder Queerfeindlichkeit darstellen wollen und wie nicht. Das sind Realitäten, die wir abbilden und verhandeln wollen, aber natürlich ist es nicht unser Ziel, Menschen zu retraumatisieren. Wir wollten aber bestimmte Erfahrungen sichtbar machen und dass betroffene Personen sich gesehen fühlen. Da ging es auch um Fragen, wie und wen wir in bestimmten Momenten sehen, also auf wem die Kamera ist, wie nah wir bestimmten Figuren sind, und was wir auch einfach nicht zeigen.
Das klingt ziemlich schwierig.
Ja, das ist nicht einfach, und ich glaube, letztendlich kann man selbst nicht sagen, ob man das geschafft hat oder nicht. Weil das ja total abhängig vom Publikum ist, wo man natürlich nicht jede Person kennt und weiß, wie sie reagieren werden. Es werden sowieso ganz, ganz unterschiedliche Reaktionen zur Serie kommen, zu den verschiedensten Themen und wie bestimmte Dinge abgebildet sind oder die Art wie die Figuren die Welt navigieren. Und das war auch das Ziel: Wir hoffen, dass sich Zuschauer*innen über die Serie austauschen und dabei mehr übereinander herausfinden.
Nicht nur der Cast von "Schwarze Früchte" ist sehr divers. Auch die ganze Crew hinter der Kamera besteht aus Queers und/oder People of Color. Warum ist das wichtig gewesen?
Das war von Anfang gesetzt für mich, die Produktionsfirmen und die ARD. Denn es war einfach total wichtig, dass die Perspektiven, die vor der Kamera abgebildet sind, auch maßgeblich hinter der Kamera abgebildet werden: Einmal natürlich, weil die Personen einen direkten Zugang zu den Lebensrealitäten der Figuren haben, aber natürlich ist es auch total wichtig, dass Personen, die innerhalb der Branche marginalisiert sind, wirtschaftlich von diesem Projekt profitieren können.
Jetzt könnte man polemisch sagen: Ist nicht ein heterosexueller Kameramann besser als ein schwuler, wenn er schönere Bilder dreht?
Das ist immer der Trugschluss in solchen Debatten. Denn wir engagieren ja keine Leute, die nicht gut sind, und ausschließlich aufgrund ihrer Identität. Es ist eine Entscheidung, dass man sein Team diskriminierungskritisch besetzt. Weil marginalisierte Filmschaffende systematisch Ausschlüsse erfahren und dadurch unsichtbar gemacht werden, muss man natürlich viel aktiver suchen. Wir haben viel über Social Media und mit Mailverteilern gesucht, und wir haben unglaublich viele tolle Leute gefunden. Man muss einfach extra Arbeit investieren und eine Entscheidung darüber treffen, ob man die Vielfalt unserer Gesellschaft vor und hinter der Kamera abbilden will oder die diskriminierenden Strukturen weiter bedient. Letzteres braucht keine aktive Entscheidung, denn so funktioniert das System automatisch.
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Das hatte auch zur Folge, dass viele Beteiligte zum ersten Mal überhaupt in ihrer Funktion an einer Fernsehserie mitgearbeitet haben. In welchen Punkten ist das ein Vorteil?
Das Team besteht aus extrem talentierten Leuten, die in den meisten Fällen bisher wenige bis keine Chancen hatten, an einer Fernsehserie zu arbeiten. Es war krass zu sehen, mit wie viel Leidenschaft sie ihre verschiedene Handwerke diesem Projekt geschenkt haben. Alle haben wirklich für dieses Projekt gebrannt. Das war bestimmt auch verbunden mit dem Gefühl, dass man Teil von einem Projekt ist, das Perspektiven zentriert, die man selbst lange im deutschen Film und Fernsehen vermisst hat.
An manchen Punkten macht sich eine fehlende Routine aber sicher auch bemerkbar, oder?
Ja, bestimmt. Man lernt beim ersten Mal immer viele Sachen. Aber es gab auch viel Vorarbeit und Austausch mit erfahrenen Leuten. Und das Wichtigste ist, dass man Bock hat auf ein Projekt und dass man sich einbringt mit dem, was man kann. Talent und die Lust, etwas zu erzählen, sind viel wichtiger als genau zu wissen, wie man eine Dispo liest. Das eignet man sich relativ schnell an.
Das ist also sowohl inhaltlich als auch von den Hintergründen ein ziemlich untypisches Projekt fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen. Wie lief die Zusammenarbeit mit der ARD?
Es war eine echt sehr gute Zusammenarbeit mit der ARD Degeto und der Mediathek. Ich hatte schon bei unserem allerersten Meeting, als ich die Serie gepitched hab, das Gefühl, dass die Redakteur*innen vom Sender die Vision für "Schwarze Früchte" gesehen haben. Ihr Feedback war immer voll hilfreich und sie haben uns über die Jahre ein großes Vertrauen entgegengebracht. Wir hatten absolute kreative Freiheit und konnten die Geschichte und die Vision für die Serie so umsetzen, wie wir es wollten.
Links zum Thema:
» "Schwarze Früchte" in der ARD-Mediathek
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