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Lyrik

"Meine Kerze brennt an beiden Enden"

Das Werk der bisexuellen Dichterin Edna St. Vincent Millay (1892-1950) wirkt auch heute noch berührend und lohnt allemal, aufs Neue entdeckt zu werden. Ihre letzten Gedichte gibt es nun in deutscher Übersetzung.


Edna St. Vincent Millay im Jahr 1914 (Bild: Arnold Genthe / wikipedia)

Queere Menschen gab es schon lange bevor Menschen anfingen, sich so zu bezeichnen. Denn, was heißt queer sein? Zum Beispiel sich die Freiheit nehmen, selbstbestimmt zu leben, sich nicht um Normen zu scheren, unangepasst zu sein, das Leben nicht als Pflichtprogramm misszuverstehen. Das verlangt Selbstbewusstsein und wohl auch eine große Portion Widerstandskraft. Eine, die damit schon in jungen Jahren sehr gut ausgestattet war, war die US-Amerikanerin Edna St. Vincent Millay (1892-1950).

Weil sie dazu noch ein außergewöhnlich kreativer Mensch war, hat sie ihrer sexuellen Selbstbestimmtheit und ihrem Freiheitsdrang auch eine lyrische Sprache verliehen und darüber rebellische und ausdrucksstarke Gedichte geschrieben. Die waren so gut, dass sie sofort zum Shooting Star unter den Dichter*innen des Jazz-Zeitalters wurde.

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Das "böse Mädchen" der US-amerikanischen Literatur

Verszeilen von ihr wurden fast wie Schlager zitiert – "Meine Kerze brennt an beiden Enden / Sie wird die Nacht nicht überdauern." Nichts weniger als ihr exzessives Leben klingt darin unüberhörbar an. Sie begehrte Frauen und Männer zugleich, ausgiebig und hemmungslos, ließ Konventionen links liegen – und sie, dieses "böse Mädchen" der US-amerikanischen Literatur, faszinierte tatsächlich auch alle.

Noch zu Lebzeiten sank jedoch ihr Stern. Die jugendliche Femme fatale mit grünen Augen und rötlichem Haar, klein und zierlich ihr Körper, war für sie jedenfalls keine Rolle auf Dauer. Das exzessive Leben blieb nicht spurlos. Auch Sterne kommen bekanntlich ins Alter, und ihr Leuchten wirkt mitunter noch lange nach, während sie selbst längst nicht mehr existieren. Was also bleibt sind glücklicherweise Ednas Gedichte. Und weil es Menschen gibt, denen viel daran liegt, dass ihre aufbegehrende Stimme auch heute noch gehört wird, landen immer wieder mal neue Ausgaben auf dem Büchertisch, die uns das Leuchten zurückbringen.

Ihre letzten Gedichte sind neu auf Deutsch erschienen


Der zweisprachige Gedichtband "Journal" ist im Juli 2024 im Verlag Urs Engeler erschienen

Wie der Zufall es will, sind es gerade die letzten Gedichte, die sie vermutlich in ihrem Todesjahr 1950 schrieb und mit "Journal" (Amazon-Affiliate-Link ) betitelte, die jetzt im handlichen Format in einer zweisprachigen Ausgabe vorliegen. Übersetzt hat die Verse Günter Plessow, und erschienen ist das Büchlein im Verlag Urs Engeler.

Im selben Verlag ist auch die Gedichtsammlung "Love is not all" (Amazon-Affiliate-Link ) vor einigen Jahren erschienen. Anders als im "Journal", dem abgeklärten "Alterswerk", finden wir dort all das Rebellische und Queere, für das sie sowohl mit ihrem Leben als auch mit ihrer Kunst einstand. Nicht unerwähnt sei, dass sie Einlass gefunden hat im New Yorker LGBTI Historic Sites Project. Und ebenso erwähnt sei die von Ernst Osterkamp im Deutschen Kunstverlag herausgegebene Bild-Biografie (Amazon-Affiliate-Link ).

Wahrscheinlich fühlte Edna das nahe Ende, wenn es im "Journal" heißt, der Tod werfe "wie Mehltau" seinen Schatten auf die Tage. Und so fragt sie:

Besteht vielleicht ein Auf & Ab
von Gott und Teufel, und ich hab'
die Sicherheit, die ich gewann,
längst eingebüßt in meinem Wahn,
mich ganz zu machen? Speie ich
auf meine Seele eigentlich?

Dazu rückblickend die ernüchternde Einsicht:

Das Ich, das denkt, ist aufgeschmissen,
kann von Anfang an nicht wissen,
nicht ermessen, was ihm blüht –
sein Menschenmaß liegt im Gemüt.

Ja, all das, was uns Edna hinterlassen hat, im jugendlichen Furor wie in der Todeserwartung und Gelassenheit des Alters, wirkt berührend und lohnt allemal, aufs Neue entdeckt zu werden.

Noch ein Wort zum Schweizer Verlag Urs Engeler, der sich seit Jahrzehnten als Anwalt der Poesie betätigt. Erschienen ist dort auch der Gedichtband "Mental Voodoo" von Logan February. Hinzugekommen ist inzwischen und gerade frisch erschienen auch ein Band mit Gedichten von James Baldwin (Besprechung folgt demnächst). Seit mehr als dreißig Jahren widmet sich der Verleger Urs Engeler der Lyrik – ein Geschäft, mit dem man kaum etwas verdienen kann, und bei dem Passion und Selbstausbeutung nahe beieinander liegen. Ein Glück für Dichter*­innen wie für Leser*­innen, dass es solch besessene Menschen gibt.

Infos zum Buch

Edna St. Vincent Millay: Journal. Gedichte. Amerikanisch und Deutsch. Übersetzt von Günter Plessow. 84 Seiten. Verlag Urs Engeler. Schupfart 2024. Taschenbuch: 10 € (ISBN 978-3-90736-934-0)

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