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Sorge vor Abrutschen in die Diktatur
Georgien nach der Wahl: "Wir sind Opfer einer russischen Operation"
Die Südkaukasusrepublik Georgien hat bei einer Schicksalswahl auch über den Kurs der Queerpolitik bestimmt. Über das Ergebnis gibt es Streit. Die prowestliche Opposition will auf die Straße gehen.

Präsidentin Salome Surabischwili will den angeblichen Wahlsieg der Regierung nicht akzeptieren (Bild: IMAGO / ITAR-TASS)
- 28. Oktober 2024, 08:53h 4 Min.
Die georgische Präsidentin Salome Surabischwili hat das Ergebnis der Parlamentswahl in ihrem Land am Sonntag als durchgehend verfälscht kritisiert und zu Protesten aufgerufen. "Ich erkenne diese Wahl nicht an – das ist nicht möglich. Das ist dasselbe, als würde man die russische Übernahme Georgiens anerkennen", sagte die queerfreundliche Politikerin in Tiflis und rief für Montag zu Protesten auf. "Wir sind Zeugen und Opfer einer russischen Operation, einer modernen Form des hybriden Krieges gegen das georgische Volk."
Zuvor hatte die Wahlkommission die regierende Partei des reichsten und mächtigsten Mannes im Land, Bidsina Iwanischwili, mit knapp 54 Prozent der Stimmen zur Siegerin erklärt. Damit spitzt sich in dem kleinen Nachbarland Russlands im Südkaukasus der Konflikt zwischen der prowestlichen Opposition und der zunehmend rechtspopulistischen und queerfeindlichen Regierungspartei zu.
Internationale Beobachter*innen bemängelten zahlreiche Unregelmäßigkeiten bei der Wahl vom Samstag. Drei Oppositionsbündnisse erklärten, sie würden ihre Mandate nicht antreten. "Wir werden dem Stimmendiebstahl am georgischen Volk keine Legitimität verleihen, wir geben unsere Parlamentsmandate ab", sagte etwa Nana Malaschchia von der Koalition für Wandel laut Medienberichten.
Iwanischwili dagegen hatte sich schon kurz nach Schließung der Wahllokale in Tiflis als Sieger präsentiert. Die traditionell gespaltene Opposition befürchtet, dass sich Georgien unter Führung des in Moskau reich gewordenen Oligarchen noch stärker dem Nachbarn Russland zuwendet und endgültig von seinem EU-Kurs abkommt.
Insgesamt waren rund 3,5 Millionen Georgier*innen im In- und Ausland zur Stimmabgabe aufgerufen. Die Wahlbeteiligung lag nach vorläufigen Angaben bei rund 59 Prozent – drei Prozentpunkte höher als 2020. Das Land am Schwarzen Meer hat 3,7 Millionen Einwohner*innen und ist seit Ende 2023 EU-Beitrittskandidat. Der Beitrittsprozess liegt aber wegen umstrittener Gesetze auf Eis.
Regierungspartei schürte Ängste vor Krieg mit Russland und vor queeren Menschen
Die Regierungspartei Georgischer Traum versprach im Wahlkampf Frieden und Stabilität – und schürte Ängste vor einem Krieg mit Russland, sollte die Opposition gewinnen. Zudem hat die Regierung erst kurz vor der Wahl ein Gesetz gegen "LGBT-Propaganda" nach russischem Vorbild beschlossen (queer.de berichtete). Die EU wirft der Führung des Landes zudem einen antieuropäischen Kurs vor. So hatte die Regierung trotz massiver Proteste auch ein russisches Gesetz zur Kontrolle der Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen und Medien praktisch kopiert.
Regierungschef Irakli Kobachidse wies Vorwürfe einer Wahlfälschung zurück. "Unser Sieg ist offensichtlich", sagte er. Die Opposition habe auch bei den vergangenen Abstimmungen nie die Größe gehabt, ihre Niederlage einzuräumen. Die Partei Georgischer Traum regiert seit 2012.
Kobachidse erhielt Glückwünsche zum Sieg von autoritären Anführern: sowohl vom ungarischen Regierungschef Viktor Orbán und von den Nachbarn im Südkaukasus, Aserbaidschans Staatschef Ilham Aliyev und Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan. Orban wird nach georgischen Regierungsangaben bereits am Montag zu einem zweitägigen Besuch in Tiflis erwartet.
Oppositionsbündnisse wollen um Sieg kämpfen
Die prowestlichen Oppositionsbündnisse kündigten an, um den Sieg zu kämpfen. Sie sind zwar untereinander zerstritten, haben als gemeinsamen Nenner aber das Ziel, den 68 Jahre alten Milliardär Iwanischwili loszuwerden und einen EU-freundlichen Kurs einzuschlagen. Die Wahlleitung habe nur Iwanischwilis Befehlen gehorcht, sagte die Chefin der Partei Vereinte Nationale Bewegung, Tinatin Bokutschawa. Die rechtlichen Möglichkeiten der aktuellen Präsidentin Surabischwili, die Vorgänge zu beeinflussen, sind aber begrenzt. Sie kann sich weigern, das neue Parlament zur konstituierenden Sitzung einzuberufen. Georgischer Traum kündigte aber an, dann laut Verfassung zehn Tage später ohne Präsidentin zum ersten Mal zu tagen.
Internationale und georgische Wahlbeobachter*innen kritisierten eine Vielzahl von Verstößen. Das proeuropäische Bündnis Myvote aus verschiedenen Nichtregierungs- und Menschenrechtsorganisationen beklagte, das Ergebnis spiegele nicht den Wählerwillen wider.
Dagegen legten sich die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) trotz mehrfacher Fragen von Journalist*innen nicht eindeutig fest, ob der Urnengang fair und frei verlaufen sei. Sie verwiesen darauf, dass es 18 Kandidatenlisten auf den Wahlzetteln gegeben haben, darunter viele Oppositionsbündnisse. Sie beklagten aber demokratische Rückschritte im Vergleich zu früheren Abstimmungen auch bei der Wahlgesetzgebung.
Die OSZE-Mission zeigte sich besorgt über zahlreiche Unregelmäßigkeiten. Die Expert*innen beklagten unter anderem Fälle von Einschüchterung der Wähler*innen, Druck auf Behörden, Gewalt gegen Beobachter*innen, Stimmenkauf, Mehrfachabstimmungen und das Stopfen von Wahlzetteln in Urnen. Die OSZE forderte eine Untersuchung und mahnte weitere demokratische Reformen an.
Zugleich lobte Missionschef Pascal Allizard die "demokratische Vitalität" in dem Land und sicherte weitere Hilfe auf dem Weg des Landes in die EU zu. Die Abstimmung sei insgesamt gut organisiert gewesen, sagte der Franzose. Auch andere Beobachter*innen hoben hervor, dass die Zivilgesellschaft insgesamt stark präsent gewesen sei, um die Stimmabgabe und die Auszählung zu kontrollieren. (dpa/cw)















