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Interview
Nehmen Sie mit dem True-Crime-Thriller eine kleine queere Auszeit, Faraz Shariat?
Der True-Crime-Thriller "Zeit Verbrechen – Love by Proxy" von "Futur Drei"-Regisseur Faraz Shariat kann ab morgen bei RTL+ gestreamt werden. Ein Gespräch über die Queerness des Films, Actionszenen und das Drehen mit Sandra Hüller.

Faraz Shariat wurde für sein autobiografisch inspiriertes Spielfilmdebüt "Futur Drei" vielfach ausgezeichnet. Er ist Mitbegründer des Filmkollektivs Jünglinge, das sich auf innovative und gesellschaftskritische Filmprojekte konzentriert (Bild: David Uzochukwu)
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5. November 2024, 11:09h 8 Min.
Geboren 1994 in Köln, aufgewachsen als Sohn iranischer Einwanderer*innen, arbeitet Faraz Shariat an einem popaffinen Kinoentwurf, der queere und migrantische Lebensrealitäten zentriert. Er inszenierte Episoden der britischen Horror-Comedy "The Baby" und entwickelt aktuell mit der queeren Lovestory "Shrimps" seinen ersten internationalen Kinofilm.
Mit seinem Debüt "Futur Drei" gelang Shariat vor vier Jahren der große Coup, zwei Teddy Awards und den First Steps Award inklusive. Mit seiner Produktionsfirma "Jünglinge" gehört er zu den Produzenten der neuen queeren ARD-Serie "Schwarze Früchte". Jetzt präsentiert er den True-Crime-Thriller "Zeit Verbrechen – Love by Proxy" mit Sandra Hüller. Nach der Berlinale-Premiere läuft der Film nun ab Mittwoch, den 6. November 2024 auf RTL+.
Wir haben uns Faraz Shariat über das Krimi-Projekt unterhalten.
Herr Shariat, soll dieser Krimi ein bisschen dafür sorgen, dass sie nach "Futur Drei" nicht in die Schublade der queeren Gallionsfigur gesteckt werden? Zuvor hatten Sie ja schon drei Folgen der Horror-Comedy-Serie "The Baby" gedreht…
Ich sehe in beiden Projekten etwas total Queeres. In meinem Ansatz sind queere Geschichten und Themen weit mehr als zwei Männer, die sich verlieben und Sex haben. Bei "The Baby" ging es im Kern um eine Ablehnung von Mutterschaft und die Zwänge einer heterosexistischen Gesellschaft mit der ich mich identifizieren kann. Bei "Zeit Verbrechen" geht es um zwei Männer auf verschiedenen Kontinenten, die aufgrund existenzieller Nöte in eine Beziehung miteinander geraten. Der eine in Deutschland fühlt sich einsam und sucht online nach Liebe, während der andere in Ghana um ein besseres Leben für sich und seine Familie kämpft und sich dafür online als Frau ausgibt. Da steckt für mich queeres Potenzial drin, eine transatlantische Liebesgeschichte. Es ist für mich also schon auch ein queeres Werk, aber ich möchte auch neue Dinge ausprobieren und bin offen und spielerisch in meinen Interessen.
Wie groß war der Spaß, Actionszenen zu drehen? So ein bisschen auf James Bond zu machen?
Ich habe Film und Regie nicht gelernt, deshalb war es für mich eine Herausforderung, den technischen Apparat zu meistern, was mit vielen Ängsten verbunden war. Ich musste mich trauen, komplexe Inszenierungen und Bildaufbauten zu machen, und dabei habe ich viel handwerklich gelernt. Es macht zwar Spaß, aber für das Team ist es anstrengend, weil man viele Takes drehen muss und es kompliziert ist. Dennoch bin ich froh, diesen Skill jetzt zu haben. Ich finde, es ist auch unterhaltsam anzusehen, und der spektakuläre Charakter des Films passt gut zur Geschichte.
Dreharbeiten in Ghana sind vermutlich nicht gerade ein Ponyhof?
Die Dreharbeiten in Ghana waren unterschiedlich, ehrlich gesagt. Die Crew, mit der wir gearbeitet haben, war sehr professionell und dazu noch pragmatisch und hilfsbereit. Man konnte mehr umsetzen, weil alle mitgezogen haben. In Deutschland ist es oft so, dass die Leute in ihren Abteilungen festgefahren sind und klare Grenzen und Regeln herrschen, was spontane Entscheidungen erschwert. Architektonisch und landschaftlich war Ghana beeindruckend, besonders beim Scouting – die tollen Szenerien und der Afrofuturismus waren inspirierend. Es war uns wichtig, größtenteils mit einem ghanaischen Team zu arbeiten; nur etwa zehn Leute kamen aus Deutschland
True Crime gilt gerade als angesagt. Waren Sie schon immer Fan des "Zeit Verbrechen"-Podcasts?
Ich habe von "Zeit Verbrechen" gehört und fand es interessant, auch weil es polarisiert. Aber ich habe die modernen Doku-Dramen auf Netflix und anderen Plattformen nie richtig verfolgt. Als die Anfrage kam, daran zu arbeiten, war mir klar, dass es nicht darum geht, diesen Aspekt zu zentrieren, sondern wirklich Filme aus den Geschichten zu machen. Die Geschichten im Podcast sind spannend und gut. Ich finde Crime als Genre wirklich toll, auch wenn die deutschen Krimis oft nervig sind. In den USA oder England gibt es großartige Crime-Thriller, und daher kommen auch die meisten Referenzen, mit denen ich arbeite.
Wie kam Sandra Hüller in Ihren Film? Hat "Futur Drei" dir Türen geöffnet?
Sympathien für die Arbeit helfen natürlich bei solchen Anfragen, gerade wem man wie ich noch am Anfang der Karriere ist. Ich habe einfach geschrieben und erklärt, warum ich sie toll finde und warum ich gerne mit ihr arbeiten würde. Es war keine wahnsinnig große Rolle, sodass es für sie überschaubar war, das möglich zu machen. Eine solche Zusammenarbeit ist immer auch ein Ausprobieren, um zu sehen, wie gut man zusammenarbeiten kann – vielleicht der Anfang von mehreren Projekten. Es hat mich auf jeden Fall sehr gefreut, dass sie Interesse hatte, mit mir zu arbeiten.

Sandra Hüller in (Bild: RTL / 2024 Viacom International Inc. All Rights Reserved)
Was finden Sie so toll an Sandra Hüller?
Sie ist einfach iconic, und das muss man in Deutschland erst mal schaffen. Ich bin immer wieder fasziniert von ihrer eindringlichen, trockenen Art, die so viel Humor enthält. Für mich schafft Sandra es, gleichzeitig eine ziemlich spezifische deutsche Mentalität zu vermitteln, ohne dabei spießig oder bürgerlich zu sein. Im Gegenteil, ihr Spiel fühlt sich für mich super geerdet und widerständig an, weil es so gar nicht affektiert oder eitel ist – halt einfach ehrlich und verletzlich. Und das find ich cool, auch im Zusammenarbeiten. Außerdem schätze ich es, mit Menschen zu arbeiten, die eine Haltung und eine politische Perspektive auf Kultur, Filmemachen und Geschichtenerzählen haben. Aus der Ferne habe ich gesehen, dass sie eine der wenigen Schauspielerinnen ist, die wirklich Haltung in der Branche zeigt. Das finde ich sehr respektabel und mutig, und ich kann damit gut anknüpfen.
Sandra Hüller wäre sicher eine publikumswirksame Besetzung für einen queeren Film. Oder finden Sie, dass queere Figuren nur von queeren Menschen gespielt werden sollten?
Es kommt auf das Projekt an, aber ich bin der Meinung, dass es weniger darum geht, was man darf oder nicht, sondern eher um die Sensibilität, die eine Person mitbringt. Queerness verstehe ich nicht nur als die Sexualität einer spielenden Person, sondern auch als das Verständnis und die ästhetische Sensibilität für queere Themen. Dabei ist es wichtig zu fragen, wer von den Projekten profitiert. Diese strukturellen Fragen werden immer bedeutender, besonders angesichts der zunehmenden Bedrohungen für queere Menschen in Deutschland. Es sollte bei Projekten, die queere Geschichten erzählen, um die Stärkung queerer Schauspielender und um finanzielle sowie berufliche Ressourcen gehen. Das betrifft nicht nur das Schauspiel, sondern auch Regie und Drehbuch. Es ist problematisch, wenn queere Geschichten von Menschen entwickelt werden, die nichts damit zu tun haben. Dazu habe ich eine klare Haltung.
Mit ihrer Produktionsfirma "Jünglinge" waren Sie Produzent der TV-Serie "Schwarze Früchte". Wie zufrieden sind Sie mit der Resonanz?
Wir sind wirklich krass überwältigt von der positiven Aufnahme der Serie. Wir haben zwar nicht daran gezweifelt, aber es ist immer ein intensiver Moment, wenn etwas veröffentlicht wird. Bisher haben wir so etwas nur mit "Futur drei" erlebt, und dies ist unser erstes selbstproduziertes Projekt seitdem. Die Resonanz ist überwältigend, sowohl aus der Presse als auch durch die vielen herzlichen Nachrichten, die wir auf Social Media erhalten. Es ist großartig zu sehen, dass auch Menschen, die nicht Teil der Community sind, die Serie unterstützen und darüber sprechen. Das zeigt, dass es möglich ist, spezifische Geschichten zu erzählen, die dennoch ein breiteres Publikum ansprechen. Es ist ermächtigend, solche Reaktionen zu sehen, und die Art und Weise, wie die Psychologien der Figuren angelegt sind, überzeugt viele. Ich freue mich, dass der Fokus in den Kritiken auf den Figuren und dem Drama liegt, und nicht nur darauf, dass viele schwarze, queere Menschen vor und hinter der Kamera gearbeitet haben, auch wenn das wichtig ist. Es gibt viele weitere tolle Aspekte der Serie, über die man sprechen kann.
Ist der Sender zufrieden mit der Quote? Bei "All You Need" war das damals wohl nicht der Fall…
Wir sind ehrlich gesagt noch am Anfang und haben noch keine Zahlen erhalten. Die kommen erst in den nächsten Wochen, dann setzen wir uns zusammen und besprechen alles ausführlich. Aber natürlich hat das Feedback, das wir bisher bekommen haben, eine riesige Auswirkung auf uns. Die Qualität dieses Feedbacks hat definitiv einen Effekt auf unsere weitere Planung.
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Als neues Projekt planen Sie mit "Shrimps" einen internationalen Kinofilm.
"Shrimps" ist wirklich mein Baby und Herzensprojekt, an dem ich gerade sehr intensiv arbeite. Es fühlt sich ein bisschen an wie eine Rückkehr zu einem klassischeren queeren Kino. Ich hoffe, dass wir nächstes Jahr in die Finanzierung gehen können.
Worum geht's?
"Shrimps" ist ein queeres Fantasy-Drama, in dem es um eine Gruppe gestrandeter Beach-Boys geht, die in einem Beach-Club arbeiten und gemeinsam davon träumen, in das sogenannte "Inland" zu gelangen – einen mysteriösen Ort, der am anderen Ende des Ozeans liegt und aus dem die reichen Touristen zu kommen scheinen. Im Zentrum steht eine Liebesgeschichte, und ähnlich wie in "Futur Drei" geht es auch in "Shrimps" darum, sich eine Zukunft vorzustellen und zu erträumen, obwohl die Situation kaum Raum dafür bietet.
Was wäre der Ratschlag für die Zuschauer*innen, wenn sie "Zeit Verbrechen – Love by Proxy" anschauen?
Am besten anschauen ohne Erwartungen und bis zum Ende durchzuhalten, auch wenn die ersten 20 bis 30 Minuten einige Fragezeichen aufwerfen.
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