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Theater
Nachdem AfD und BSW die Macht übernommen haben
Rosa von Praunheims neues Stück "Die Insel der Perversen" am Deutschen Theater Berlin wirft einen queeren und trashigen Blick auf das populistische Weltgeschehen und Deutschlands grausige Zukunft.

Sahra Wagenknecht und Alice Weidel in die "Insel der Perversen". Das Stück von Rosa von Praunheim feierte am Mittwoch Uraufführung in der Kammer des Deutschen Theaters. Weitere Aufführungen stehen am 7., 20. und 27. Dezember 2024 sowie am 1. Januar 2025 auf dem Programm (Bild: Eike Walkenhorst)
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5. Dezember 2024, 15:46h 4 Min.
Mit süffisanter Ungeduld begrüßt Alice Weidel das Premierenpublikum auf der Bühne des Deutschen Theaters. Ihre aschblonden Haare sind streng zu einem Pferdeschwanz zurückgekämmt, ergänzt von kniehohen Lederstiefeln und einem Mantel in der charakteristischen hellblauen Parteifarbe. Immer wieder lässt sie ihren Blick durch das Publikum schweifen und fragt mit einem spitzen Lächeln: "Kommt Herr Chrupalla noch? Er muss sich wohl verspätet haben." Eine gelungene Einstiegspointe, die auf Anhieb zündet. Denn was für eine absurde Vorstellung: Der polemische AfD-Parteisprecher bei der Premiere einer bitterbösen Politsatire wie "Die Insel der Perversen" – einem Stück des vielleicht schwulsten Künstlers der Gegenwart, dessen Titel allein schon unverhohlen provoziert.
Mit diesem Werk präsentiert Filmemacher und Aktivist Rosa von Praunheim den dritten Teil seiner Trilogie am Deutschen Theater. Nach "Jeder Idiot hat eine Oma, nur ich nicht" und "Hitlers Ziege und die Hämorrhoiden des Königs" führt er die Zuschauer*innen nun auf "Die Insel der Perversen". Heiner Bomhard, ein vertrauter Name im Praunheim-Universum, führt nun selbst Regie, komponiert und verantwortet die musikalische Leitung.
Die Prämisse ist ebenso grotesk wie provokant: Nachdem die AfD und das BSW die Macht übernommen haben, ergreifen die rechten Frauen die Zügel und initiieren eine dystopische Neuordnung. Männer werden kollektiv kastriert, da Frauen sich fortan selbst befruchten können, politische Geflüchtete werden aus dem Land vertrieben, um Platz für 20 Millionen Russ*innen zu schaffen – ein groteskes Geschenk an den neuen besten Freund Wladimir Putin.
Die "Diven des neuen Deutschland"
Doch der revolutionäre Umsturz hat ein unerwartetes Problem: Das "dumme Volk" ist nicht zufrieden. Die Theater bleiben leer, die deutsche Kunstlandschaft steckt in einer tiefen Krise, und der erträumte autoritäre Staat droht an seiner eigenen Langeweile zu ersticken. Dieser Zustand hat in Berlin traurige Relevanz erlangt, wo die Sparpläne des Senats den Kulturetat um rund 130 Millionen Euro ab 2025 kürzen wollen – ein drastischer Einschnitt, der die prekäre Lage der Kulturbranche auf erschreckende Weise widerspiegelt.
Wagenknecht und Weidel, die "Diven des neuen Deutschland", müssen sich den Fehler eingestehen: Sie haben alle Künstler*innen auf die titelgebende Insel der Perversen verbannt – jene, die als linksgrünversifft oder queer gelten, sofern sie nicht längst getötet wurden. Was anfangs durch die Drehbühne als anarchistische Utopie inszeniert wird, in der jede*r frei ist sich zu entfalten und selbst die leblosesten Requisiten neue Bedeutungen erhalten, entpuppt sich schnell als künstlerische Richtungslosigkeit.
Nihilismus gegenüber aktivistischer Kunst

Putin reitet auf einem gigantischen Bären auf die Bühne. Mehr Premierenfotos gibt es in der unten verlinkten Galerie (Bild: Eike Walkenhorst)
Selbst Rosa von Praunheim (Florian Köhler), der in einer meta-theatralischen Szene von Weidel aus dem Publikum auf die Insel gezerrt wird, scheitert daran, diese chaotische Enklave zu einem substantiven politischen Statement zu formen. Dies offenbart einen Nihilismus gegenüber aktivistischer Kunst, die schmerzt. "Mit keinem einzigen Gendersternchen, mit keinem einzigen Ostermarsch habt ihr die Rechten aufgehalten. Euer Pazifismus – fickt euch in den Arsch!", heißt es in einer Gesangseinlage. Das Stück äußert eine enttäuschte Verachtung gegenüber einer Kunst, die nicht mehr in der Lage ist, die politische Realität herauszufordern.
Die stärksten Momente des Stücks gehören Alice Weidel (Heiner Bomhard) und Sahra Wagenknecht (Božidar Kocevski), deren scharfzüngiger Schlagabtausch pointiert inszeniert ist. "Ich war schon rechts, während du noch mit der Linken gefickt hast", zischt Weidel. Das Stück überzeugt besonders dann, wenn es durch eine unentschuldigt queere und trashige Linse auf das populistische Weltgeschehen blickt: Putin reitet auf einem gigantischen Bären auf die Bühne und liefert eine möglichst heterosexuelle Musical-Einlage, und Thomas Gottschalk moderiert in übergriffiger "Wetten, dass?"-Manier ein böses Ende an. Die Satire trifft ins Schwarze, wenn sie die Absurditäten und Widersprüche der Figuren entlarvt – besonders die unentschlossene Haltung Weidels zu ihrer eigenen Queerness wird gnadenlos auf die Schippe genommen.
Spiel mit der Geschmacklosigkeit
Praunheim, der seine Stellung als Grenzgänger und Provokateur weiter vertieft, spielt durchweg mit der Geschmacklosigkeit: Auf der Suche nach einer neuen Kunstform für das dystopische Deutschland präsentiert er etwa zwei riesige Penisse in SS-Uniformen, begleitet vom "Gesang der dicken Penisse" (mit Komi Mizrajim Togbonou) des Genossen Oskar. Schließlich wird Nena beauftragt, mit dem Stück "88 Luftballons" eine musikalische Nummer beizusteuern. Man verliert sich innerhalb des Narratives manchmal in der thematischen Überfrachtung und der chaotischen Mehrfachbesetzung des Schauspielerquartetts; und fragt sich, worum es eigentlich gehen soll – um den Sturz des Populismus oder doch nur um die nächste provokative Pointe.

Provokation als Selbstzweck? Szene aus "Die Insel der Perversen" (Bild: Eike Walkenhorst)
Die klare Richtung des Stücks ist schwer fassbar, und die satirische Schärfe verflacht nach und nach. Auf der Lauflänge von 90 Minuten hält die Unterhaltung nicht immer das Tempo. Die Inszenierung wankt zwischen provokanter Zurschaustellung und ermüdender Beliebigkeit. Man fragt sich, ob die unverhohlene Provokation nicht zuweilen nur als Selbstzweck dient.
Links zum Thema:
» Mehr Infos zum Stück und Karten auf der Homepage des Deutschen Theaters
Mehr queere Kultur:
» auf sissymag.de















