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Queerfilmnacht
Tagsüber Schriftsteller, nachts Callboy
Max will erfolgreicher Autor werden, also schreibt er über seine Erlebnisse als schwuler Sexworker. Doch bald kann er seine beiden Leben nicht mehr voneinander trennen. Das Drama "Sebastian" ist eine zeitgemäße und sexy Auseinandersetzung mit Sexarbeit.

Schwuler Sex mit 50 Jahren Altersunterschied: Szene aus "Sebastian" (Bild: BFI)
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7. Dezember 2024, 06:22h 4 Min.
Auf der Seite "dreamyguys" ist Max ganz richtig. Denn er – jung, blond, schlank, leicht trainiert, volle Lippen, knackiger Hintern, unschuldig-verträumter Blick, kurz: ein Twink, wie er im Buche steht – ist wirklich ein Typ, von dem viele träumen. Und das lässt sich der Mitte-20-Jährige bezahlen. Als Sebastian stellt er sich seinen Kunden vor, die vom Alter her sein Vater sein können.
Was Sebastian erlebt, schreibt Max auf. Der angehende Schriftsteller arbeitet für ein Londoner Literaturmagazin, seine ersten Kurzgeschichten kommen gut an. Doch der Druck ist gewaltig, das spürt er schnell. Damit ihm nicht die Ideen ausgehen, trifft er weiter Männer – und willigt bei manchen Sachen vor allem für die Story ein. Außerdem lässt er Freundschaften und seinen Job schleifen. So entsteht ein Sog, der sich zum Teufelskreis entwickelt. Und es wird nicht lange dauern, bis er sein Doppelleben nicht länger verheimlichen kann.
Der Heilige Sebastian, eine queere Ikone
Diesen Konflikt transportiert der schottisch-italienische Nachwuchsdarsteller Ruaridh Mollica sehr überzeugend (wir trafen ihn zum Interview). "Sebastian" profitiert nicht nur von dessen Aussehen, sondern auch von der großen Sensibilität und den vielen Zwischentönen, mit der er seine Figur ausstattet.
Sebastian ist der passende Name für diese Figur – und den ganzen Film. Der römische Märtyrer aus dem dritten Jahrhundert ist seit der Renaissance ein Sinnbild für männliche Schönheit und als solches eine queere Ikone. Er strahle eine "Anmut in der Qual" aus, wie Thomas Mann seinen Lieblingsheiligen beschrieb. Genau diesen Kontrast erfüllt auch der Callboy Sebastian.
Sexarbeit als Recherche
Ihn quält der anspruchsvolle und anstrengende Literaturbetrieb, aber auch seine Einsamkeit als schwuler Single, der aus Edinburgh nach London kam. Trost, so scheint es, findet er vor allem im Schreiben. Und in seinen Begegnungen. Denn die sind, anders als das Klischee (und vermutlich die Realität) vermuten ließen, erfüllend. Ja, seine Kunden sind deutlich älter als er, manche auch nicht mehr ganz so gut in Form, aber sie sind gepflegt und behandeln Sebastian ordentlich. Einer legt eine Opernarie auf und bietet ihm den gerade geöffneten Primitivo an. Sexarbeit als Recherche ist eben doch was anderes als aus reiner finanzieller Not heraus.

Die Einsamkeit als schwuler Single: Max auf der Tanzfläche (Bild: BFI)
Besonders interessant und nicht gerade frei von Ironie ist dabei die Meta-Ebene: Max schreibt auf, was er als Stricher erlebt – und damit das, was das Publikum als Film sieht. Wenn die Kollegin und Freundin Amna seine Geschichten lobt und feststellt, nicht alles müsse eine tiefere Message haben, lässt sich das auch auf den Film übertragen. Wenn die Verlegerin jedoch kritisiert, die aufkeimenden Emotionen für einen Kunden lassen den Fokus verlieren, gilt auch das für den Film.
Schwuler Sex mit 50 Jahren Altersunterschied
"Sebastian" des finnisch-britischen Regisseurs Mikko Mäkelä macht zwar so einiges sehr gut: Das Drama geht vorurteilsfrei auf Sexarbeit zu und ist nicht einfach nur die nächste Stricher-Tragödie, von der die Popkultur mehr als genug hervorgebracht hat. Dennoch schafft es das Drehbuch nicht, allen Klischees und Erwartungen auszuweichen: Selbstverständlich taucht ein Kunde plötzlich in Max' beruflichem Kontext auf, und natürlich trifft er einen Mann, ohne dass der dafür bezahlen müsste. Manche Konflikte und Eskalationen wirken dazu doch sehr übertrieben.
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Und dennoch ist das Drama eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit schwuler Sexarbeit, die auch die negativen Seiten nicht außer Acht lässt. Es ist diese Gleichzeitigkeit aus schlechten Erfahrungen mit einem Mann, aber einer echten Hingabe und Lust mit anderen Kunden, die den Film auszeichnet. Selten sah schwuler Sex mit 50 Jahren Altersunterschied so sexy, stimmig und keine Spur anrüchig oder bemitleidenswert aus.
In seinem Roman soll das aber nicht so aussehen, kritisiert die Verlegerin. Max ist ein kluger und selbstbestimmter junger Mann, der zwischen der prätentiösen Literaturwelt und der Sexarbeit mit seinen ganz eigenen Regeln balancieren muss. Muss? Das ist vielleicht die interessanteste Frage. Der Film findet eine eindeutige Antwort – und ist vorbei, als eine womöglich noch interessantere Geschichte losgehen könnte.
Sebastian. Drama. Großbritannien 2023. Regie: Mikko Mäkelä. Cast: Ruaridh Mollica, Hiftu Quasem, Ingvar Sigurdsson, Jonathan Hyde, Leanne Best, Lara Rossi. Laufzeit: 111 Minuten. Sprache: englische Originalfassung mit deutschen Untertiteln. FSK 16. Verleih: Salzgeber. Im Dezember 2024 in der Queerfilmnacht
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» Interview mit Hauptdarsteller Ruaridh Mollica: "Ich habe einige großartige Gespräche mit Sexarbeitern geführt" (01.12.2024)
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