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O-Töne von Luca Guadagnino
Feuchte Pfirsich-Träume und Daniel Craig als schwuler Junkie
Von "Call Me by Your Name" bis "Queer": Was der italienische Filmregisseur Luca Guadagnino über seine queeren Meisterwerke so zu sagen hat.

Luca Guadagnino Anfang Dezember 2024 beim Filmfestival in Marrakesch (Bild: IMAGO / ABACAPRESS)
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30. Dezember 2024, 08:02h 8 Min.
Das waren noch Zeiten, als Luca Guadagnino zur Audienz ins "Dolder Grand" lud. Auf dem Zurich Film Festival erlebte "Call Me by Your Name" anno 2017 seine Schweizer Premiere. In Sundance und auf der Berlinale wurde die sinnliche Lovestory mit Timothée Chalamet gefeiert, die Oscar-Chancen standen bestens. Entsprechend gut gelaunt erschien der Maestro zum Gespräch im Luxus-Hotel über den Dächern von Zürich. Das Diva-Image? Fake News. Er bedankte sich am Ende ausgesprochen herzlich fürs Gespräch, und meinte das wohl durchaus ernsthaft und jenseits üblicher Floskeln.
Auch beim zweiten Mal, beim Plaudern über die Kannibalen-Lovestory "Bones and All", wiederum mit Schnuckel Chalamet in der Hauptrolle, erweist sich der Künstler als ausgesprochen angenehmer Gesprächspartner.
Doch ausgerechnet beim neuen Film "Queer" heißt es nun: Wir müssen leider draußenbleiben! Für queer.de keine Interview zu "Queer"! Gewiss nicht die Entscheidung von Luca selbst, sondern von ganz arg wichtigen Marketingstrategen. Hauptsache Hochglanz, egal wie heteronormativ der Inhalt.
Was tun? Greifen wir ins Archiv-Kästchen unserer bisherigen Plaudereien. Und stellen aktuell drei Aussagen voran, die er bei der Pressekonferenz in Venedig zu Protokoll gab.
Über seine eigenen Schwächen und Süchte
Ich bin ein Gentleman, der sehr früh schlafen geht, nie in meinem Leben Drogen nimmt, nie eine Zigarette raucht, und ich habe eine Diät gemacht und 15 Kilo abgenommen. Also gehe ich ziemlich rigoros mit meinen Süchten um. Ich kann die Liebhaber, die ich in meinem Leben hatte, an zwei Händen abzählen.
Über die Besetzung von Ex-007 Daniel Craig
Ich bin seit langem ein Bewunderer dieses Herrn. Die Idee, dass er eine Rolle übernehmen könnte, habe ich schnell verworfen. Ich bin pragmatisch. Man muss Filme machen, man kann nicht tagträumen. Dann schlug mir mein Casting-Mann vor: "Was ist mit Daniel Craig?" Und ich sagte: "Ich habe an ihn gedacht, aber er wird nie ja sagen." Und er sagte zu mir: "Lass uns fragen." Und er sagte ja. Und das Ja war ein definitives Ja, er ist einer der größten Schauspieler.
Über das Thema von "Queer"
Wer sind wir, wenn wir alleine sind und wen suchen wir? Wen wollen wir an unserer Seite, egal wer du bist? Sind Sie heroinsüchtig und leben in Mexiko-Stadt? Wer bist du, wenn du allein in diesem Bett bist und das Gefühl hast, wie du dich für jemand anderen gefühlt hast?

Daniel Craig in "Queer" (Bild: Yannis Drakoulidis / A24)
Über den biografischen Anteil in "Call Me by Your Name"
Zunächst spielt die Geschichte im italienischen Crema, wo ich aufgewachsen bin. Viele Szenen haben wir sogar in meinem Haus gedreht. Zu dieser ganz persönlichen Vertrautheit kommt hinzu, dass die Bilder dieser Landschaft zwischen Mailand und Bologna auch meine Kinoerfahrung prägten: Antonioni und Bertolucci haben vor dieser Kulisse wunderbare Filme gedreht.
Über den jüdischen Hintergrund dieser Familie
Der jüdische Hintergrund ist im Roman von André Aciman so vorgegeben und hat mir gut gefallen. Denn er zeigt eine ganz besondere Verbundenheit dieser Familie. Das führte mich zu der Szene, in der die Mutter den Davidstern am Halsband ihres Sohnes mit den Händen umschließt. Es bedarf gar keiner Worte, um hier die große Nähe spürbar zu machen.
Über die Überlegung, der Familie einen muslimischen Hintergrund zu geben: Da wäre der Umgang mit dem schwulen Sohn vermutlich weniger liberal ausgefallen?
Meine Mutter stammt aus Algerien und ist Muslima. Mit 13 Jahren bin ich in Palermo in ein Buchgeschäft gegangen und habe mir einen Bildband von Robert Mapplethorpe gekauft. Obwohl man seine Fotos als homoerotisch oder pornografisch bezeichnen könnte, lag dieses Buch ganz offen bei uns zu Hause herum. Alle haben es gesehen, niemand hat sich daran gestört. Man sollte islamische Gesellschaften, in denen Mysogonie herrscht, nicht mit der Religion gleichsetzen. Tatsächlich ist die moslemische Kultur sehr tolerant und offen. Insbesondere wenn es um Mütter und Familien geht.
Über die Bedeutung der 1980er Jahre
Für mich ist das Jahr 1983 sehr wichtig, weil es zumindest in Italien einen Einschnitt markiert: Es bedeutete den Verlust der Unschuld. Die ganze Aufbruchstimmung seit 1968 und den 1970er Jahren mit ihren politischen Entwürfen war plötzlich vorbei. Ronald Reagan kam an die Macht und mit ihm ein gnadenloser Ultra-Neoliberalismus. 1983 können wir noch die letzten Augenblicke eines wunderschönen Sonnenunterganges zeigen. Fünf Jahre später haben die Zeiten schon anders ausgesehen.
Über die Schönheit seiner Darsteller: Wäre eine solche Geschichte auch mit Hauptfiguren mit Bauch und Buckel möglich?
Für mich gehört Timothée Chalamet keineswegs in die Welt der Werbung und Models, ich finde ihn einfach wahrhaftig. Beim ersten Treffen beeindruckten mich seine Intelligenz, sein Ehrgeiz und eine Disziplin, die ihn perfekt für diese Rolle machen. Im Roman wird die Figur als sehr intellektuell beschrieben, was wir um eine reale Körperlichkeit ergänzten. Für sein Gegenüber brauchten wir jemanden, der im Buch von allen als Golden Boy und Hollywood-Star beschrieben wird – und diese Qualitäten bringt Armie Hammer mit. Ich fände es einen falschen Ansatz, diese Rollen bewusst mit unattraktiven Darstellern zu besetzen.
Über die Besetzung mit heterosexuellen Schauspielern
Sind sie heterosexuell? Ich bin mir nicht sicher. Ich frage bei niemandem nach seiner sexuellen Orientierung, auch meine Schauspieler nicht. Ich freue mich immer auf Überraschungen.
Über die Entdeckung der Langsamkeit
Ich lasse mir gerne Zeit, um eine besondere Reaktion zu verdeutlichen. Oder Pausen in einem Gespräch. Meine Absicht war nie, einen Film zu machen, der zwei Stunden und zehn Minuten dauert. Aber mein Schnittmeister hat mich oft zu längeren Einstellungen ermutigt. Etwa jenen Szenen mit den Fahrrädern, die langsam in der Landschaft verschwinden. Bei dieser Sequenz haben wir drei Versionen probiert: Eine schnelle, eine mittlere und eine sehr lange. Die kurze Variante war gut, aber es fehlt das Begehren. Die mittlere wirkte wie Fernsehen. Erst bei der langen Version spürte man die Schmetterlinge im Bauch der Akteure vor ihrem ersten Kuss. Scorsese sagte einmal, man müsse auf den Rhythmus hören und dabei auch Grenzen überschreiten, um einen Effekt zu erreichen. Ich würde allerdings gerne auch einen 80-minütigen Film machen! (lacht)
Über die berühmte Szene mit dem Lustgewinn per Pfirsich
Die Antwort ist leider langweiliger: Der Pfirsich ist eine Reverenz auf "Am Ufer des Flusses" von Manoel de Oliveira. Dort greift ein junge Frau, die ihre Sexualität unterdrückt, nach einer Blume und massiert zärtlich deren Blüte. Diese Szene ist absolut erotisch! Für mich gehört sie zu den zwei erotischsten Sequenzen der Filmgeschichte.
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Über die erotischsten Szenen des Kinos
"Im Rausch der Farben und der Liebe" von Im Kwon-taek. Ein alter Maler hat Sex mit einer jungen Geisha. Dann kommen Soldaten und zerren ihn kurz vor dem Höhenpunkt aus dem Körper der Frau heraus. Das sind fantastische Momente der Erotik im Kino.
Über seinen "Buddenbrooks"-Traum
Ich würde sehr gerne einmal die "Buddenbrooks" von Thomas Mann verfilmen. Das Buch habe ich mit zwölf Jahren zum ersten Mal gelesen, und es begeistert mich bei jeder neuen Lektüre bis heute. Dieser Roman hat sehr großen Einfluss auf mich und meine Arbeit. In "Suspiria" spielen etliche Deutsche mit. Neben Ingrid Caven auch Angela Winkler – wäre die nicht grandios als Ehefrau des Senators in "Buddenbrooks"? Und Ingrid die perfekte Großmutter? Ich bin begeistert von diesem Meisterwerk und bin mir sicher, etwas Gutes daraus machen zu können. Die Mann-Familie hat es mir schon immer angetan. Nicht nur Thomas, sondern auch sein Bruder Klaus, von dem ich aktuell "Mephisto" lese.
Über die Gruselszenen in "Bones and All"
Ich hatte das Vergnügen, den Film mit ganz unterschiedlichem Publikum in verschiedenen Ländern zu erleben. Die Zuschauenden haben den Film wirklich umarmt und gespürt, mit welcher Leidenschaft diese Figuren dargestellt werden. Vermutlich gibt es einzelne Leute, die das Kino vorzeitig verlassen haben. Aber das ist eine Seltenheit und ein Vorgang, der diesem Film nicht gerecht wird.
Über sein Selbstverständnis als Außenseiter
Ein Außenseiter zu sein, hat absolut nichts damit zu tun, wie deine Arbeit bewertet wird. Es geht immer darum, sich selbst zu verstehen. Wir alle spüren eine gewisse Leere in uns, mit der wir umgehen müssen. Ich spiele definitiv nicht nach den Regeln, sondern nach der Musik, die ich in meinem Kopf höre. Diese teile ich mit den Menschen, die ich liebe. Ich stelle mich nicht in das Zentrum von Dingen, selbst wenn ich damit einen gewissen Erfolg habe.
Über die Qualitäten des Timothée Chalamet
Für mich ist Timothée ein sehr guter Freund und ein Künstler, der ein großes Interesse am Kino hat. Die Arbeit mit ihm ist eine wunderbare, gemeinsame Reise, die hoffentlich noch lange nicht zu Ende geht. Wir mögen beide Filme, die herausfordernd, provokativ und hoffentlich bedeutungsvoll sind. Es macht mich glücklich zu sehen, welche Liebe Timothée von den Menschen erhält. Und es ist wunderbar, wie er auf diese Liebe mit noch mehr Liebe reagiert.
Über das beste Land, einen Film zu drehen
Das Problem ist nicht Amerika oder Italien. Das Problem ist, das ich am liebsten gar nichts tue. Ich bin nicht der größte Fan von einem Film-Set, mehr noch: Ich mag Dreharbeiten überhaupt nicht. Ich möchte nicht jeden Tag die Fragen von hundert Leuten beantworten müssen und jede Minute Entscheidungen treffen. Aber es ist nun einmal meine Arbeit, mein Leben. Was soll ich machen? Damit verdiene ich mein Geld, das muss ich akzeptieren. (lacht)
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