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Gesundheitsversorgung

Die Solidarkasse nichtbinär, trans, inter* (Sonti*) stellt sich vor

Die Situation in der TIN*-Gesundheitsversorgung ist prekär, eine Verbesserung nach den Neuwahlen nicht zu erwarten. Ein neuer Verein setzt nun auf selbstorganisierte Strukturen – und möglichst breite Solidarität.


Nichtbinärer trans Mann vor dem Spiegel: Das deutsche Gesundheitssystem ist für viele queere Menschen zum Haareraufen (Bild: Zackary Drucker / The Gender Spectrum Collection)
  • Von Lilith Poßner
    30. Dezember 2024, 08:14h 5 Min.

Politische Angriffe auf die Selbstbestimmung und Gesundheitsversorgung von trans, inter* und nichtbinären Personen (TIN*-Personen) sind in den letzten Jahren alltäglich geworden. Ob in Großbritannien, den USA, der Türkei, Russland, Osteuropa, Österreich oder Deutschland: Autoritäre Regime und die politische Rechte schießen sich mit immer größerer Verfolgungslust auf TIN*-Personen ein. So will die CDU in ihrem Wahlprogramm das gerade erst in Kraft getretene Selbstbestimmungsgesetz wieder abschaffen. Im gleichen Zuge will die Union mit gesetzlichen Verboten in die Gesundheitsversorgung von trans Personen eingreifen.

Dabei ist die Situation in der TIN*-Gesundheitsversorgung bereits jetzt prekär. Nicht sensibilisierte Behandler*innen mit Wissensständen von vor 30 Jahren, monate- und jahrelange Wartelisten und eine dramatische Unterversorgung in ländlichen Gebieten sowie den meisten Städten bestimmen die Behandlungserfahrungen. Selbst wenn man sich bis zu den wenigen Behandler*innen durchkämpft, wartet für TIN*-Personen eine weitere Hürde: die Kostenübernahme durch die Krankenkassen.

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Kosten werden häufig nicht von den Kassen übernommen

Denn manche Behandlungen werden trotz medizinischer Leitlinien sehr häufig nicht von den Kassen übernommen. Die Kosten oft in Höhe von mehreren tausend bis mehreren zehntausend Euro selbst aufzubringen, ist sogar mit Unterstützung durch Freund*innen und Familie kaum zu leisten. Manche Gruppen werden gleich ganz aus der Versorgung ausgeschlossen, etwa nichtbinäre Menschen. Während andere auf einen Führerschein, einen Urlaub oder einen Auslandsaufenthalt sparen, müssen sie beispielsweise selbst 6.000 bis 10.000 Euro für die eigene Mastektomie aufbringen. Auch Geflüchtete werden aus der Versorgung ausgeschlossen, da die genehmigenden Behörden geschlechtsangleichende Maßnahmen nicht als akute Versorgungsbedarfe einschätzen. Inter* Personen erhalten selten angemessene Vorsorgeleistungen durch die Kassen infolge von Operationen ohne Einwilligung im Kindesalter. Dabei sind TIN*-Personen häufig ökonomisch schlechter gestellt. Sie erfahren intensive Diskriminierung auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt und verlieren nach einem Coming-out oft soziale Netze, die sie unterstützen könnten, die Mittel für solche Maßnahmen aufzubringen.

Betroffene müssen daher im aktuellen System, sogar wenn sie letztlich Versorgung erhalten, zunächst jahrelang in intensiven psychischen Belastungssituationen ausharren. Dabei ist die Evidenz eindeutig, dass medizinische Maßnahmen für Betroffene bessere Gesundheit, eine deutliche Steigerung des eigenen Wohlbefindens und Selbsterlebens, Sicherheit im öffentlichen Raum und vor Diskriminierung sowie ein Gefühl innerer Ruhe bedeuten können. Geschlechtsangleichende Maßnahmen können das Leben der Betroffenen tausendfach erleichtern und es in einem Ausmaß lebenswerter machen, das schwer zu vermitteln ist: angstfrei ins Schwimmbad, die Sauna, an den Strand oder auf die Toilette gehen, im öffentlichen Raum nicht angestarrt, beleidigt oder bedroht werden, richtig angesprochen werden, selbstsicher auftreten und flirten, passende Kleidung tragen, freier sein von Angst und Scham über den eigenen Körper, nicht mehr mit psychischen Folgeerkrankungen kämpfen müssen und nicht mehr ausharren müssen, während andere entscheiden, ob man ein lebenswertes Leben führen darf.

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Systematischer Gesundheitsnotstand

Aufgrund der mangelnden Kostenübernahmen sowie der mangelhaften Angebotslage herrscht seit langem ein systematischer Gesundheitsnotstand in der TIN*-Gesundheitsversorgung. Daher hatte die Ampel-Koalition im Koalitionsvertrag eine gesetzliche Kostenübernahmepflicht zumindest für die Behandlungen von trans und nichtbinären Menschen angekündigt. Ihr Platzen hat nun noch die letzte Hoffnung auf das politische Schließen der systematischen Versorgungslücke begraben. Mit CDU, FDP, AfD und BSW sind weitere Verschlechterungen zu erwarten. Daher braucht es – wieder einmal – selbstorganisierte Strukturen und möglichst breite Solidarität, um die körperliche und geschlechtliche Selbstbestimmung von TIN*-Personen zu stärken.

In Reaktion auf die dauerhaft schlechte Versorgungslage und den fehlenden politischen Willen zur Lösung des Problems haben wir im August einen gemeinnützigen Verein gegründet, der bundesweit Geld für alle Kosten sammelt, die TIN*-Personen entstehen, weil sie TIN*-Personen sind: die Solidarkasse nichtbinär, trans, inter* (Sonti*). Ein solcher Verein fehlte bisher in der Interessenvertretung von TIN*-Personen in Deutschland.

Über Fördermitgliedschaften Geld für Betroffene sammeln

Wir wollen insbesondere auf Menschen zugehen, die nicht selbst betroffen sind und ihnen eine Möglichkeit geben, sich mit TIN*-Personen zu solidarisieren, indem sie sich an der Deckung der finanziellen Notbedarfe in der Community beteiligen. Dafür verfolgen wir insbesondere das Modell, über Fördermitgliedschaften Geld für Betroffene zu sammeln, die aus der Versorgung herausfallen.

Gegründet hat sich der Verein mit einem kleinen Team an Ehrenamtlichen in Leipzig. Eine Ortsgruppe in Frankfurt am Main befindet sich bereits in Gründung. Zurzeit besteht unser Team weit überwiegend aus selbst Betroffenen, doch wir wollen eine Anlaufstelle für alle Menschen sein, die sich solidarisieren wollen, aber vielleicht nicht wissen, wie.

Denn der Bedarf ist groß und steht bisher in keinem Verhältnis zu unseren finanziellen Kapazitäten: Obwohl es den Verein erst seit fünf Monaten gibt, haben wir bereits Anfragen von Betroffenen in ungefährer Höhe von 43.000 bis 53.000 Euro erhalten. Mit unseren aktuellen Fördermitgliedern würde es zwischen 27 und 34 Jahren dauern, nur diese Anfragen zu decken. Dennoch haben wir noch in diesem Jahr genug Geld sammeln können, um der ersten Person eine Behandlung zu ermöglichen, die ihr die Krankenkassen verweigern.

Um dies auch in Zukunft leisten zu können, sind wir auf eure finanzielle Unterstützung angewiesen. Denn wir verdienen nicht nur ein sicheres, sondern auch ein lebenswertes Leben. Die Zeit, sich mit der TIN*-Community zu solidarisieren, ist jetzt.

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