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Hintergrund
Die gefährliche Fangfrage der TERFs
Als Teil einer weltweit florierenden Antigender-Debatte mischt sich die transfeindliche Medienkampagne "Was ist eine Frau?" in die Bundestagswahl ein. Das Vorbild kommt aus den USA.

Screenshot aus dem Imagefilm der Kampagne "Was ist eine Frau?"
- Von Dr. Juliane Scholz
28. Januar 2025, 09:10h 5 Min.
Momentan kursiert auf Social Media-Plattformen das Hashtag #WasIstEineFrau. Im Vorfeld der Bundestagswahl 2025 wurde auch eine Medienkampagne mit dem Titel "Was ist eine Frau?" ins Leben gerufen. Was verbirgt sich hinter der vermeintlich harmlosen Frage? Neue Relevanz bekommt die deutsche Kampagne durch den Amtsantritt Trumps in den USA, der als eine der ersten präsidialen Verfügungen, die Zweigeschlechtlichkeit festschrieb. Der folgende Beitrag beleuchtet die Entstehungskontexte, Hintergründe und Ziele der Kampagne "Was ist eine Frau?" als Teil einer weltweit florierenden Antigender-Debatte.
"Was ist eine Frau" – Transfeindliche "Dogwhistle"
Die scheinbar einfache Frage "Was ist eine Frau?" ist eine sogenannte "Dogwhistle" (Hundepfeife), die insbesondere in transfeindlichen Kreisen und bei "Trans Exclusionary Radical Feminists" (kurz: TERF) genutzt wird. Eine "Dogwhistle" ist eine codierte Botschaft, die zunächst vermeintlich unverfängliche Aussagen enthält. Diese Aussagen erhalten dann in einem wissenden Umfeld ihre spezifische Bedeutung. Hinter der zunächst arglosen Frage nach dem Wesen einer Frau, verbirgt sich also ein Konstrukt an Zuschreibungen und an politischen Forderungen, die besonders von der Antigender-Bewegung artikuliert werden.
"Was ist eine Frau" ist also im Kern eine Fangfrage, die nur dazu dient herauszufinden, ob das Gegenüber die Existenz von zwei binären biologischen Geschlechtern akzeptiert oder womöglich die geschlechtliche Vielfalt oder Nichtbinarität anerkennt. So besitzt die Frage in queerfeindlichen Kreisen die Funktion eines Offenbarungseides. In der erwünschten Sichtweise wird Geschlecht allein auf seine Reproduktionsfunktion reduziert, es existieren also nur zwei biologische Geschlechter. Die Existenz von TIN* Personen (Trans* Inter* Nichtbinäre*) wird je nach Argument als "Abweichung", "Einbildung" oder "Wunschvorstellung" gewertet.
Anti-Gender-Kampagnen geht es also "im Kern immer um die Ablehnung geschlechtlicher Vielfalt jenseits der binären Konstruktion von männlich und weiblich auf Grundlage von körperlichen Merkmalen" schreibt Ann-Kathrin Rothermel in ihrem Beitrag "'Fake Science' ― Wissenschaft und Universität in transnationalen Anti-Gender-Diskursen" aus dem Jahr 2023.
Geschlechtliche Vielfalt als Feindbild
Oftmals werden in queerfeindlichen Debatten naturwissenschaftliche Erkenntnisse zum biologischen Geschlecht als unverrückbarer Beweis angeführt. Keine Beachtung finden neueste lebenswissenschaftliche Erkenntnisse, die belegen, dass auch das körperliche Geschlecht vielfältig und eher auf einem Spektrum zu verorten ist. Forschende des Sonderforschungsbereich "Sexdiversity" haben diese Erkenntnisse im Beitrag "Wieviele biologische Geschlechter existieren eigentlich?" zusammengetragen. Auch in der Wissenschaft hat sich mittlerweile die Annahme durchgesetzt, dass die Annahme von zwei biologischen Geschlechtern der Komplexität des Phänomens Geschlecht nicht gerecht wird und es in vielfältigen biologischen Ausprägungen erforscht werden muss.
Verfechter*innen der Kampagne #WasIstEineFrau negieren diese Erkenntnisse und die seit Jahrtausenden existierenden nichtbinären Geschlechtsausprägungen bei Menschen. Die erhöhte Sichtbarkeit nichtbinärer Personen wird vielmehr als "Trend" oder "Medienhype" dargestellt. Forschungen zu diesen Themen werden als Identitätspolitik abgewertet. Gleichwohl weisen historische Forschungen seit langem auf die gesellschaftliche und akademische Unsichtbarmachung – bis hin zur Vernichtung – queerer Lebensweisen hin. Das Unsichtbarmachen und An-den-Rand-Drängen hat bei queeren Menschen einen Anpassungsdruck an heteronormative Lebensweisen und Identitäten erzeugt, der schlichtweg dem "Überleben" diente.
Der Aufstieg von transfeindlichen Diskursen, die auch in bestimmten feministischen Zirkeln Verbreitung finden, fiel nicht zufällig zusammen mit der erhöhten Sichtbarkeit und gesellschaftlichen Akzeptanz von queeren, LGBTIQA+ und TIN* Personen in der Gesellschaft und in der medialen Öffentlichkeit.
Dabei erinnern die Argumente der Antigender-Aktivist*innen stark an die Abwertungen gegen die Schwulen- und Lesbenbewegung der 1960er und 1970er Jahre. Ein häufig vorgebrachter Vorwurf lautet: Transgeschlechtlichkeit oder Nichtbinarität sei eine vorübergehende Phase, freie Entscheidung oder auch Krankheit, die womöglich "wegtherapiert" werden könne (und müsse) und die durch Medienkonsum hervorgerufen werde. Wir finden diese Argumentationsketten auch in der Kampagne "Was ist eine Frau" wieder.
Vorbilder: Transfeindliche Netzwerke in den USA
Die deutsche Kampagne "Was ist eine Frau?" geht auf einen Kurzfilm des US-amerikanischen katholischen Podcaster Matt Walsh zurück. Walsh ist Teil einer stetig wachsenden Antigender-Bewegung und Anti-Transbewegung, die vor allem in "alternativen" und neurechten Mediennetzwerken agiert. Das "Forbes Magazine" bezeichnete ihn als "loudest voices on the right against trans rights".
Im Juni 2022 veröffentlichte Walsh den Dokumentarfilm "What is a Woman?" auf dem Online-Portal "The Daily Wire" (Trailer auf Youtube). Die Regie in "What is a Women?" führte Justin Folk. Beide haben 2024 mit ihrem neuesten Film "Am I a Racist?" versucht, gegen Initiativen im Bereich "diversity, equity, and inclusion" (DEI) Stimmung zu machen.
Matt Walsh präsentiert sich in "What is a Woman?" als "naiver Investigativjournalist", der Experten*innen-Interviews führt, die belegen sollten, dass in den USA eine "Genderideologie" existiere, die den "biologischen Fakt" der Zweigeschlechtlichkeit verleugnen würde. Das verschwörungsideologische Motiv ist, dass eine progressive Minderheit die Meinung der schweigenden Mehrheit unterdrücke. Elon Musk bewarb den Film aktiv auf seiner Plattform "X". Das Werk stand nicht nur wegen seiner tendenziösen und transfeindlichen Agenda in der Kritik; Walsh hatte Personen unter vorgetäuschten Tatsachen interviewt und die Inhalte seines Filmes nicht transparent offengelegt. Wenn Personen die Interviews aufgrund dieser Umstände abbrachen, wurde dies durch geschickte Montage in die obige Argumentation eingeflochten.
An diese US-Vorbilder knüpft die aktuelle Kampagne "Was ist eine Frau?" an. Sie wird von der deutschen Aktivistin Rona Duwe organisiert. Duwe wird von der Zeitschrift "Emma", die seit längerem als beliebtes Sprachrohr transfeindlicher Autor*innen fungiert, wie folgt dargestellt: "Rona Duwe spricht aus, was man nach dem Willen von Sternchen-Adepten und Transideologen nicht mehr sagen darf: Dass es nur zwei biologische Geschlechter gibt und es keine Frage des Gefühls ist, ob man Mann oder Frau ist."
Verzerrungen, Emotionalisierungen und unwissenschaftliche Argumentationsketten
Der kurze Imagefilm der Kampagne "Was ist eine Frau" führt aus, dass Kamala Harris die US-Wahl 2024 unter anderem deswegen verloren hätten, weil trans Themen und nicht die Mittelschicht im Fokus standen. Danach verweist der Trailer auf Jungen und Männer, die im Frauensport den Mädchen und Frauen die Erfolge rauben würden. Weiter heißt es in dem Video, dass "jeder Mann sich zur Frau erklären lassen" könnte und "Zugang zu Frauenschutzräumen verlangen kann". Damit wird das gesamte, bereits oben erwähnte Tableau an transfeindlichen Argumentationsmuster bedient. Die Lebenswirklichkeit und bloße Existenz von TIN* wird in Frage gestellt.
Viele der vorgebrachten Argumente sind zudem unwissenschaftlich, wenn nicht in Teilen wissenschaftsfeindlich. Sie emotionalisieren in erster Linie gesellschaftlich bereits aufgeladene Debatten, gegen Minoritäten beispielsweise den Umgang mit TIN*im Sport. Die Kampagne ist Wasser auf die Mühlen jener politischen Kreise, die das Selbstbestimmungsgesetz rückabwickeln wollen, sowie weitere angeschlossene Rechte für die LGBTIQA+-Community in Deutschland und in der Welt in Frage stellen.














