Hauptmenü Accesskey 1 Hauptinhalt 2 Footer 3 Suche 4 Impressum 8 Kontakt 9 Startseite 0
Neu Presse TV-Tipps Termine
© Queer Communications GmbH
https://queer.de/?52459

Österreich

Wie Rechtsextreme systematisch queere Veranstaltungen attackieren

Das Feindbild Queerness im Allgemeinen und trans Personen im Besonderen wird von Rechtsextremen kampagnenartig bespielt. Dies zeigt ein neuer Bericht, der vom österreichischen Innen- und Justizministerium in Auftrag gegeben wurde.


Rechtsextreme und christliche Fundamentalist*innen protestierten im April 2023 gemeinsam gegen eine Dragqueen-Lesung in Wien (Bild: IMAGO / Alex Halada)
  • Von Christian Höller
    30. Januar 2025, 04:41h 9 Min.

In Österreich kommt es zu einer Häufung von rechtsextremen Übergriffen auf Regenbogenparaden und andere queeren Veranstaltungen. Dies zeigt ein neuer Rechtsextremismus-Bericht (PDF), der vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) veröffentlicht wurde. Das DÖW ist ein bedeutender Verein und eine Stiftung, die unter anderem von der Republik Österreich und der Stadt Wien getragen wird. Gegründet wurde das DÖW von früheren Widerstandskämpfer*innen und Verfolgten des NS-Regimes.

Die Wissenschaftler*innen des DÖW haben nun einen ausführlichen Bericht über den österreichischen Rechtsextremismus veröffentlicht. Auftraggeber waren das Innenministerium und das Justizministerium. Der Bericht ist aus mehreren Gründen lesenswert. Darin dokumentieren die Autor*innen unter anderem, wie und in welchem Umfang die Rechtsaußen in Österreich systematisch Übergriffe auf queere Einrichtungen und Regenbogenparaden durchgeführt haben.

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts ist brisant. Denn zum ersten Mal seit 1945 könnte bald die rechtsextreme und queerfeindliche FPÖ in Österreich an der Spitze einer neuen Regierung stehen. Die FPÖ möchte queerfeindliche Gesetze wie in Ungarn und Russland beschließen (queer.de berichtete). Immer wieder bestreiten FPÖ-Politiker*innen, rechtsextrem zu sein. Doch in dem Bericht werden die Verbindungen der FPÖ zur rechtsextremen Szene aufgezeigt. So kommt die FPÖ in den 196 Seiten umfassenden Bericht 231-mal vor. Das Ganze ist ein wichtiges Zeitdokument. Denn vermutlich wird es bei einer von der FPÖ geführten Regierung eine solche Dokumentation nicht mehr geben.

"In Reaktion auf das selbstbewusstere Auftreten und die erhöhte Sichtbarkeit queerer Menschen, etwa im Rahmen von Pride-Paraden, kommt es nicht nur zu einer generellen Häufung von Übergriffen und Hassrede, sondern auch zu einer Verstärkung entsprechender Agitation von rechtsaußen", heißt es im Bericht über den österreichischen Rechtsextremismus. Das Feindbild Queerness/LGBTIQ+ im Allgemeinen und trans Personen im Besonderen sei im Untersuchungszeitraum von der österreichischen extremen Rechten, auch in Anknüpfung an entsprechende Debatten in den USA, stark bespielt worden. In kampagnenhafter Form habe sich diese Bespielung seit 2021 auf den Monat Juni konzentriert. Der Monat Juni sei vom Pride Month zum "Patrioten-" oder "Stolzmonat" umgedeutet worden.

Antisemitisch grundierte Verschwörungserzählungen

Die Autor*innen des Berichts betonen, auffällig sei die systematische Aufladung von queeren Veranstaltungen und queerem Aktivismus mit Begriffen wie "Frühsexualisierung" und "Kindesmissbrauch", mitunter ergänzt durch pseudo-feministische Warnungen vor Transsexuellenrechten als Bedrohung von Frauen. "So – und über entsprechende Verbotsforderungen – wird versucht, Queerness im Allgemeinen und Transsexualität im Besonderen diskursiv zu kriminalisieren", heißt es. Gleichzeitig werde das Thema mit antisemitisch grundierten Verschwörungserzählungen ("Great Reset", "Bevölkerungsaustausch", "Globohomo") verklammert.

Dies passiere insbesondere über die Behauptung, dass dem Einsatz für die Rechte queerer Menschen ein Plan zur Zerstörung der traditionellen Familie als "Keimzelle des Volkes" zugrunde liege, was die Thematik als Brückenthema und ideologischer Kitt zwischen verschiedenen Spektren der extremen Rechten (und mitunter auch zwischen dieser und der politischen "Mitte") zusätzlich geeignet mache, betonen die Autor*innen des Berichts. Die Feindbestimmung LGBTIQ+ habe im Berichtszeitraum auch zu einem stärkeren inhaltlichen wie aktivistischen Zusammenrücken insbesondere "neurechter" und rechtskonservativer Kreise beigetragen. Dies sei zuvor schon in der Abtreibungsthematik und im antimuslimischen Rassismus zu beobachten gewesen. "Auch Neonazis schließen sich diesem Bündnis anlassbezogen an, womit sie auch eine in Deutschland schon länger feststellbare Entwicklung nachvollziehen", wird im Bericht über den österreichischen Rechtsextremismus betont.

So emotional die Thematik diskutiert werde und so integrativ sie szeneintern wirken mag, so überschaubar sei bislang allerdings ihr Mobilisierungspotenzial auf der Straße gewesen. Diesen Schluss lege jedenfalls der geringe Erfolg der Kundgebung vom April 2023 vor dem Villa Vida Café in Wien nahe, die den vorläufigen Kulminationspunkt der Politisierung von Queerness durch Rechtsaußen in Österreich dargestellt habe. "Wenngleich sie weit unter den Erwartungen der Organisator*innen blieb, ist von weiteren Anläufen in der Zukunft auszugehen", betonen die Autor*innen.


Der 196-seitige Bericht "Rechtsextremismus in Österreich 2023. Unter Berücksichtigung der Jahre 2020 bis 2022" widmet sich Akteur*innen des Rechtsextremismus in Österreich, ihren ideologischen Vorstellungen und Aktivitäten sowie ihren Vernetzungen auf nationaler und internationaler Ebene (Bild: DÖW)


Systematische Angriffe seit 2021

Untersucht wurde in dem Bericht über den österreichischen Rechtsextremismus der Zeitraum von 2020 bis 2023, wobei detailliert auf die verschiedenen Aktionen eingegangen wird. Den Autor*innen des Berichts zufolge haben die Übergriffe auf Pride-Paraden im Jahr 2021 begonnen. Damals sei in Österreich, ausgehend von "neurechten" Aktivismuskreisen und der Freiheitlichen Jugend (FJ), erstmals gegen den Pride Month agitiert worden. Identitäre Aktivist*innen haben damals die Pride-Afterparty am Wiener Rathausplatz gestört.

2022 sei dann eine größere Allianz gebildet worden. "Verschiedene Gruppierungen des rechtsextremen, des rechtskonservativen/christlich-fundamentalistischen und des Coronaprotest-Spektrums formierten sich zu einer Aktion Rot Weiß Rot mit eigenem Telegram-Kanal", heißt es in dem Bericht. Anstelle des Pride Months sei zu einem patriotischen "Aktionsmonat gegen globalistische, steuerfinanzierte Pridemonth-Propaganda" aufgerufen worden.

Die Aktion habe sich pro "Heimat" und für die "traditionelle Familie" positioniert und richtete sich unter anderem gegen "Frühsexualisierung" und "Gender-Mainstreaming". Die Regenbogenfahne sei zu einem der "globalistischen Symbole des Great Reset" erklärt worden. Im Zuge der Aktion sei ein Verbot von Regenbogen-Beflaggung öffentlicher Einrichtungen gefordert worden sowie die Einführung eines "Monats für Österreich" zur "Stärkung der österreichischen Kultur und Familie". Am 15. Juni sei erklärt worden, hinter der "Pridemonth-Propaganda" stehe eine (nicht näher benannte) "Lobby mit zahlungskräftigen Unterstützern". Diese werde "nicht Halt machen bis nicht auch zuletzt Pädophilie legalisiert und akzeptiert wurde".

Die FPÖ Wien habe den Juni zum "Family Month" ausgerufen. Ihre Jugend habe erneut "Patriotsmonth statt Pridemonth" gefeiert. Die FJ Tirol habe zu Monatsbeginn ein Sujet mit in die Mülltonne geworfener Regenbogenfahne gepostet, die FJ Burgenland habe eine aktionistische Intervention mit Banner gesetzt.

Über das Jahr verteilt habe die FJ-Bundesorganisation gegen "Gender-Wahnsinn", gegen "Meldezettel mit sechs Geschlechtern", gegen "Männer, die Frauen spielen" als Gefahr für den "Frauenschutz" und gegen "Transgender-Therapie" agitiert. Wieder sei eine Parade gestört worden. Durchgeführt worden sei die Störaktion von vermummten Aktivist*innen unter dem Label "Patriotisches Weinviertel" gegen die "Mistelbach-Pride" am 18. Juni.

Bereits in der Nacht auf den 3. Juni habe es eine aktionistische Intervention gegen eine Dragqueen-Lesung in einer städtischen Bücherei in Wien gegeben. Aktivist*innen errichteten vor deren Eingang eine symbolische rot-weiß-rote Mauer. Die Aktion sei auf Telegram unter anderem vom Kanal Katholischer Widerstand gelobt worden. Auch die eigentliche Veranstaltung sei von einer identitären Störaktion vor dem Veranstaltungsort begleitet worden. In einem rechten Medium sei das szeneübergreifend konzertierte Vorgehen gegen den Pride Month als Beleg gewertet worden, dass das patriotische Lager kampagnenfähig geworden sei.

Die FPÖ ist immer vorne dabei

Im Jahr 2023 seien die Übergriffe auf queere Veranstaltungen ausgeweitet worden. Im Februar habe das "Patriotische Weinviertel" in Mistelbach gegen einen dort angekündigten queeren Jugendtreff protestiert. Im März haben "Die Österreicher" auf ihrer Website eine Petition "Gegen Transvestiten-Shows für Kinder in Wien" gestartet. Am 6. März habe der rechte Aktivist Martin Sellner die Mobilisierung gegen eine für den 16. April geplante Lesung einer Dragqueen im Wiener Villa Vida Café eröffnet. "Diese Veranstaltungen sind, meiner Ansicht nach, völlig gestört. [...] Wir müssen selbst aktiv werden und den 'Groomern' und Pädos zeigen, dass so etwas in Wien nicht geht", erklärte Sellner. Man arbeite bereits an einem "massiven Protestaufgebot".

Am selben Tag habe der Wiener FPÖ-Obmann Dominik Nepp ein Verbot von Dragqueen-Shows für Kinder gefordert. Zwei Tage später habe er sich dem rechten "Heimatkurier" für ein Interview zur Verfügung gestellt. In diesem ortete er "Indoktrination" durch "Transpropaganda" und erneuerte seine Forderung nach Verbot von Dragqueen-Lesungen, die er als "Frühsexualisierung" und "gestörten Schwachsinn" qualifizierte.

Am 18. März haben "Die Österreicher" gegen eine Dragqueen-Lesung zwei Tage später in einer Wiener Buchhandlung mobilisiert. In der Nacht auf den 29. März haben rechte Aktivist*innen symbolisch die Türkis Rosa Lila Villa gesperrt. Ein Banner ("Wiener Kinderschutz – Amtlich versiegelt") und Plakate ("Vorsicht! Dieses Gebäude ist ein Tatort! Villa Vida zusperren!") seien am Baugerüst um den Eingang des Gebäudes angebracht. worden. Ein beteiligter Aktivist habe im rechten "Heimatkurier" berichtet, die Aktion richte sich gegen "kranke Männer, die sich als Frauen verkleiden, um mit kleinen Kindern zu spielen." Die Türkis Rosa Lila Villa sei ein "Tatort, an dem Kinder ihre Unschuld verlieren." Man führe "den Kampf um unsere Zukunft [...] an zwei Fronten": gegen "Bevölkerungsaustausch und Globohomo". Weiters hieß es: "Wir haben null Toleranz für sogenannte 'Drag Queens', also Fetisch-Transen die Pädophilie zum 'Trend' machen wollen."

Für die geplante Kinderbuch-Lesung in der Villa am 16. April habe sich ein rechtes Bündnis mobilisiert. Am 30./31. März habe Martin Sellner über "Trans-Terrorismus", der ein "großes Problem" sei, berichtet: "Der Nährboden dafür entsteht in Transen-Fetischshows, wie sie auch in Wien stattfinden sollen." Nach mehrwöchiger Mobilisierung sei drei Tage vor der Lesung das Ergebnis der Österreicher-Petition gegen "Fetisch-Transen Shows für Kinder" bekanntgegeben worden. So seien am Bezirksamt Wien-Mariahilf 2.000 Unterschriften "in anonymisierter Form" übergeben worden.

Am selben Tag habe Martin Sellner einmal mehr für die Kundgebung mobilisiert: "Die Transideologie ist eine wichtige Waffe der Globohomo-Agenda. Sie ist ein Werkzeug zur Zerstörung der Familie, des Volks und der Religion." Am 16. April konnte die Kinderbuch-Lesung im Villa Vida Café abgehalten werden. Trotz der breiten Mobilisierung durch "neue Rechte", Rechtskatholik*innen (Katholischer Widerstand, Wiener Akademikerbund), rechtsextreme "Alternativmedien" und Restbestände der Corona-Protestbewegung habe sich vor dem Gebäude nur eine Schar von rund 200 Personen zum Protest eingefunden. Diese sei einer mehrfachen Überzahl von Gegendemonstrant*innen gegenübergestanden (queer.de berichtete). Die Freiheitliche Jugend Wien sei mit eigens angefertigten Schildern präsent gewesen. Auch Neonazis aus dem Umfeld der "Tanzbrigade Wien" sowie einzelne Personen aus der organisierten Fußball-Hooliganszene seien dokumentiert worden, womit die extreme Rechte fast in ihrer gesamten Breite vertreten gewesen sei.

In einer ausführlicheren Nachbetrachtung der Kundgebung habe sich Martin Sellner konsterniert gezeigt. So schrieb er, die "Mobilisierungskraft eines rechten, konservativ-patriotischen Lagers für eine solche Versammlung ist in Österreich schlicht nicht gegeben und schlicht nicht so groß. Wir sehen, dass die Leute auf die Straße gehen, wenn es sie direkt betrifft – sprich, Corona-Maskenzwang oder ein Asylheim in ihrer Stadt, vor ihrem Kindergarten. Wenn aber derartige kulturpolitische, kulturkämpferische Dinge stattfinden, sehen wir nach wie vor das große metapolitische Versagen des rechten Lagers." Als Erfolg habe Sellner dagegen die Teilnahme der freiheitlichen Parteijugend verbucht.

Die Queer-Kollekte
Die queere Community braucht eine starke journalistische Stimme – gerade jetzt! Leiste deinen Beitrag, um die Arbeit von queer.de abzusichern.
Jetzt unterstützen!

Hunderte Plakate im ganzen Stadtgebiet

Die FPÖ hat bei den Aktionen stets mitgemacht, wie der Bericht über den österreichischen Rechtsextremismus zeigt. Am 21. April habe FPÖ-Chef Herbert Kickl in einer Rede zum Wahlkampffinale in Salzburg einen "Befreiungsschlag gegen den Genderwahnsinn" und "gegen die Dragqueens, die man glaubt, auf unsere Kinder loslassen zu müssen im Namen der sexuellen Befreiung" gefordert. Auf der 1.-Mai-Feier der FPÖ in Linz habe der oberösterreichische Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner verkündet: "Wir müssen unsere Kinder schützen vor dieser LGBTIQ+- Gemeinde." Am 21. Mai sei erneut gegen eine "Drag Queen Story Hour" demonstriert worden, diesmal vor der Grazer Parteizentrale der Grünen. Wesentlicher Träger des Protests war die örtliche FJ, die "im ganzen Stadtgebiet hunderte Plakate" angebracht hatte, "um Anwohner über die perverse Transen-Show aufzuklären", wie es in rechten Medien hieß.

Der Juni sei 2023 von deutschen und österreichischen Influencer*innen und "Alternativmedien" erneut zum "Stolzmonat" ausgerufen worden, bei dem Nationalfahnen und Nationalstolz zelebriert werden sollten. Auch die Freiheitliche Jugend habe sich beteiligt. Die FJ Oberösterreich habe am 20. Juni erklärt, eine Studie belege, dass LGBTI-Personen mehr psychische Probleme hätten. Die Schlussfolgerung der Jungfreiheitlichen: "Queer macht krank!" Die Störungsaktion gegen eine Pride-Parade habe damals in Klagenfurt/Celovec stattgefunden. In einem begleitenden Telegram-Posting sei der "Förderung einheimischer Familien" ein "Verbot von Prideparaden" und ein Verzicht auf jede "Zurschaustellung von Regenbogensymbolik" gefordert worden. Am 11. November habe die FJ Oberösterreich anlässlich einer "Drag Queen Story Hour" in Linz verlangt, derartige Veranstaltungen zu verbieten.

-w-