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Queer History
Zwei Kreuze für LGBTI: Die Geschichte der queeren strategischen Wahl
Bereits in der Weimarer Republik wurden einige Parteien von der Homosexuellenbewegung favorisiert. In der frühen Bundesrepublik diskutierten schwule Männer über einen Wahlboykott.

Symbolbild: Wahlplakate in der Weimarer Republik (Bild: IMAGO / imagebroker)
- Von Lukas Schaub
15. Februar 2025, 11:52h 5 Min.
Am 23. Februar wird ein neuer Bundestag gewählt, und auch queere Menschen stehen vor der Frage, bei welcher Partei sie ihre Kreuze machen. Viele werden sich auch die Frage nach einer strategischen Wahl stellen: Welche Partei hat das beste Wahlprogramm? Wer wird sich authentisch für die Belange queerer Menschen einsetzen? Wer könnte die Situation queerer Menschen in Deutschland verschlechtern? Diese und weitere Fragen gilt es zu klären, damit eine strategische Wahl gelingt. Diese Art der Wahl hat in Deutschland eine lange Tradition und reicht sogar zurück in die Zeit der Weimarer Republik und in die Kaiserzeit.
In der Weimarer Republik waren es vor allem queere Männer, die sich Parteien näherten, um ihre Rechte zu erstreiten. Anders als die Homosexualität von Frauen, waren erotische und romantische Beziehungen unter Männern eine Straftat. Der Paragraf 175 wurde in der Kaiserzeit eingeführt und in der Weimarer Republik übernommen. Der Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld war einer der Männer, die sich im Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) für die Abschaffung des Anti-Homosexuellen-Paragrafen einsetzten. Gegründet wurde das Komitee bereits 1897, also in der Kaiserzeit.
Abschaffung von Paragraf 175 als Kernforderung
Auf dem Jahrestag des Komitees im Jahr 1904 hielt die Frauenrechtlerin Theo Anna Sprüngli unter ihrem Pseudonym Anna Rüling eine Rede und kritisierte, dass sich das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee nur für die Belange von Männern einsetzte, die Sache homosexueller Frauen allerdings nicht thematisiert würde. Auch als im Jahr 1910 diskutiert wurde, ob der Paragraf 175 auf homosexuelle Frauen erweitert werden solle, fand keine programmatische Umorientierung des Komitees statt. Dass die diskutierte Erweiterung schließlich nicht stattfand lag vor allem daran, dass Männer sich nicht vorstellen konnten, dass weibliche Homosexualität weit verbreitet war.
Die Männer des WhK setzten sich auch in der Weimarer Republik weiter für die Abschaffung des Paragrafen 175 ein und konnten schließlich die SPD und die KPD für ihre Sache gewinnen. Damit gab es erstmals die Möglichkeit für eine strategische Wahl für queere Menschen in Deutschland, die sich allerdings nur auf Männer beschränkte. Durch den aufkommenden Nationalsozialismus geriet die Unterstützung der SPD und der KPD in Vergessenheit.
Diskussion über Wahlboykott in der BRD der 1950er Jahre
In der frühen Bundesrepublik setzte sich vorerst keine Partei für die Rechte queerer Menschen ein. Unter Adenauer wurden homo- und bisexuelle Männer weiter stark verfolgt. Während die Täter des NS-Regimes nach und nach rehabilitiert wurden, wurde den NS-Opfern – auch den queeren Männern – keine Anerkennung oder Rehabilitierung zuteil. Der homosexuelle Sexualforscher Hans Giese, der seit 1942 selbst Mitglied der NSDAP war, versuchte, das WhK wieder aufzubauen. Im Jahr 1950 gelang es ihm, in einem Artikel im "Spiegel", der sich mit dem Paragrafen 175 beschäftigte, Reformvorschläge zu unterbreiten (queer.de berichtete).
In den Zeitschriften der Clubs queerer Männer, die sich damals als "Homophile" und "Homoeroten" verstanden, wurden die Abschaffung und die Reform des Paragrafen 175 ebenfalls diskutiert. Im Vergleich war der Vorschlag von Hans Giese die schwächste geäußerte Forderung. Die Frage nach einer strategischen Wahl stellte ein anderer homophiler Aktivist in den damaligen Medien. Nachdem 1952 in verschiedenen Beiträgen der Zeitschrift "Freond" diskutiert wurde, inwiefern es sinnvoll sei, nicht zu wählen und Stimmzettel zentral zu sammeln, formulierte Larion von Gyburg-Hall seinen Artikel "An Alle Wähler".
Wahlaufruf für die Sozialdemokraten
Darin beschrieb er die Demokratie als Gabe und Aufgabe. Die Rolle der Homophilen sei es, sich einzubringen, um mit demokratischen Mitteln Gerechtigkeit herzustellen. Gewählt werden sollte die Partei, die sich am wahrscheinlichsten für die Abschaffung des Paragrafen 175 einsetzen würde. Für Larion war das die SPD.

Homosexuelle Zeitschriften der frühen Bundesrepublik: In "Die Gefährten" und "Freond" wurde über das beste Wahlkreuz für schwule Männer diskutiert
Da ihm bewusst war, dass er mit "Freond" nur einen sehr geringen Teil der queeren Männer erreichte, versuchte er durch Artikel in anderen homophilen Zeitschriften wie "Die Gefährten" das Thema der strategischen Wahl und die Argumentation für die SPD im Zuge der Bundestagswahlen von 1953 zu verbreiten. In dieser Bundestagswahl positionierte sich die SPD schließlich erstmals für eine Reform des Homosexuellen-Paragrafen.
Mehr Unterstützung links von der SPD
Das Thema der strategischen Wahl wurde auch im Kontext der Bundestagswahlen von 1969 in der homophilen Zeitschrift "Der Weg zu Freundschaft und Toleranz" in Harry Steins Artikel "Ein politisches Wort" thematisiert. Stein betonte zwar, dass die SPD nach wie vor strategisch eine gute Wahl sei, er betonte allerdings, dass sich vor allem die außerparlamentarische Opposition, die Deutsche Friedensunion und die ehemalige KPD für die Rechte Homophiler eingesetzt haben.
In den Jahren 1969 und 1973 wurde der Paragraf 175 schließlich reformiert, und homosexuelles Verhalten unter erwachsenen Männern stand nicht weiter unter Strafe. Die Anliegen queerer Frauen wurden erst im Zusammenhang der Lesbenbewegung ab den 1970er Jahren gesondert betrachtet, die Anliegen genderqueerer Personen noch viel später.
Heute haben wir eine politische Landschaft, in der sich mehrere Parteien mehr oder minder für die Rechte queerer Menschen positionieren. Nach der jüngsten Wahlstudie der Justus-Liebig-Universität Gießen haben die Grünen den Status der beliebtesten Partei unter queeren Menschen. Darauf folgt die Linke. Für welche Parteien sich die queeren Menschen in Deutschland in diesem Jahr entscheiden, bleibt abzuwarten.
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