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Kinostart

Tausende Fotos und eine nie endende Suche nach sich selbst

Die Doku "Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte" von Klára Tasovská über die Fotografin Libuše Jarcovjáková ist ein bemerkenswerter Film über Neuanfänge, queere Safe Spaces, Freiheit und die Suche nach der eigenen Identität.


Libuše Jarcovjáková porträtierte Besucher*innen des queeren "T-Club" in Prag – und bekam deshalb Probleme mit der Polizei (Bild: Libuše Jarcovjáková / Salzgeber)
  • Von Finn Nachfolger
    25. Februar 2025, 22:21h 5 Min.

Wer bin ich? Wer möchte ich sein?

Diese Fragen stellt sich die tschechische Fotografin Libuše Jarcovjáková wieder und wieder. Immer wieder fängt sie von vorne an. Immer wieder versucht sie, sich selbst zu finden und zu verstehen. Sie dokumentiert in tausenden schwarz-weiß Bildern und Tagebüchern ihr Leben und sucht dabei das Persönliche, das Gewöhnliche und nimmt uns mit auf ihre Suche nach dem eigentlichen Ich und individueller Freiheit.

Klára Tasovská, Filmregisseurin aus Tschechien, erzählt in ihrem Film Film "Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte" auf eine ungewöhnliche Art und Weise das Leben der Fotografin. Sie erfindet nichts dazu, sondern lässt Libuše Jarcovjákovás Werk, ihre Fotografien und Tagebucheinträge, für sich selbst sprechen und genau dadurch wird die Geschichte lebendig und bewegt. Erstaunlicherweise fällt kaum auf, dass wir nur Bild nach Bild sehen. Das Voice-Over, Libuše Jarcovjákovás eigene Stimme, die ihre Tagebucheinträge vorliest, ergänzen die Geschichte und lassen uns eintauchen in eine Zeitreise durch sechs Jahrzehnte, durch kommunistische Invasion, durch Japan, durch das Ost-Berlin der 1980er Jahre, durch ein Prag nach dem Fall des Eisernen Vorhangs bis ins heute.

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Balance finden zwischen Anpassung und Rebellion


Poster zum Film: "Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte" startet am 27. Februar 2025 im Kino

Klára Tasovská bekam vom tschechischen Fernsehen den Auftrag, einen kurzen Beitrag über Libuše Jarcovjáková zu drehen. Doch schon nach kurzer Recherche spürte sie, dies konnte nicht genug sein. Die Idee eines größeren Projektes kam auf und somit auch die Frage, wie sich 70.000 Fotos erzählen und organisieren ließen.

Der Film begleitet Libuše Jarcovjáková schlussenendlich chronologisch und orientiert sich an den Stationen ihres Lebens. Also örtlich gesprochen. Ein Bild einer Frau wird geschaffen, die versucht, ihren Platz zu finden und ihre Freiheit zu erlangen. Mit jedem Kapitel, jedem Ort fängt Libuše Jarcovjáková von vorn an oder muss von Neuem beginnen und sich selbst neu finden.

Sie wollen eine Arbeiterin? Also bekommen sie eine.

So begegnet sie unter anderem mehreren Hindernissen, muss ihr eigentliches Ich vor einem Regime verstecken und verleugnen, eine Balance finden zwischen Anpassung und Rebellion, bevor sie überhaupt Fotografie studieren darf und kann.

Ich glaubte, immer Fotografin zu sein, doch niemanden kümmerte das.

Mit einer Auswahl von 3.000 Bildern machen sich die Regisseurin und Editor Alexander Kashcheev an die Arbeit. Sie stehen vor der Frage, wie aus Fotografien ein Film wird und entscheiden sich, atmosphärisch mit Musik und Sound zu arbeiten. Wie hört und fühlt sich ein Bild an? In einem fast zweijährigen Prozess entstehen Wassermotive, Partytracks und Technobeats, die auf teils humorvolle Weise die Fotos unterstützen und zum Leben erwecken. Begleitet wird dies außerdem durch eindrucksvolle Stroboskop-Lichteffekte und Spielereien.


Selbstporträt von Libuše Jarcovjáková (Bild: Libuše Jarcovjáková / Salzgeber)

Zunächst wirkt das zwar ein bisschen statisch, aber schon nach einigen Minuten hat sich unser Gehirn erstaunlicherweise daran gewöhnt und beginnt, bewegte Bilder zu sehen, weiterzudenken und kreativ zu werden. Mensch kann den Ton beinahe fühlen. Die Bilder werden greifbar, so, dass mensch am Ende fast schon nach einer Fortsetzung verlangt.

Ich bin schwanger. Ich bin nicht Mutter.

Auch thematisch dockt der Film direkt an unsere jetzige globale Situation an. Beinahe schon komisch, nicht im lustigen Sinne, wie wenig sich in den letzten 50 Jahren getan hat. Er konfrontiert uns mit Abtreibung, Angst vor ungewollter Schwangerschaft und dem Wunsch, kinderlos zu bleiben. Themen, denen sich auch viele menstruierende Personen heutzutage täglich stellen müssen mit ständiger Angst, keine eigene Wahl mehr treffen zu können. Folglich eine Geschichte, die auch für junge Menschen in unserer Zeit relevant ist.

Ich bin fremd.

Libuše Jarcovjáková reist nach Japan oder flieht in anderen Worten vor einem Regime, indem sie nicht sein darf, wie sie ist und findet dann schließlich doch in Prag eine neue Nische für sich, den "T-Club", einen geheimen Zufluchtsort für queere Menschen. Auch hier fotografiert sie eine Zeit lang, bis ein unvorhersehbares Ereignis sie zum Nachdenken bringt. Sie sei Fotografin, doch sitze auf einer Bombe. Ihre Bilder könnten anderen Menschen schaden, realisiert sie und hört auf, im "T-Club" zu fotografieren.

In Berlin wartet das Leben.

Doch trotz "T-Club" fühlt sich Libuše in Prag und ohne Pass wie ein Baum, der festgebunden ist, und entscheidet sich, nach Berlin zu fliehen. Ein erneuter Schritt ins Leere. Dafür aber nach vorn und kein Stillstand, oder? Wieder muss sie sich neu finden, ist pleite und fühlt sich einsam. Als Fotografin ist sie hier niemand. Die Mauer tritt in ihr Leben, auf Papier, auf ihren Fotos und auch mental.

Bin ich außerhalb oder innerhalb des Käfigs? Ich bin verwirrt.

Wieder fliegt sie nach Japan und fotografiert. Endlich. Und endlich kann sie sogar von ihrer Arbeit leben.

Ich bin Fotografin?

Schließlich trifft Libuše eine Entscheidung für sich. Für die Fotografie und ihr wahres Ich. Sie kehrt nach Berlin zurück und findet schon bald nach dem Fall der äußeren und inneren Mauer zu einer Klarheit.

Der Film begleitet sie durch die Jahrzehnte, nimmt uns mit in ihre Gedankenwelt voller Sehnsüchte, Hoffnungen, Wünsche, Einsamkeiten und offenen Fragen.

Ich werde wohl nie aufhören, mich zu fragen, wer ich wirklich bin.

Und genau diese Fragen stellen sich auch uns beim Schauen dieses sehr bemerkenswerten Filmes von Klára Tasovská, und vielleicht werden wir motiviert, ebenfalls ein bisschen mehr Risiken einzugehen, um unsere Sehnsüchte und Ziele zu erfüllen.

Vielleicht ist auch ein Besuch von Libuše Jarcovjákovás Ausstellungen bald einmal angebracht, um mehr über diese beeindruckende Frau zu erfahren?

Infos zum Film

Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte. Die Fotografin Libuše Jarcovjáková. Dokumentarfilm. Tschechien, Slowakei, Österreich 2024. Regie: Klára Tasovská. Laufzeit: 90 Minuten. Sprache: tschechische Originalfassung mit deutschen Untertiteln. FSK 16. Verleih: Salzgeber. Kinostart: 27. Februar 2025
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