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Kommentar

Trans Menschen werden trans geboren

Der Bundesverband Trans* hat die neue Broschüre "Wir reden mit! – Warum trans* Kinder und Jugendliche ernst genommen und unterstützt werden müssen" veröffentlicht. Sie kommt gerade jetzt wie gerufen!


Symbolbild: Trans Kinder und Jugendliche brauchen unsere Unterstützung, um mit Diskriminierung im Alltag, Mobbing in der Schule und Übergriffen in der Öffentlichkeit fertig zu werden (Bild: IMAGO / ABACAPRESS)

Mit der letzten US-Wahl haben wir erlebt, wie Trans- und Homofeindlichkeit zum Wahlkampfthema wurde und wie mit Hass, Desinformation und krassen Vorurteilen Stimmen gewonnen werden. Im Bundestagswahlkampf spielte Transfeindlichkeit kaum eine Rolle, aber sie war und ist in einigen Wahl- und Parteiprogrammen präsent und deshalb auch bei uns eine latente politische Gefahr.

Wir wissen auch, dass CDU/CSU das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) wenn nicht abschaffen, so doch mindestens ändern will. Dabei hat sich die Union von Anfang an auf das Thema Kinder und Jugendliche eingeschossen, obwohl klar ist, dass das SBGG keine medizinischen Maßnahmen regelt. Behauptet wird es trotzdem. Politische Hysterie funktioniert eben nicht nach den Regeln der Vernunft, und Fairness ist ihr sowieso unbekannt.

Das Wahlergebnis steht nun seit Sonntagabend fest, und die Koalitionsverhandlungen von Union und SPD versprechen spannend zu werden – sicherlich nicht nur in der Frage, was mit dem SBGG geschieht. Denn schließlich hat die SPD das Gesetz mit durchgesetzt, weshalb ich mir nicht vorstellen kann, dass sie trans, inter und nichtbinäre Menschen aus Machtgründen wie eine heiße Kartoffel fallen lässt. Die 16,4 Prozent Stimmenanteil reichen hoffentlich für ausreichend Rückgrat.

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Sachliche Informationen über trans Kinder und Jugendliche


Die Broschüre "Wir reden mit!" kann auf der Homepage des BVT* als PDF heruntergeladen und in gedruckter Form bestellt werden

In dieser Situation kommt eine Broschüre wie gerufen, herausgegeben vom Bundesverband Trans* (BVT*) – zumindest für all jene, die unaufgeregt und sachlich über die beiden hier angesprochenen Themen Transfeindlichkeit und trans Kids informiert werden möchten: "Wir reden mit! – Warum trans* Kinder und Jugendliche ernst genommen und unterstützt werden müssen". Die Broschüre kann auf der Homepage des BVT* als PDF heruntergeladen werden. Druckexemplare können über das Kontaktformular auf der Homepage bestellt werden.

Bleiben wir beim Thema trans Kids. Es ist keineswegs so, dass wissenschaftsbasierte und praxisorientierte Bücher zum Thema Mangelware wären. Zu erinnern ist an "Die anderen Geschlechter" der Schweizer Psychiaterin Dagmar Pauli oder an den Praxisleitfanden "Familien mit trans* und nicht-binären Kindern". Aber diejenigen, die sich bei der Union um das Thema kümmern, scheinen um diese Aufklärungsliteratur einen großen Bogen zu machen. Ich nenne so etwas systemische Lernresistenz oder einfach stur. So ist es, wenn einem die eigenen Vorurteile und Ressentiments lieber sind als Fakten.

Hinzu kommen ideologische Barrieren, die beispielsweise Elternrechte verabsolutieren und Kinderrechte ignorieren. Bezeichnend, dass sich die Union dagegen wehrt, Kinderrechte Grundrechtsschutz zu verleihen. Mit Blick auf medizinische Fragen wird gern und oft die Gefahr der Übereilung beschworen. Wer so redet, verrät nur seine Unkenntnis der Realität. Zu hoffen bleibt, dass auf anderen Politikfeldern mehr Realitätssinn und Professionalität vorhanden sind.

Neu ist die Sichtbarkeit von trans Kindern, nicht deren Existenz

Auch wird gerne unterstellt, trans Kinder seien eine "Erfindung" der sogenannten trans Lobby, als hätte es sie vorher nie gegeben. Nein, trans Menschen werden trans geboren. Wir sind es von Anfang an. Nur gibt es bei der Geburt leider keinen Beipackzettel, der darüber aufklärt. Es ist nichts, was wir uns anlesen, was man uns im Internet einflüstert oder womit wir uns gewissermaßen infizieren. Neu ist, wenn man so will, die Sichtbarkeit von trans Kindern, nicht jedoch ihre Existenz.

Das wussten auch die 576 Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 5 und 26 Jahren, die an der Online-Befragung der Aktion #WirRedenMit teilgenommen haben und deren Statements in der Broschüre nachzulesen sind. Trans Kinder und Jugendliche brauchen unsere Unterstützung, um mit Diskriminierung im Alltag, Mobbing in der Schule und Übergriffen in der Öffentlichkeit fertig zu werden. Wer es mit Kindeswohl wirklich ernst meint, sollte diese Unterstützung nicht verweigern. Vorbehalte durch die Politik sind jedenfalls nicht hilfreich.

Noch ein Wort zur Geschlechtsmündigkeit, die die Union Menschen bis 18 Jahren abspricht, zumindest wenn sie trans sind. Woher wissen dann aber diejenigen, die es nicht sind, dass sie weiblich und männlich sind? Weil man ihnen von klein auf ihre Geschlechtsrolle einbläut? "Versucht mal, Gender lockerer zu sehen!", lautet eines der Statements. Spricht für sich.

Aufklärung für die interessierte Öffentlichkeit

Vielleicht noch diese Anmerkung: Ich würde mir wünschen, dass wir uns beim Thema Zweigeschlechtlichkeit weniger in frustrierende Diskussionen verstricken, bei denen wir am wenigsten überzeugen können angesichts einer Übermacht von Menschen, die sich als Frauen und Männer mit einer leicht unterscheidbaren Anatomie verstehen. Damit geben wir Leuten wie Markus Söder nur blöde Witzvorlagen wie etwa die, er habe gehört, es gebe jetzt 100 Geschlechter. Wir sollten besser erklären, was geschlechtliche Identität bedeutet und dass sie als Bewusstsein von trans, inter und nichtbinären Menschen Ausdruck unserer Biologie ist. Was freilich voraussetzt, dass man das Gehirn, wo unser Bewusstsein entsteht, als biologisch akzeptiert.

Und hier ein paar Worte zur Transfeindlichkeit: Die Frage ist nicht unberechtigt, für wen die Broschüre gedacht ist. Natürlich für die interessierte Öffentlichkeit. Die Rechten zählen mit Sicherheit nicht dazu und schon gar nicht die Rechtsextremen, denn die fahren nur auf Fake und Verschwörungstheorien ab. Und gerade deshalb braucht es Aufklärung, denn gefährlicher dürften all jene sein, die eben nicht als rechtextrem identifiziert werden, aber dieselben Feindbilder reproduzieren.

Da gibt es leider gewisse Schnittmengen auch mit Konservativen und ebenso mit vermeintlich feministischen Gruppen wie "Lasst Frauen sprechen", "Frauenaktionsbündnis", "Frauenheldinnen" und noch etliche andere, die trans Frauen generell als Männer betrachten und so als Bedrohung für cis Frauen diffamieren. Da sind ideologische Allianzen erkennbar, die am Ende den Rechtsextremen so etwas wie demokratische Legitimation verleihen. Als ob es wirklich um den Schutz von Frauen ginge. Wer es genauer wissen will, dem sei die "Leipziger Autoritarismus Studie" von 2024 empfohlen.

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Aufklärung und Demokratie brauchen einander

Wie gefährlich das werden kann, hatte uns der US-Wahlkampf allzu deutlich gezeigt, wo sich das Thema hervorragend für Wählermobilisierung nutzen ließ. Frauke Steffens, Feuilletonredakteurin der "Frankfurter Allgemeinen" in New York, meint dazu: "Der Umgang mit einer kleinen Minderheit kann immer auch ein Test dafür sein, was eine Gesellschaft mitträgt." Wie bereitwillig Einrichtungen in den USA den neuen Kurs umsetzen, ist erschreckend, aber eben auch ein Test, wie weit eine Gesellschaft mitgeht bei der Abschaffung der Freiheit. "Solange die Gerichtsbarkeit funktioniert, dürfte Trump mit vielen Vorstößen auf diesem Feld scheitern", heißt es weiter in dem mit "Ermutigung zum Hass" überschriebenen Artikel, "[d]och einzelne Menschen könnten sich vom Präsidenten ermutigt fühlen, ihrem Hass auf die Minderheit freien Lauf zu lassen."

Also, bleiben wir dran und setzen auf die besseren Argumente bei all jenen, die dafür erreichbar sind. Der Schutz von Grundrechten ist jedenfalls eines der besten Argumente, die ich kenne. Aufklärung und Demokratie passen nicht nur wunderbar zusammen, sie brauchen einander. Das Wahlergebnis vom Sonntag hat wenigstens bestätigt, dass die überwiegende Mehrheit auf der Seite der Demokratie steht. Darin steckt die dringende Aufforderung, die nächsten vier Jahre dafür zu sorgen, dass es mindestens so bleibt.

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