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Erdogan-Regime
Türkei will Strafrecht gegen queere Menschen einsetzen
Gleichgeschlechtliche Verlobungen, die "Bewerbung" von Transgeschlechtlichkeit oder die Durchführung nicht genehmigter geschlechtsangleichender Operationen könnten in der Türkei künftig mit Haft bestraft werden. Von diesen Regierungsplänen berichtet das queere Portal KaosGL, dessen Chefredakteur in Untersuchungshaft sitzt.

"LGBTI+ dürfen nicht kriminalisiert werden": Der türkische Präsident Erdogan plant eine Strafrechtsreform, die auch auf queere Menschen zielt (Bild: KaosGL, haberlernet NET / flickr)
- 28. Februar 2025, 16:51h 4 Min.
Eine am Sonntag vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan angekündigte umfangreiche Reform des Strafrechts und weiterer Rechtsbereiche enthält mehrere Passagen, die queere Menschen betreffen. Darauf machte KaosGL, eine queere Nachrichtenseite und Organisation, am Donnerstag in einem auch auf Englisch übersetzten Bericht aufmerksam.
Das Strategiedokument, das Ziele für die nächsten Jahre vorschreibt, enthält etwa einen Vorschlag für die folgende Ergänzung des Strafgesetzbuches: "Wenn Personen gleichen Geschlechts eine Verlobungs- oder Trauungszeremonie durchführen, werden sie zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten bis zu vier Jahren verurteilt." In der Türkei werden gleichgeschlechtliche Paare nicht rechtlich anerkannt. Nach Einschätzungen eines von KaosGL befragten Anwalts könnte die Passage auf symbolische Zeremonien ebenso angewandt werden wie auf im Ausland geschlossene Ehen. Seit der Streichung von Homosexualität als Straftatbestand im Jahr 1858 droht Schwulen und Lesben damit eine Kriminalisierung.
Ebenfalls droht der Türkei eine Art strafrechtliches "Trans-Propaganda"-Verbot, analog zu den (im Bußgeld-Bereich angesiedelten) "LGBT-Propaganda"-Gesetzen etwa in Russland oder Ungarn: "Eine Person, die öffentlich Ansichten und Verhaltensweisen ermutigt, lobt oder fördert, die im Widerspruch zum biologischen Geschlecht bei der Geburt und zur öffentlichen Moral stehen, wird zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu drei Jahren verurteilt." Die Formulierung bedrohe auch die Arbeit von queeren Organisationen, so die Einschätzung des Anwalts, und könnte auch gegen Personen eingesetzt werden, die sich etwa nicht vermeintlich geschlechtstypisch kleideten.
Sterilisationszwang vor Wiedereinführung
Eine weitere neue Passage belegt die Durchführung von geschlechtsangleichenden Operationen ohne Genehmigung mit drei bis sieben Jahren Haft. Wer diese durchführen lässt, kann mit einem bis drei Jahre Haft bestraft werden. Laut KaosGL drohte trans Personen, die etwa eine Behandlung im Ausland durchführen ließen, bislang keine Bestrafung.
Die Passage ist auch insofern relevant, weil das Mindestalter geschlechtsangleichender Maßnahmen und der rechtlichen Anerkennung laut dem Entwurf von 18 auf 21 Jahren angehoben wird. Trans Personen müssen zuvor einen mehrstufigen Begutachtungsprozess durchlaufen, der nur noch in einer begrenzten Zahl von von der Regierung dazu ausgewählten Krankenhäusern stattfinden können dürfe. Außerdem werde Unfruchtbarkeit zur Voraussetzung gemacht – den Sterilisationszwang hatte der Verfassunsgerichtshof 2017 aufgehoben (queer.de berichtete).
Zunehmende Repression gegen die Community
Erdogan hatte 2025 als "Jahr der Familie" ausgerufen und in einer Rede die queere Community als eine Hauptgefahr für traditionelle Familien ausgemacht: "Es ist unser aller Verantwortung, unsere Kinder und Jugendlichen vor schädlichen Trends und perversen Ideologien zu schützen." Der Präsident hatte die letzten Jahre immer wieder versucht, sich durch Queerfeindlichkeit zu profilieren.
So wurde 2015 erstmals der zuvor groß besuchte CSD in Istanbul verboten und das vom von der Zentralregierung bestimmten Gouverneur seitdem immer wieder ausgesprochene Verbot häufig mit großem Polizeieinsatz, Festnahmen, Wasserwerfern und Gummigeschossen gegen die resiliente Community durchgesetzt. Auch Prides in anderen Städten, Universitäten und queere Kulturveranstaltungen wurden mehrfach untersagt.
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KaosGL-Chef in Untersuchungshaft
Auch ansonsten geht Erdogan gegen die Zivilgesellschaft und Opposition vor. So wurden am 18. Februar in Razzien zum Verdacht einer Mitgliedschaft in einer "Terrororganisation" rund 50 Personen festgenommen, darunter Journalist*innen, Aktivist*innen und Künstler*innen, von denen über 30 noch in Haft sind – darunter Yildiz Tar, der Chefredakteur von KaosGL, und weitere queere Personen und Aktivist*innen.
In dem neuen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren geht es um den Demokratischen Kongress der Völker (HDK), eine – laut Gerichten legale – Dachorganisation linker und kurdischer und auf Menschenrechte abzielender Parteien und Organisationen und um Treffen im Rahmen der Organisation von vor über zehn Jahren. Tars Anwalt kritisiert, völlig harmlose Telefonate und Veranstaltungsteilnahmen im Rahmen der journalisten Tätigkeit würden kriminalisiert. Auch würden illegale Telefonmitschnitte verwendet.

Die Webseite von KaosGL bietet auch auf Englisch letzte Informationen zum staatlichen Vorgehen gegen ihren Chefredakteur sowie zu Reaktionen von weiteren queeren Organisationen auf die möglichen Verschärfungen im Strafrecht
"Völlig ungesetzlich werden die gewaltlosen friedlichen Proteste, an denen ich vor über zehn Jahren teilgenommen habe, jetzt als Grund für meine Inhaftierung angeführt", ließ Tar vor einer Woche über seinen Anwalt mitteilen. "Es gibt keine Rechtfertigung dafür. In meiner Aussage bei der Polizei versuchten sie auch, meine journalistische Tätigkeit zu kriminalisieren. Journalismus ist kein Verbrechen. Ich glaube, dass diese Operation eng mit dem Krieg gegen LGBTI+ zusammenhängt, den die Regierung als 'Jahr der Familie' erklärt hat. Wie wir immer sagen, sind LGBTI+-Rechte Menschenrechte. Es lebe das Leben trotz Hass!" (nb)
Links zum Thema:
» Webseite von KaosGL















