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Kommentar

Die Herrschaft des Bullshit

Sind die Rechten so stark, weil der trans Aktivismus zu "radikale" Forderungen stellt? Nein! Wer trans Menschen die Schuld am Backlash gibt, der betreibt eine perfide Opfer-Täter-Umkehr.


Trans-Rechte sind Menschenrechte: Protestschild beim CSD Kassel 2024 (Bild: IMAGO / Müller-Stauffenberg)

Meine schon etwas längere Lebenserfahrung lehrt mich, dass Dummheit oft das Zuverlässigste im Leben ist. Alles andere ist Glückssache. Wenn heute mit Blick auf das, was wir Backlash nennen, die Rede von Kardinalfehlern des trans Aktivismus ist, dann ist das so ein typischer Fall von Voll-Daneben. Oder, um mit dem US-Philosophen Harry G. Frankfurt zu sprechen, dann ist das ein typisches Beispiel für die Herrschaft des Bullshit.

Als ob Rechtsextreme, Rechtspopulisten oder Faschisten wie Trump, Putin, Orbán und Konsorten nur deshalb trans- und homofeindlich sind, weil wir in der Vergangenheit zu viel gefordert haben und offenbar zu erfolgreich waren, und weil wir heute gesellschaftliche Sichtbarkeit erreicht haben. Wobei schon klar ist, dass eine größere Sichtbarkeit auch größere Angriffsflächen bedeutet. Aber womit wohl kaum die Berechtigung für unsere Sichtbarkeit in Frage gestellt ist.

Behauptet wird, die queere Community und ganz besonders die trans Community seien schuld am Backlash. Springt einem da nicht förmlich die schreiende Dummheit ins Gesicht? Weitergedacht heißt das doch, dass ich als trans Frau selbst schuld bin an dem Hass, den Menschen wie ich erfahren, und zwar aus dem einfachen Grund, weil ich mir erlaube zu existieren – und weil wir irgendwann vor langer Zeit mit dem Leben im Schrank aufgehört haben.

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Wir sollen wieder Krankheitsfälle werden

Also wollen die, die uns die Schuld am Backlash geben, uns wieder in die queerpolitische Steinzeit katapultieren? Ist das Gebot der Stunde also Wegducken, Verzicht, Leisetreterei, ängstlicher Rückzug ins Private? Merkt denn von denen niemand, dass wir nur der Versuchsballon sind für das viel größere Projekt der Pulverisierung der Demokratie? Was erleben wir denn gerade in den USA? Die Demontage eines Staates, bei der wir trans Menschen zwar prominent in die erste Reihe eines Rachefeldzugs geschoben wurden, aber das hätte auch mit allen anderen Minderheiten funktioniert – siehe Menschheitsgeschichte. Diesmal trifft es uns.

Wir sollen also aufhören zu glauben, dass Grundrechte auch für uns da sind und dass wir uns nur als arme, weil kranke Menschen eine Chance in dieser Gesellschaft ausrechnen dürfen (Stichwort Mitleid). Und was schlägt man uns vor? Alles zurückzunehmen, wofür wir Jahrzehnte gekämpft haben: Die Entpathologisierung von trans und die geschlechtliche Selbstbestimmung. Wir sollen wieder Krankheitsfälle werden. Psychiater*innen sollen wieder trans als Persönlichkeitsstörung diagnostizieren dürfen. Die Selbstbestimmung wird ersetzt durch psychologische Gutachten, weil wir selbst angeblich ja nicht unsere Geschlechtsidentität wissen können, sondern nur unabhängig urteilende Psycholog*innen und Psychiater*innen. Und schließlich könne es ja wohl kein Menschenrecht auf "gefühltes" Geschlecht geben. Kurzum: Geschlechtsmündigkeit passé.

Wir zerlegen uns mal eben selbst

Es ist nicht zu glauben, aber genau das wird allen Ernstes in bestimmten trans Kreisen diskutiert. Wir brauchen also gar keinen genderkritischen Feminismus à la Lasst Frauen sprechen oder Frauenheldinnen, keine AfD, kein BSW und was sonst noch an reaktionärer Klientel Expertise in Transfeindlichkeit hat, wir zerlegen uns mal eben selbst. Das erinnert mich an unselige Debatten über die Frage, wer denn "echt" oder "nicht echt" transsexuell sei. Das ist mittlerweile vierzig und mehr Jahre her. Aber aus manchen Köpfen ist das nie verschwunden. Manche bleiben geistig einfach stehen.

Das ist natürlich noch nicht alles an sogenannten Kardinalfehlern des trans Aktivismus: Da gehört beispielsweise die Behauptung dazu, geschlechtliche Selbstbestimmung gehe auf Kosten von Frauen, Nichtbinarität wird als Unsinn diffamiert, Minderjährige zu medizinischen Maßnahmen verführt und in den Schulen finde queere Indoktrination statt – bei der AfD heißt das Frühsexualisierung.

Das Gedankenexperiment geht also so, wir machen alles wieder rückgängig und ab morgen werden uns Trump, Putin, Orbán und Konsorten lieben. Die mochten uns zwar vorher genauso wenig, aber gegen die Realität hat ein fester Glaube schon immer geholfen, wenn auch nicht denen, die zum Opfer dieser Realität wurden.

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Die Mehrheit der Gesellschaft hat gar kein Problem mit uns

Zur Erinnerung: Die Diskussion ist keineswegs neu. Im "Jahrbuch Sexualitäten 2021", dieser Kampfschrift einer nicht gerade queeren, wohl aber verqueren Wissenschaft, hatte die Politikwissenschaftlerin Esther Kováts den trans Aktivismus zum nützlichen Idioten der Rechten machen wollen, indem wir die rechte Politik mit unserer Forderung nach geschlechtlicher Selbstbestimmung befeuern würden.

Sie hatte damals für so etwas wie einen selbstgewählten Backlash argumentiert, indem wir der Mehrheitsgesellschaft durch Rücknahme unserer Forderungen entgegenkommen und damit auf einen Revisionismus setzen, der uns wieder nett und hinnehmbar erscheinen lasse. Dabei hat die Mehrheit der Gesellschaft gar kein Problem mit uns. Kann man in der empirischen Forschung nachlesen – siehe Steffen Mau u.a. "Triggerpunkte". Das Problem haben nur gewisse Eliten und ein reaktionärer Bodensatz. Dass dem so ist, beweist mir Tag für Tag meine Nachbarschaft oder die Kassiererinnen im Supermarkt wie all die zahllosen Menschen, die mit mir die Sitzbank in den Öffis teilen. Ich bin für die kein Problem, so lange ich mich nicht an der Kasse vordrängle.

Ich fasse zusammen: Wer trans Menschen die Schuld am Backlash gibt, der betreibt nichts anderes als eine Art Victim Blaming, eine perfide Opfer-Täter-Umkehr. Wir kennen das zur Genüge. Es bestätigt wieder einmal die Herrschaft des Bullshit. Nur diesmal kommt sie aus den eigenen Reihen.

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