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"Ich bin ein Monster, das zu euch spricht"

Eine Fundgrube wunderbarer An- und Einsichten zum Trans-Sein

2019 hielt Paul B. Preciado einen legendären Vortrag vor 3.500 Psychoanalytiker*innen – jetzt ist er in deutscher Übersetzung als Buch erschienen. Eine empowernde Lektion in Sachen Selbstbewusstsein!


Der spanische Philosoph, Schriftsteller, Filmemacher und trans Mann Paul B Preciado wurde 2023 auf der Berlinale mit dem Special Jury Award ausgezeichnet (Bild: Elena Ternovaja / wikipedia)

Der spanische Philosoph, Schriftsteller, Filmemacher ("Orlando, meine politische Biografie") und trans Mann Paul B. Preciado war 2019 eingeladen, vor den Mitgliedern der École de la Cause Freudienne in Paris über seine Transition zu sprechen. Das tat er dann vor 3.500 Zuhörenden. Er nahm dabei kein Blatt vor den Mund und erklärte den Anwesenden, was er von der Psychoanalyse hält, nämlich wenig bis nichts. Was aber, wenn man so will, durchaus auf Gegenseitigkeit beruht. Denn für sie seien wir jene, die durch Perversion die Heteronormativität verfehlen würden – kranke Menschen eben.

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Mehr als einen Krankheitsbefund vermochte eine Psychoanalyse, die einst aus der Position der patriarchalen Männlichkeit entworfen wurde, im Fall von trans nicht zu erkennen. Nun gut, das blieb glücklicherweise nicht das letzte Wort in der Psychoanalyse. Denn inzwischen regt sich Kritik innerhalb der Disziplin, wie in der Aufsatzsammlung "Transgeschlechtlichkeit und Psychoanalyse. Perspektiven jenseits des Kulturkampfs" nachzulesen war.

Ulrike Auge schrieb als eine der Autor*innen des Bandes in ihrem Beitrag "Über die 'Angst' vor trans*Personen":

Die Debatten um die Entpathologisierung, Selbstbestimmungs- und letztlich Menschenrechte von trans*Personen löst zunehmend eine "epistemische Krise" […] aus, da innerhalb der heteronormativen Subjektivierungspraxis verschleiert wird, dass es kein a priori existierendes biologisches weibliches oder männliches Geschlecht gibt, das sich in vorhersagbaren Identitätsbildungen und Wesenheiten reproduziert.

Nein, die Psychoanalyse muss keine Angst vor uns haben, sie sollte sich nur allmählich von ihrer patriarchalen Ideologie verabschieden. Heteronormativität ist etwas für Menschen, die Angst vor der Vielfalt haben. Preciado würde den hier zitierten Positionswechsel nur begrüßen, denn es ist genau seine Forderung vor dem Pariser Auditorium gewesen. Die Psychoanalyse möge sich endlich vom Regime der Geschlechterdifferenz verabschieden. Und damit von der Annahme, Weiblichkeit und Männlichkeit seien Naturgegebenheiten und nicht vielmehr Kulturprodukte.

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Ein Leben "jenseits der Geschlechterdifferenz"


"Ich bin ein Monster, das zu euch spricht" ist im lmverlag erschienen

In dem von Stefan Lorenzer übersetzten Band "Ich bin ein Monster, das zu euch spricht" (Amazon-Affiliate-Link ), erschienen im lmverlag, kann nun der Vortrag in voller Länge nachgelesen werden – eine Fundgrube wunderbarer An- und Einsichten zum Trans-Sein. Wobei Preciado die Transition als einen Weg nach draußen und sozusagen ins Leben beschreibt, den ihm das Testosteron ermöglichte. Nur sei das nie ein Selbstzweck gewesen oder der Grund für eine "heroische Erzählung". Denn Preciado hatte nicht die geringste Lust, ein Mann wie andere Männer zu werden. "Deren Gewalttätigkeit und politische Arroganz übten auf mich keine Anziehungskraft aus."

Es brauchte eine Weile, erklärt uns Preciado, "um die Codes der herrschenden Männlichkeit zu verstehen". Doch das Resultat war und ist für ihn ein Leben "jenseits der Geschlechterdifferenz", wodurch allerdings sein Leben schöner wurde, "als alles, was Sie mir als Lohn für die Anerkennung der Norm hätten versprechen können".

Dennoch ist ihm bewusst:

Ich weiß, dass ich meinen Körper zum Showroom gemacht habe, aber ich verwandele lieber mein Leben in eine literarische Legende, ein biopolitisches Schauspiel als zuzulassen, dass Psychiatrie, Pharmakologie, Psychoanalyse, Medizin oder Medien eine Darstellung meiner selbst als eines integrationswilligen, binären und gebildeten Homo­sexuellen oder Trans­sexuellen konstruieren, als eines gebildeten Monsters, dass sich in der Sprache der Norm auszudrücken weiß.

"Niemand ist verpflichtet, den Fehlern der Vergangenheit treu zu bleiben"

Preciado gibt uns eine Lektion in Sachen Selbstbewusstsein, der sich sicher ist, dass ein Ende des "Regimes der Geschlechterdifferenz" allen Menschen zugutekommen würde. Denn sie sei nur "eine anatomische Kartographie, eine politische Ökonomie des Körpers und eine kollektive Steuerung von Reproduktionsenergien", bei der die Psychoanalyse die Therapie liefere, um die Menschen trotz der "enormen psychischen Kosten" im Sinne der Aufrechterhaltung der Geschlechterdifferenz "funktionsfähig" zu halten.

Aber statt die Epistemologie zu verändern, beschließt man, die Körper zu modifizieren, die Geschlechter zu normalisieren, die Identitäten geradezurücken.

Mit Epistemologie meint Preciado eine Erkenntnistheorie, die endlich die geschlechtliche und sexuelle Vielfalt als das Menschliche begreift. Er nennt das auch die "kopernikanische Wende" in Fragen von Geschlecht, die so fundamental sei wie die Erkenntnis, dass nicht die Sonne die Erde, sondern die Erde die Sonne umkreise:

Niemand ist verpflichtet, den Fehlern der Vergangenheit treu zu bleiben. Sie so wenig wie sonst jemand. Ich prangere hier nicht Freuds Misogynie an, auch nicht den Rassismus oder die Transphobie Lacans. Was ich anprangere, ist die Treue, die eine im Laufe des 20. Jahrhunderts entwickelte Psychoanalyse der Epistemologie der Geschlechterdifferenz und der kolonialen Vernunft des Westens hält.

Sein Rat an die 3.500 Psychoanalytiker*innen im Saal: "Lassen Sie Ödipus frei."

Infos zum Buch

Paul Preciado: Ich bin ein Monster, das zu euch spricht. Aus dem Französischen von Stefan Lorenzer. 85 Seiten. lmverlag. Berlin 2024. Taschenbuch: 27,50 € (ISBN 978-9-08342-165-0)

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