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Queerfilmnacht
Das goldene Zeitalter der Lesben auf Lesbos
Die griechische Insel und Geburtsort der antiken Dichterin Sappho ist ein Sehnsuchtsort für Lesben aus ganz Europa. Die neue Doku "Lesvia" von Tzeli Hadjidimitriou zeigt die paradiesischen Zustände, aber auch Konflikte mit Einheimischen.

Szene aus "Lesvia"
- Von
3. April 2025, 05:51h 3 Min.
Lesbos in den 1970er Jahren kann man sich als gelobtes Land vorstellen: Eine Mittelmeerinsel voller Lesben aus der ganzen westlichen Welt, die Freiheit, Gemeinschaft und Austausch genießen. Frauen, die in ihrer Heimat oft nicht geoutet waren, hier aber Händchen halten, Knutschen, Sex haben konnten. Ein paradiesischer Urlaub, ein lesbischer Sehnsuchtsort, der für ein paar Sommerwochen Großartiges verheißt.
Lesbos, wo die antike Dichterin Sappho im 7. Jahrhundert vor Christus die Schönheit ihrer Freundinnen und Schülerinnen besang. Ihr verdanken Lesben ihren Namen, manche pilgern bis heute als "Nachkommen Sapphos" auf die Insel. Angefangen haben damit um 1900 das Autorinnenpaar Renée Vivien und Natalie Barney. Vor allem zog es sie nach Eresos, Sapphos Geburtsort.
Seit den 1970ern, mit dem Aufkommen des internationalen Massentourismus, kamen immer mehr Frauen nach Lesbos. Die lesbische Filmemacherin Tzeli Hadjidimitriou, 1962 auf Lesbos geboren, dokumentierte das, seit sie volljährig war.
Hier fanden Lesben ihre Ersatzfamilie
Ihren stellenweise essayistischer Dokumentarfilm hat sie vor allem aus Archivmaterial kompiliert. Es sind teilweise noch nie gezeigte Fotos und Videos, die einen authentischen Einblick in 40 Jahre lesbische Geschichte auf Lesbos geben: Glück, Freude, Freiheit und Sex sind in vielen Bildern spürbar. An manchen Stellen hätten die Bilder von großer ästhetischer Qualität noch länger stehen können, um sie noch mehr genießen zu können. Stattdessen liegen über den Bildern fast immer Stimmen von Zeitzeug*innen.
Denn zu erzählen gibt es viel. "Lesvia" ist ein vielstimmiges Porträt der Insel, das unglaublich viele Zeitzeug*innen von ihren Erlebnissen sprechen lässt: Davon, dass die Insel der "Anfang meines Sexuallebens" war, oder von den selbstgebauten Bambushütten, in denen die Frauen am Strand schliefen. Eine spricht von der "lesbischen Diaspora", die hier eine Ersatzfamilie fand, eine zweite Heimat. Aber auch, dass die auf Lesbos aufgewachsene Regisseurin Tzeli Hadjidimitriou in der Schule kein einziges Gedicht von Sappho gelesen hat. Dafür fügt sie immer wieder Texte der Dichterin in ihren Film ein.
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Mehr Fortschritt, weniger Community
Es waren Jahrzehnte, die jedoch keineswegs konfliktfrei verliefen: Die einheimische Bevölkerung fühlte sich teilweise bedroht und gestört von den vielen Touristinnen – auch, weil es Lesben waren, aber nicht nur. Manche haben sich einfach danebenbenommen. Overtourism würde man das heute nennen. Der Film spart die Konflikte mit der lokalen Bevölkerung nicht aus, setzt das Ganze aber nicht auf eine höhere Diskursebene: Mittelschichts-Europäerinnen versus Inselgemeinschaft.
Zumal der lesbische Sehnsuchtsort – wie viele andere queere Einrichtungen – am selbst herbeigesehnten Fortschritt leidet. Einer toleranteren Gesellschaft sei Dank haben offenbar weniger Lesben das Gefühl, eine Insel nur für sich zu brauchen. Institutionen wie das Women-Only-Hotel Sappho haben dicht gemacht.
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Ein wohliges Gefühl von Fernweh
Eine weitere Krise spart der Film ganz aus: Dass seit 2015 Tausende Geflüchtete auf die Insel kamen, was vor allem das Lager Moria zu einem Symbol für die gescheiterte Asylpolitik der EU machte – und worunter der Tourismus erheblich litt.
Dennoch: Der Dokumentarfilm "Lesvia" zeigt einen bedeutenden Teil lesbischer Kulturgeschichte. In seiner ruhigen, fast meditativen Herangehensweise sorgt er für ein wohliges Gefühl von Fernweh und Rückschau. Der Film bietet seltene Aufnahmen voller Glück – und macht deshalb selbst glücklich.
Lesvia. Dokumentarfilm. Griechenland 2024. Regie: Tzeli Hadjidimitriou. Lauzeit: 77 Minuten. Sprache: griechische Originalfassung mit deutschen Untertiteln. FSK 12. Verleih: Salzgeber. Im April 2025 in der Queerfilmnacht
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