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Literatur

Schwule Liebe im Kosovokrieg

Ein Albaner und ein Serbe verlieben sich ineinander. Vor dem Hintergrund des brutalen Kriegs ist die Liebe der zwei Studenten zum Scheitern verurteilt. "Bolla", der dritte Roman von Pajtim Statovci, erzählt von bedrückenden Schicksalen – und lässt einen nicht mehr los.


Pajtim Statovci, geboren 1990, zog im Alter von zwei Jahren mit den albanischen Eltern aus dem Kosovo nach Finnland. Für seinen Roman "Meine Katze Jugoslawien" erhielt er gemeinsam mit seinem Übersetzer Stefan Moster den Internationalen Literaturpreis des Haus der Kulturen der Welt (Bild: Ano Kurki)

Gegensätze ziehen sich an. Sagt man so. Aber manche Gegensätze sollten sich nicht anziehen. Weil sie gefährlich werden. Albaner und Serbe zum Beispiel. Natürlich sind das keine Gegensätze, für manche Ideolog*innen aber eben schon. Und dann wird's problematisch – und fast unmöglich, wenn es zwei Männer sind, die einander anziehen, und das alles während des Balkankriegs passiert.

Der 24-jährige Arsim ist Albaner, der ein Jahr ältere Miloš ist Serbe. Der eine studiert in Pristina Literatur, Geschichte und Englisch, träumt von einem Leben als Schriftsteller. Der andere will Herzchirurg werden. Es ist 1995, und Arsim hat schon vor vier Jahren Ajshe geheiratet – vor allem für seinen Vater. Und "weil es sich für einen Mann gehört, eine Frau an seiner Seite zu haben, weil es sich auch für eine Frau gehört, einen Mann neben sich zu haben." Doch Ajshe liebt Arsim wirklich.

Die Liebe muss im Verborgenen bleiben

Arsim, der Ich-Erzähler, beginnt seine Geschichte aber nicht mit Ajshe. Sondern damit, wie er Miloš in einem Café zum ersten Mal sah, ihn eine Weile lang beobachtete und es einfach "unumgänglich" war, den jungen Mann anzusprechen, so hingerissen war er von ihm. Ihre Liebe ist heftig und kitschig, und sie müssen sie lautlos und im Verborgenen leben. Der Roman verliert hier keine Zeit mit langer Vorgeschichte, sondern geht ganz unmittelbar los.

Doch so glücklich die beiden Verliebten sind, so schnell wendet sich alles. Ajshe wird schwanger, Arsim hasst das Geschrei des Kindes, der Balkankrieg weitet sich auf den Kosovo aus. Arsim und seine Familie flüchten aus dem Land. Und, ohne zu viel zu verraten: Es geht weiter abwärts, und zwar steil.

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Arsim ist ein furchtbarer Ehemann, aber ein leidenschaftlicher Liebhaber


"Bolla" ist Ende März 2025 auf Deutsch im Luchterhand Literaturverlag erschienen

"Bolla" (Amazon-Affiliate-Link ) ist nach "Meine Katze Jugoslawien" und "Grenzgänge" der dritte Roman des finnisch-kosovarischen Schriftstellers Pajtim Statovci. 1990 im Kosovo geboren, zog er mit zwei Jahren mit seinen albanischen Eltern nach Finnland. Wie in den anderen beiden Werken geht es auch in "Bolla" um Fragen rund um Identität, Getriebenheit und Entwurzelung.

Arsim ist dabei ein vielschichtiger Protagonist. Für Ajshe und die später zwei Kinder ist er ein furchtbarer Ehemann und Vater. Er ist egoistisch, ignorant und gewalttätig. Im Umgang mit Miloš aber zeigt er sich herzergreifend romantisch, angesichts der Trennung verzweifelt, betrübt und von einer ganz überraschenden Sanftheit. Die meiste Zeit über kein bemitleidenswertes Opfer seiner Umstände, sondern sich seiner Handlungen bewusst.

Die Traumata bleiben auch nach dem Krieg

"Bolla" besteht aus drei Teilen für die drei wichtigen Stationen in Arsims Leben. Vor allem im zweiten Teil – nach der Flucht aus Pristina – erzählt der Roman aber zu gehetzt. Die Ereignisse überschlagen sich, man kommt fast nicht mehr mit – wobei das gut widerspiegelt, wie sich Arsim fühlen muss. Auch der dritte Teil ist von einer enormen Dichte, die bewusste Lücken lässt. Wollte man etwas kritisieren, dann, dass man hier durchaus weitere Einzelheiten vertragen hätte, statt mehrere Jahre in einem Absatz zusammengefasst zu bekommen.

Denn die bedrückende Geschichte von Arsim und Miloš ist in seiner Traurigkeit wunderbar erzählt. "Bolla" ist kein historischer Roman über den Kosovokrieg, doch die Brutalität des Krieges ist deutlich spürbar. Und sie hört nach dem Krieg nicht auf, die Traumata begleiten die Protagonisten weiter. "Der Krieg ist längst zu Ende, aber das Ende des Krieges bedeutet nichts", hält der Ich-Erzähler in einem dieser geschliffenen, sentenzartigen Sätze fest, von Stefan Moster hervorragend aus dem Finnischen ins Deutsche übersetzt.

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Bolla, der menschenverschlingende Drache

Dramaturgische Spannung erhält Pajtim Statovcis Roman, indem er noch einen zweiten Ich-Erzähler einführt. Immer wieder lesen wir Briefe oder Notizen, die ein paar Jahre nach Arsims Berichten datiert sind. Erst nach und nach wird deutlich, von wem sie stammen und was sie bedeuten.

"Bolla", das ist in der albanischen Mythologie die drachenartige Kreatur auf dem Cover. Das Wesen erwacht nur am Festtag des Heiligen Georg, um einen Menschen zu verschlingen. Ein langer Schlaf, dann ein fast ekstatischer Ausbruch bis zur bald eintretenden Ruhe. Arsim und Miloš haben einiges mit dem Drachen gemein.

Infos zum Buch

Pajtim Statovci: Bolla. Roman. Aus dem Finnischen von Stefan Moster. 288 Seiten. Luchterhand Literaturverlag. München 2025. Gebundene Ausgabe: 22 € (ISBN 978-3-630-87650-4). E-Book: 17,99 €

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