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Ausstellung
Unglaubliche Objekte aus der queeren Geschichte Österreichs
Österreich war immer schon queer. Im neuen Kulturzentrum Qwien sind in einer Ausstellung Objekte zu sehen, die für historisch gut belegte queere Lebensgeschichten aus Österreich stehen.

Gedenkmünze aus der Ausstellung: Erzherzogin Isabella von Bourbon-Parma und Marie Christine von Österreich waren ein Paar (Bild: Gregor Hofbauer)
- Von Christian Höller
8. Juni 2025, 14:36h 6 Min.
Am 11. Juni wird in Wien mit Qwien das erste große queere Kulturzentrum Österreichs eröffnet. "Jetzt steht ein Quantensprung in unserer Entwicklung an", sagt Andreas Brunner, wissenschaftlicher Leiter von Qwien. Jedes Jahr sind an dem neuen Standort zwei Wechselausstellungen geplant. Diese sollen "mit ganz unterschiedlichen Zugängen auf queere Geschichte Bezug nehmen", betont Hannes Sulzenbacher, kuratorischer Leiter von Qwien. Daneben soll in den neuen Räumlichkeiten auch "ein Space für künstlerische Experimente und kleinere Ausstellungen" geschaffen werden.
Die erste große Ausstellung heißt "Geschichte machen. Ein queeres Jahrtausend in 27 unglaublichen Objekten" . Die Schau ist bis zum 9. November 2025 zu sehen und beschäftigt sich schräg und humorvoll mit der Abwesenheit von queerer Geschichte. Auf Grundlage von 27 historisch belegten queeren Lebensgeschichten aus Österreich wurden ebenso viele Objekte entworfen und hergestellt. Bei diesen Artefakten handelt es sich um keine Originale, sondern um künstlerisch interpretierte Repräsentationen realer Erfahrungen. Das sind die sechs besonders spannenden Exponate:
Liebesbekundungen von Frauen am Wiener Hof
Unter der Kapuzinerkirche in der Wiener Innenstadt befindet sich die Kaisergruft. Dort sind Angehörige des früheren Kaiser*innen-Hauses Habsburg begraben. Auch Erzherzogin Isabella von Bourbon-Parma hat dort ihre letzte Ruhestätte. Sie wurde 1741 in Spanien geboren. 1760 kam sie nach Wien, um den damaligen Thronfolger und späteren Kaiser Joseph II. zu heiraten. Das Ganze geschah nicht aus Liebe, sondern war ein Ergebnis der Heiratspolitik der Habsburger*innen.
Tatsächlich liebte die Erzherzogin die 1742 in Wien geborene Marie Christine von Österreich, die jüngere Schwester von Joseph II. Die beiden Frauen schrieben sich Briefe mit neckischen Liebesbekundungen. In einem Schriftstück heißt es: "Ich küße dein ertzengliches arscherl". Die Briefe blieben lange geheim. "Erst in den letzten Jahren wird über die Liebesbeziehung der beiden Erzherzoginnen am Wiener Hof offen gesprochen", heißt es dazu im Ausstellungskatalog von Qwien. Dabei werde diskutiert, ob es sich hier "um eine intensive, romantische Freundschaft" oder um eine "lesbische Beziehung in unserem heutigen Sinne" handelt. In der Ausstellung ist eine Gedenkmünze mit den Porträts der Erzherzoginnen zu sehen.
Unsinnsgesellschaft mit "Nina Wutzerl"

Strohhut von Johann Carl Smirsch (Bild: Gregor Hofbauer)
In Wien gab es in der Landstraßer Hauptstraße ein Gasthaus mit dem Namen "Zum rothen Hahn". Dort trafen sich in den Jahren 1817 und 1818 immer am Donnerstag die sogenannte "Unsinnsgesellschaft". Dabei handelte sich um eine Bruderschaft von verschiedenen Künstlern. Auch der Maler Johann Carl Smirsch (1793 bis 1869) ging gerne zu dien Treffen. Er war einer von zwei Männern, die in der Unsinnsgesellschaft mit Frauennamen angesprochen wurden. Smirsch wurde "Nina Wutzerl" genannt. Es wird berichtet, dass "Nina Wutzerl" in der Unsinnsgesellschaft Männerhosen und darüber weibliche Kleidung getragen hat. Bekannt war "Nina Wutzerl" vor allem für den Damenhut aus Stroh mit Pfauenfedern. An "Nina Wutzerl" erinnert daher in der Ausstellung ein Strohhut mit Blumen- und Federnschmuck.
Ein Burgtheater-Direktor, der einen Mann besonders lieb hat
Das Burgtheater an der Wiener Ringstraße gehört zu den bedeutendsten Schauspielhäusern der Welt. Im Jahr 1881 wurde Adolf von Wilbrandt zum Direktor des Theaters ernannt. Wilbrandt wurde 1837 im deutschen Rostock geboren. Er zog 1871 nach Wien. Wilbrandt war ein bekannter Schriftsteller, der viele Bücher geschrieben hat. In seinem Roman "Fridolins heimliche Ehe" geht es um den Kunstprofessor Fridolin, der sowohl Männer als auch Frauen liebte. Im Roman schrieb der Autor, dass die "seelische Magnetnadel" von Fridolin "bald nach dem Nordpol der Männlichkeit, bald nach dem Südpol des Weiblichen" zeige. Wilbrandt widmete den Roman dem Schauspieler Hermann Schöne, der am Burgtheater spielte. In seinen Erinnerungen schrieb Wilbrandt über Schöne: "Ich hatte ihn besonders lieb."

Eine Apollo-Skuptur erinnert an Adolf von Wilbrandt (Bild: Gregor Hofbauer)
Im Ausstellungskatalog von Qwien heißt es dazu: "Auch wenn diese Hinweise nicht als Beleg für eine homosexuelle Beziehung gewertet werden können, zeugen sie doch von der Nähe der beiden Männer." In der Ausstellung ist eine Kopie des Apollo von Belvedere, einer antiken Marmorskulptur, zu sehen. Auf dem Sockel wurde folgender Satz in Anlehnung an den Roman von Wilbrandt angebracht: "Meinem Nordpol! Innige Grüße von deinem Südpol – Wien 1875".
Kissen in Erinnerung an eine lesbischen Liebe
In der Ausstellung ist auch ein Kaprizpolster zu sehen – mit dem Spruch: "Ich denke Dein zu jeder Stund' Und möchte küssen Deinen Mund." Ein Kaprizpolster ist ein umgangssprachlich veralteter österreichischer Ausdruck für kleines Kissen. Der Polster wurde im Gedenken an Karoline Wieser und Ludmilla Horvath angefertigt. Beide Frauen waren ineinander verliebt. Sie wurden im Frühjahr 1913 zu zwei Monaten schwerem Kerker wegen "Unzucht wider die Natur" verurteilt. Nach der Strafe schrieben die Frauen Postkarten mit Liebesbekundungen. Einmal schrieb "Lutschi" (Ludmilla) ihrem "lieben Lintscherl" (Karoline): "Ich bin ganz krank, das ich nicht bei dir sein kann – mit 100.000 Küssen."

Gedenkkissen für das lesbische Paar "Lutschi" und "Lintscherl" (Bild: Gregor Hofbauer)
Das Verhältnis der beiden Frauen wurde allerdings schwieriger. Schließlich zeigte Ludmilla ihre frühere Freundin wegen "unsittlicher Anträge" an. Im Ausstellungskatalog heißt es dazu, dass Ludmilla nach der Haft schwanger geworden sei, "wahrscheinlich ihre erste sexuelle Erfahrung mit einem Mann. Wollte sie sich beweisen, dass sie auch zu einer heterosexuellen Beziehung fähig war, auch wenn sie noch immer ihre Freundin begehrte?" Diesmal endete das Gerichtsverfahren mit einem Freispruch. Denn das Gericht wertete die Vorwürfe und Anzeige als Rache aufgrund verletzter Gefühle.
Wiener Damenclub Violetta

Werbeschild des lesbischen Vereinslokals "Damenclub Violetta" (Bild: Gregor Hofbauer)
Im Jahr 1926 wurde in Berlin der Damenclub Violetta gegründet. Der Club wurde so genannt, weil damals die Wörter "Dame" und "Freundin" Chiffren für Lesben waren. Die Frauengruppe des "Deutschen Freundschaftsverbands" wollte nach dem Vorbild des Berliner Klubs auch in Wien ein Vereinslokal gründen. Das erste Treffen fand am 27. Februar 1927 statt. Kommen durften nur "einwandfreie Damen".
Im Ausstellungskatalog steht dazu: Oft waren die Absichten bei solchen Gründungen nicht nur mit Gastronomie, sondern auch mit der Durchführung von Tanz- und Diskussionsveranstaltungen sowie der Gründung von Wander- und Sportgruppen verbunden." Für die Ausstellung wurde ein Werbeschild des Vereinslokals "Damenclub Violetta" angefertigt.
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Erinnerung an trans Person Lareine
Das Café Capua in der Wiener Johannesgasse 3 war in der Zwischenkriegszeit ein bekanntes Konzertcafé. Dort trat Lareine auf. In der Ausstellung ist ein Plakat zu sehen. Dort wird der Auftritt von Lareine im Café Capua angekündigt.

Plakatankündigung Konzertcafé Capua (Bild: Gregor Hofbauer)
Bei Lareine handelte es sich um einen Künstlernamen. Daten über das Leben von Lareine sind nicht bekannt. Fest steht, dass der Name Lareine in den Jahren 1921 und 1933 immer wieder in Wiener Zeitungen erwähnt wurde. In der Wiener Tageszeitung "Die Stunde" erschien ein Artikel mit dem Titel "Wer ist Lareine?". Dort stand, dass Lareine "eine elegante, junge Dame" sei, die in Wien geboren wurde und Tanz studierte. "Sie fühlt und lebt als Frau, ist aber anatomisch ein Mann", heißt es im Artikel. Den Journalist*innen zeigte Lareine ein Gutachten des deutschen Arztes und Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld. Darin wurde ihre Transidentität bestätigt. 1933 trat Lareine im österreichischen Film "Mysterium des Geschlechtes" auf. "Danach verliert sich weitgehend ihre Spur", heißt es im Ausstellungskatalog. Es aber Hinweise, "dass sich Lareine um 1940 in der Türkei einer geschlechtsanpassenden Operation unterzogen haben könnte."
Links zum Thema:
» Homepage von Qwien
Mehr queere Kultur:
» auf sissymag.de

















