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Kommentar

Rückkehr der autoritären Männlichkeit

Queere Identitäten in autoritären Systemen sind nie sicher – selbst dann nicht, wenn sie scheinbar akzeptiert werden. Anmerkungen zum Jahrestag der "Nacht der langen Messer".


Schwuler Nazi: Ernst Röhm (r.), auf dem Foto mit Kurt Daluege und Heinrich Himmler, wurde in der Nacht vom 30. Juni zum 1. Juli 1934 festgenommen und ermordet (Bild: Bundesarchiv / wikipedia)

Die autoritäre Männlichkeit kehrt zurück wie ein Schatten aus der Geschichte – lauter denn je und doch aus der Zeit gefallen. Ob Trump in den USA, Putin in Russland, Orbán in Ungarn, Erdoğan in der Türkei oder identitäre Bewegungen in Deutschland – der Kult um den "starken Mann" kehrt zurück, mit ihm die Repression alles "Abweichenden". Wie ein unerlöster Mythos tritt sie erneut auf die Bühne: laut, unbeirrbar, bedrohlicher als sie scheint. Dabei ist auffällig: Moderne Rechte instrumentalisieren auch queere Themen – teils zur Distinktion vom Islamismus, teils zur moralischen Diffamierung politischer Gegner.

Die Rückkehr autoritärer Männlichkeitsideale ist kein Randphänomen mehr. In den USA, Russland, Ungarn, Polen, Türkei und auch in Teilen Deutschlands ist die Rhetorik vom "starken Mann", der die angeblich "verweichlichte" Gesellschaft diszipliniert, wieder salonfähig geworden. In diesem Klima erleben auch queerfeindliche Narrative eine neue Konjunktur – als politisches Werkzeug, nicht selten getarnt als moralische Empörung. Totalitäre Systeme dulden Abweichung nur, solange sie nützlich ist – und vernichten sie, sobald sie gefährlich wird. In Deutschland gab es dafür einen lehrreichen Präzedenzfall.

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Das Lächeln der Uniform

Berlin, Anfang der 1930er Jahre. In den Bierhallen, auf den Straßen, im Getöse der Massen marschiert die SA. Braunhemden, Stiefel, Schwüre. Ein aufziehendes Unwetter mit Marschmusik. Sie schlagen, sie schützen, sie marschieren – für "Ordnung" und gegen alles, was nicht in ihre Ordnung passt.

Und doch liegt über diesem männerbündischen Körperpanzer eine Ahnung – von etwas Unerlaubtem, von etwas Verbotenem, das sich im Verborgenen vollzieht: Berührungen, Blicke, ein anderes Begehren. Das Unausgesprochene ist da, zwischen den Parolen, den Umarmungen, dem Alkohol. Es ist der Schatten, der unter den Uniformen liegt.

Der Mann, den Hitler schützte

Ernst Röhm – Stabschef der SA, Kriegsveteran, Nationalsozialist der ersten Stunde. Und: bekennender Homosexueller. Das wusste man. Das schrieb man. Die "Münchener Post" enthüllte 1931 Details über seine Beziehungen zu jüngeren SA-Männern. Hitler? Der hielt schützend die Hand über ihn. Noch.
Denn Röhm war nützlich. Seine SA war der Straßenschlägertrupp der NSDAP. Gewalt mit Befehl, Chaos mit Richtung. Drei Millionen Männer folgten ihm, viele davon aus einfachen Verhältnissen. Für Röhm war die SA nicht nur Machtinstrument – sie war Heimat, Körpergemeinschaft, Kameradschaftsritual. Man teilte Ideologie, Lebensform, oft auch das Bett.

Männerbund mit Sprengkraft

Die Homosexualität innerhalb der SA war kein Zufall, sondern Ergebnis einer bestimmten Männerkultur: ritualisiert, entgrenzt, hypermaskulin und doch durchlässig. Das Ideal des soldatischen Mannes traf auf eine Erotik der Uniform, auf verschlossene Räume, auf Bindung durch Schweigen.
Was später als "Sittenverfall" diffamiert wurde, war in Wirklichkeit Ausdruck eines anderen Männerbilds – roh, körperlich, autoritär, aber sexuell nicht normiert. Röhm machte daraus kein Geheimnis. Er machte es zur Praxis.

Der Dolch kommt von innen

1934 kippt das Gleichgewicht. Hitler braucht die Loyalität der Reichswehr, braucht die Zustimmung der Konservativen. Und Röhm – der ruft weiter nach einer "zweiten Revolution". Er will die Armee in die SA eingliedern, den Staat aus den Angeln heben.

Das reicht. Am 30. Juni beginnt die "Nacht der langen Messer". Röhm wird verhaftet, isoliert, erschossen. Dutzende SA-Führer folgen. Die offizielle Begründung: ein Putschversuch. Die inoffizielle: moralische Reinigung. Zeitungen berichten von "homosexuellen Ausschweifungen", von Orgien, von Entartung.

Die Sexualität wird zur Waffe – nicht um zu schützen, sondern um zu töten.

Der Schatten bleibt

Was die SA war, verschwand mit Röhm. Die Organisation blieb äußerlich bestehen, aber ihre Macht war gebrochen, ihre Rituale entkernt. Die SS übernahm, Himmlers Dogma der "Reinheit" ersetzte Röhms Körperkult. Die Homosexualität, die einst geduldet worden war, wurde nun systematisch verfolgt.

Doch der Schatten blieb – als Ambivalenz im Mythos des Dritten Reiches, als verdrängte Geschichte. Dass einer der mächtigsten Nationalsozialisten offen homosexuell war, dass seine Beziehungen Teil eines Männerbündnisses waren, das den Terror trug – das störte das einfache Freund-Feind-Schema. Und so wurde es verschwiegen.

Erinnerung ohne Mythos

Die Geschichte der Homosexualität in der SA ist keine Geschichte der Befreiung – aber sie ist eine Geschichte der Widersprüche. Sie zeigt, wie Nähe und Macht, Sexualität und Politik, Loyalität und Gewalt miteinander verwoben sein können.

Ernst Röhm war Täter und Opfer. Er stand für Gewalt gegen Demokraten – und fiel selbst der Gewalt zum Opfer, als seine Sexualität zum politischen Werkzeug wurde.

Heute, fast 90 Jahre später, erleben wir eine Wiederkehr der autoritären Männlichkeit. In Röhms Fall zeigt sich das, was totalitäre Regime immer fürchten: dass Menschen nicht eindeutig sind. Dass Macht auch Begehren ist. Dass Ordnung immer auch auf Unordnung ruht. Der Fall zeigt auch, wie dünn die Grenze zwischen Duldung und Vernichtung sein kann. Und dass queere Identitäten in autoritären Systemen nie sicher sind – selbst dann nicht, wenn sie scheinbar akzeptiert werden. Röhms Fall erinnert daran: Die wahre Gefahr ist nicht das Begehren – sondern die Macht, die es kontrollieren will.

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