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Berlin
Trans in den 1970ern: Exotik und Glamour als Alltagsbewältigung
Die neue Ausstellung "Berlin, du schriller Vogel" in der Kommunalen Galerie Berlin mit Fotografien von Anno Wilms ermöglicht eine kleine Zeitreise in die queere Stadtgeschichte West-Berlins.

Anno Wilms, Chez Romy Haag, 1977, Schwarz-Weiß-Vintage-Print
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19. Juli 2025, 10:33h 4 Min.
Wer in den 1970er Jahren eine trans Frau gefragt hätte, wo und was sie arbeitet, hätte wahrscheinlich sehr oft zur Antwort bekommen: auf der Bühne oder auf der Straße. Wir arbeiteten in Shows, strippten und animierten in Nachtklubs oder waren Sexarbeiter*innen. Wir waren zugleich der sichtbare Teil der damals insgesamt recht übersichtlichen trans Community, die klar transfeminin dominiert war.
Weil ich selbst aus dieser Zeit komme, weiß ich, wieviel anders das Damals und das Heute waren, als hätten wir es tatsächlich mit zwei grundverschiedenen Welten zu tun. Warum das Nachtleben eine so wichtige Rolle spielte, lässt sich leicht erklären: Die Nacht erlaubte, was der Tag uns durch die absolute Rechtlosigkeit verweigerte, Namens- und Personenstandsänderungen waren reine Utopie. Und trotzdem lebten viele von uns sozusagen Hedonismus pur als eine Art lustvolles, sexpositives Kompensationsgeschäft. Die Rechtlosigkeit wurde durch Glitzer, Glamour und reichlich Applaus, der von der cis Welt kam, kompensiert.
Zwischen Authentizität und Exotisierung
Die Kommunale Galerie Berlin zeigt jetzt Fotografien aus dieser Zeit unter dem Titel "Berlin, du schriller Vogel". Sie stammen von der bekannten Fotografin Anno Wilms (1935-2016), in deren Arbeit das Menschenbild im Mittelpunkt stand. Wobei Authentizität und Exotisierung und nicht zuletzt Voyeurismus mitunter schwer auseinanderzuhalten waren und sind.
Gerade auf die im queeren Berliner Nachtleben aufgenommenen Fotoserien trifft das zu. Was ihrer Faszination freilich keinen Abbruch tut, denn die Fotografierten spielten bei der Inszenierung erkennbar mit. Publiziert wurden die Fotos 1978 in einem großformatigen Schwarz-Weiß-Fotoband – sein Titel "Transvestiten". Der war damals schon falsch und ist es bis heute geblieben.

Blick in die Ausstellung (Bild: Piotre Bialoglowicz)
Intime Einblicke in eine längst vergangene Welt
Keine Frage, die Fotos sind bedeutende Zeitdokumente und gewähren intime Einblicke in eine längst vergangene glamouröse Welt, in der, wie gesagt, vor allem trans Frauen zu Hause waren. Aber sie waren eben keine Transvestiten, nur fehlte dafür der cis Welt damals wie heute der Blick für Wirklichkeiten. Jedenfalls hatte Wilms das Sein hinter dem Schein offenkundig nicht sonderlich interessiert. Deshalb fehlt bei ihr der Alltag komplett.
Die Frage wäre ja nicht unberechtigt gewesen, warum trans Menschen sich für dieses Paradiesvogel-Leben entschieden haben. Nämlich aus ganz banalen existentiellen Gründen. Exotik und Glamour waren sozusagen die Basis für die Alltagsbewältigung. Das wird immer vergessen.
Vom "Chez nous" bis zur "Lützower Lampe"
Dass es auch anders ging, zeigte der australische Fotograf Barry Kay, der bereits 1976 einen beeindruckenden Fotoband über die trans Community in Sydney herausbrachte. Ihn interessierte vor allem der Lebensalltag von trans Frauen. Schon bei der Titelwahl bekundete Kay Respekt – "Die anderen Frauen" hieß der Band. Genau das waren und sind wir – die anderen Frauen. Nicht Exotisierung, sondern Normalität sollte seine Fotoreportage vermitteln, was sie konsequent tut.

Anno Wilms, Chez Romy Haag, 1977, Schwarz-Weiß-Vintage-Print
Andererseits boomten in den 1970er Jahren die Travestieshows, die übrigens für nicht wenige schwule Männer ein mitunter recht lukratives Einkommen sicherten. Mit dabei waren eben auch trans Frauen. Da gab es in Berlin ab 1958 das "Chez nous". 1967 übernahm die ehemalige Zirkusartistin Karmeen die "Lützower Lampe", deren Geschichte bis in die Weimarer Zeit zurückging. 1974 öffnete das "Chez Romy Haag" seine Pforten, später kam noch die von Harry Toste gegründete "Dreamboys Lachbühne" hinzu. Eine herausragende Rolle spielte Zazie de Paris, die von dem Regisseur Peter Zadek schließlich für die Theaterbühne entdeckt wurde. 1981 spielte sie in der Fallada-Revue "Jeder stirbt für sich allein" im Schillertheater mit.
Als Teile des Films "Schöner Gigolo, armer Gigolo" in der "Lützower Lampe" gedreht wurden mit David Bowie in der Hauptrolle und auch sonst in Starbesetzung bis hin zur verschleierten Marlene Dietrich, wurde 1978 aus dem Geheimtipp des Berliner Nachtlebens ein Publikumsmagnet im Wohnzimmerformat in Plüsch und Goldstuck. In der Ausstellung ist eine dreiviertelstündige Filmdokumentation von Marion Alessandra Becker über die "Lützower Lampe" von 2011 zu sehen – "In der Lampe brennt noch ein Licht". Unbedingt sehenswert.
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Trotz Rechtlosigkeit ein erstaunlich selbstbestimmtes Leben
Zahlreiche Fotos entstanden im "Chez Romy Haag", meinem Arbeitsplatz von 1976 bis 1980. Was wohl aus all den Kolleg*innen geworden ist, die – wie ich – alle längst im Rentenalter sind und damals jung und attraktiv bei aller Rechtlosigkeit ein erstaunlich selbstbestimmtes Leben führten? Ja, wir hatten vom Voyeurismus des Publikums gelebt, hatten jeden Abend grandiose glitzernde und frivole Illusionen verkauft.
Zum Staunen ist das auch heute noch. Und während ich durch die Ausstellung ging, hörte ich kurz in die Unterhaltung zweier "Wilmersdorfer Witwen" hinein, die vor einem Foto der bildhübschen Brandy standen und darüber spekulierten, ob der so freigebig präsentierte Busen denn auch "echt" sei. Die Zeiten ändern sich, das Publikum offenbar nicht.
Die kleine Zeitreise in die queere Stadtgeschichte West-Berlins ist den Sommer über bis zum 14. September zu besichtigen.
Links zum Thema:
» Mehr Infos zur Ausstellung auf der Homepage der Kommunalen Galerie Berlin
Mehr queere Kultur:
» auf sissymag.de
















