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Diese Chemsex-Doku ist eine Einladung, weiterzureden – jenseits von Scham, Idealen und Schwarzweißdenken

Für die berührende Reportage "Sex auf Drogen – Warum der gefährliche Trend zunimmt" hat ORF-Redakteur Christoph Feurstein eineinhalb Jahre recherchiert, Gespräche geführt und Vertrauen aufgebaut.


Szene aus der ORF-Doku "Sex auf Drogen – Warum der gefährliche Trend zunimmt" (Bild: ORF)

Was Psychotherapeut Christof Mitter heute beobachtet, klingt gar nicht mehr nach der freigeistigen Utopie der Hippie-Bewegung. Statt freier Liebe dominiert der Druck: gut aussehen, performen, befriedigen – am besten optimal. Die Sexualität, so scheint es, wird zunehmend durch ein marktkonformes Ideal reguliert. Und um diesem Ideal zu entsprechen oder es wenigstens für ein paar Stunden auszublenden, greifen viele Menschen zu chemischen Substanzen. Der Rausch wird zur Strategie, das Korsett der Selbstoptimierung abzustreifen – zumindest temporär.

Das ORF-Reportageformat "Thema" widmet sich diesem Spannungsfeld mit einer Spezialausgabe. Redakteur Christoph Feurstein hat für "Sex auf Drogen – Warum der gefährliche Trend zunimmt" (noch bis 17. Januar 2026 in der ORF-Mediathek) eineinhalb Jahre recherchiert, Gespräche geführt, Vertrauen aufgebaut. Entstanden ist eine Dokumentation, die nicht nur nüchtern berichtet, sondern auch berührt. Viele der Interviewten bleiben anonym – aus nachvollziehbaren Gründen -, aber ihre Erzählungen sind intim, offen, schmerzhaft ehrlich. Es ist bemerkenswert, dass sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk Österreichs an ein Thema wagt, das so tief in gesellschaftliche Tabus eindringt. Und das mit einem Format, das sich eindeutig an ein breites Publikum richtet: Begriffe und Kontexte werden ruhig und sorgfältig erklärt, ohne voyeuristisch zu wirken.

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Doppelte Suchtstruktur: Rauschmittel und Sex

Feurstein selbst agiert als Moderator mit durchaus ambivalenter Haltung. In manchen Interviews drängt sich seine persönliche Beurteilung spürbar auf, was nicht immer hilfreich ist – vor allem, wenn es um die Perspektiven der Menschen geht, die selbst Konsumierende sind. Trotzdem lässt die Doku Raum: Raum dafür, dass auch die positiven Seiten von Sex unter Drogeneinfluss thematisiert werden dürfen – wie der Abbau von Scham, das Erleben intensiver Körperlichkeit, die kurzzeitige Flucht aus psychischem Druck. Diese Ambivalenz wird nicht geglättet. Dass chemisch stimulierte Sexualität auch mit Kontrollverlust, Missbrauch und Abhängigkeit einhergehen kann, wird nicht verschwiegen.


Dorian (l.) erzählt im Gespräch mit ORF-Redakteur Christoph Feuerstein, wie die Drogensucht seine Karriere zerstört hat

Ein zentrales Verdienst der Doku ist die präzise Benennung jener doppelten Suchtstruktur, die viele Konsumierende gefangen hält: die nach Rauschmitteln – und die nach Sexualität. Wer aussteigen will, muss sich also oft gleich zwei Abhängigkeiten stellen. Und beides, so zeigt die Doku deutlich, wurzelt nicht selten in Einsamkeit und Vereinzelung. Die Großstadt (hier exemplarisch Wien) wird dabei als ambivalenter Ort gezeichnet: Sie erlaubt ein Ausleben von Fantasien, das in ländlichen Gegenden oft unmöglich ist – aber sie erzeugt auch sozialen Druck. In bestimmten Räumen scheint der Konsum beinahe erwartet zu werden. Umso wichtiger, dass "Sex auf Drogen" auch alternative Ansätze zeigt: etwa Kollektive, die sich für Safer Use, Enttabuisierung und solidarische Aufklärung einsetzen.

Internalisierte Homophobie und repressive Sexualmoral

Besonders stark wird die Doku, wenn sie sich den strukturellen Ursachen des Trends widmet. Es ist eben nicht so, dass queere Menschen in der Stadt einfach frei leben können – die Zahl an queerfeindlichen Übergriffen auf offener Straße steigt. Und die internalisierte Homophobie ist längst nicht verschwunden, sondern reproduziert sich in der Weise, wie Körper bewertet, wie Intimität performt und wie Gemeinschaft erlebt wird. "Sex auf Drogen" deutet diese Dynamiken an, bleibt aber – für meinen Geschmack – zu oft an der Oberfläche. Ich hätte mir eine explizitere Auseinandersetzung mit der Rolle queerer Räume gewünscht: Welche Verantwortung tragen queere Subkulturen selbst, wenn sie Schönheitsideale zementieren und Konsum mit Zugehörigkeit verwechseln? Was passiert, wenn Sexualität als Währung für Anerkennung funktioniert, während gleichzeitig fundierte Sexualaufklärung fehlt – besonders eine, die Vielfalt ernst nimmt?

Aber auch die andere Seite, die der repressiven Sexualmoral, wird thematisiert: Menschen, die in konservativ-religiösen Haushalten aufgewachsen sind, berichten von internalisierter Scham und der tief verankerten Idee, dass Sexualität Sünde sei. Wer nie gelernt hat, den eigenen Körper zu spüren, der sucht oft erst spät – und dann manchmal über Umwege – nach Verbindung und Lust. Eine der stärksten Szenen der Doku ist das Interview mit Tanja, die beschreibt, was die Droge GHB – auch kurz "G" genannt – mit ihr macht: "Es ist so, als würde man sich selbst vergewaltigen." Ein Satz, der sich einbrennt. Ich selbst habe diese Droge in queeren Partysettings mehrfach negativ erlebt: übergriffige Situationen, verlorene Kontrolle, Konsens, der verschwimmt. Auch das müssen queere Orte besprechen – nicht nur im Hinterzimmer, sondern laut, öffentlich, solidarisch. Denn die Frage, wie Konsens unter Einfluss verhandelt wird, ist keine Nebensache. Sie ist zentral.

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"Sex auf Drogen" wirft viele solcher Fragen auf – und beantwortet sie nicht. Das ist kein Fehler, sondern ein Spiegel gesellschaftlicher Unsicherheit. Wer trägt Verantwortung? Die Konsumierenden? Die Tabuisierung von Lust und Drogen? Die Clubveranstalter*innen, die aus finanziellen Gründen auf Awareness-Konzepte verzichten? Die Szene selbst? Oder wir alle – als Gesellschaft, die über Lust und Rausch nur in Extremen sprechen kann: euphorisch oder panisch, aber selten differenziert? Diese Doku ist kein Urteil, kein Erklärstück, kein Wegweiser. Aber sie ist ein Anfang. Und eine Einladung, weiterzureden – jenseits von Scham, Idealen und Schwarzweißdenken.

Infos zum Film

Sex auf Drogen – Warum der gefährliche Trend zunimmt. Dokumentarfilm. Österreich 2025. Regie: Christoph Feurstein. Laufzeit: 48 Minuten: Sprache: deutsche Originalfassung. Noch bis 17. Januar 2026 in der ORF-Mediathek
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