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Lyrik
Eine frühe queere Stimme der bulgarischen Literatur
Sein innerer Zwiespalt, die Unmöglichkeit und das Verstecken seiner Liebe ziehen sich wie ein roter Faden durch das Werk von Aleksandăr Vutimski (1919-1943). Der Band "Gedichte vom blauen Jungen" erinnert an den schwulen Dichter.

Der Arco Verlag beschreibt Aleksandăr Vutimski als "ein leuchtender Solitär in Bulgariens Literatur vor 1944. Frühvollendeter Kopf einer jungen Sofioter Dichterboheme, trunken vor Inspiration und billigem Wein, permanent unter dem Existenzminimum, ohne festen Wohnsitz, pendelnd zwischen Kneipe und Klinik, Straße, Park und Absteigen" (Bild: Arco Verlag)
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29. August 2025, 07:36h 3 Min.
"Zeig, Mond, mir das glückliche Land, wo die stolzen Infanten und steinalten Zauberer sind" – dieser Vers aus dem titelgebenden Gedicht verspricht eine poetische Reise in fremde, funkelnde Welten. Leider kann der Band "Gedichte vom blauen Jungen" (Amazon-Affiliate-Link ), erschienen im Arco Verlag, dieses Versprechen nicht einlösen. Was in der Ankündigung nach einer Entdeckung klingt, entpuppt sich in der Lektüre oft als mühsam, unzugänglich und unnötig sperrig.
Dabei ist Aleksandăr Vutimsk) alles andere als ein unbedeutender Autor: Geboren als Aleksándar Kotsev Vútov in Svoge, studierte er Klassische Philologie in Sofia, schrieb in den politisch wie kulturell aufgeladenen Jahren zwischen den Weltkriegen eine Lyrik voller Melancholie, Symbolkraft und subtiler homoerotischer Anklänge – ein mutiger Unterton in einer zutiefst homophoben Gesellschaft. Seine Texte kreisen um Sehnsucht und Verlust, um das Trügerische, Unmögliche, Flüchtige. Er adressiert konkrete Geliebte und beschreibt Liebe als bittersüßen Verlust, einen "Hirngespinst, Vortäuschung, Trick, hohler Schall?".
Das Verborgene, Zurückweisung und Selbstzweifel

"Gedichte vom blauen Jungen" ist im Mai 2025 im Arco Verlag erschienen
Vutimskis innerer Zwiespalt, die Unmöglichkeit und das Verstecken seiner Liebe, ziehen sich wie ein roter Faden durch sein Werk. So fleht er: "Nur beieinander können wir nicht sein – darum verfolg mich nicht mit deinem langen, stummen Blick – verbirg dich! … Geh weg!" oder sehnt sich nach heimlichen Begegnungen: "Jetzt, wo kein Mensch mehr in der Nähe ist, will ich mit ihm treffen in der Dunkelheit." Das Verborgene, die Zurückweisung und Selbstzweifel prägen diese frühe queere Stimme der bulgarischen Literatur.
Doch so kraftvoll manche Verse sind – der Band selbst macht es schwer, in Vutimskis Welt einzutauchen. Die Übersetzungen von Andreas Tretner wirken oft stockend und holprig; die schiere Dichte und Monotonie, mit der die Texte präsentiert werden, bremst den Lesefluss aus. Viele Gedichte sind in Tonfall und Bildwelt so ähnlich, dass sie beim Lesen ineinanderfließen, statt sich gegenseitig zu verstärken.
Diese Anstrengung nimmt den Gedichten leider jene Unmittelbarkeit, die in den Originalen vermutlich vorhanden war. Der am Ende platzierte biografische Essay des Übersetzers liest sich wie eine überlange, akademische Fingerübung, voller selbstverliebter Abschweifungen und Name-Dropping. Für eingefleischte Vutimski-Fans mag das noch reizvoll sein, alle anderen werden eher ausgebremst. Dass rassistische Begriffe ohne Kontextualisierung unkommentiert stehenbleiben, verstärkt den schalen Beigeschmack.
"So gräm dich nicht: Du bist verschieden"
Und dennoch blitzen immer wieder Momente auf, in denen Vutimski seine Zeit weit hinter sich lässt. Wenn er Männlichkeitsrituale verachtet – "Ihr meine Freunde, besoffenen Schweine" – oder das Lustprinzip feiert: "Wollen wir endlich verstehen, dass der natürliche Mensch, der seine Lust ohne Angst und schlechtes Gewissen zu genießen weiß, sich genauso freudig ihrer enthalten kann?". Wenn er im Pessimismus badet – "Krank ist die Sonne, die Luft ist krank, krank sind die Vögel" – und doch zu einer queeren Selbstermächtigung findet: "So gräm dich nicht: Du bist verschieden. Bis eines Tages, im reifen Alter, du zu den Menschen steigst hinab und kündest dort mit schlichten Worten von der Heiterkeit des Himmels."
"Gedichte vom blauen Jungen" hätte eine leichtere, sensiblere Übersetzung, eine straffere Gestaltung und mehr editorisches Feingefühl gebraucht, um sein poetisches Versprechen einzulösen. So bleibt ein Band, der mehr durch einzelne, funkelnde Fragmente besticht als durch das große Ganze.
Aleksandăr Vutimski: Gedichte vom blauen Jungen. Lyrik und Prosa. Bulgarisch / deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Andreas Tretner. Zahlreiche Abbildungen, Fotos und Dokumente. 436 Seiten. Arco Verlag. Wuppertal 2025. Taschenbuch: 28 € (ISBN 978-3-96587-059-8)
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