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Teil 4 von 5

Un-Sichtbarkeit von LSBTI* in der Kunst: Nach Stonewall 1969-1995

Wir begleiten die Ausstellung "Wish you were queer. Un-Sichtbarkeit von LSBTI* in Kunst und Geschichte" im Museum im Prediger in Schwäbisch Gmünd mit einer Artikelserie und stellen Kunstwerke verschiedener Epochen exemplarisch vor.

  • Von Martin Weinzettl-Pozsgai
    6. September 2025, 10:47h 9 Min.

In der Kunst wurden Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche sowie ihre Lebenswelten durch die Jahrhunderte nur mit einem außerordentlich stark schwankenden Grad an bildlicher Präsenz und Sichtbarkeit dargestellt. Abhängig von Moralvorstellungen, abhängig von strafrechtlicher Verfolgung und Zensur, abhängig aber auch vom Zielpublikum der Kunst, also für wen sie geschaffen wurde, schwankte das Eindeutige des Dargestellten ganz wesentlich. Das Jahr 1969 markierte einen Wendepunkt für diese Un-Sichtbarkeit – im internationalen Kontext als das Jahr der Stonewall-Aufstände in der New Yorker Christopher Street, die eine weltweite Emanzipationsbewegung auslösten, und in der Bundesrepublik als das Jahr der Liberalisierung des § 175 StGB, die es schwulen Männern erstmals möglich machte, sich offen zu zeigen, ohne Gefängnis befürchten zu müssen. Das war ein Befreiungsschlag, der es erleichterte, Isolation zu durchbrechen und Zugehörigkeit zu finden – und es war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer weitgehenden rechtlichen Gleichstellung.

Noch bis zum 26. Oktober 2025 nimmt die Ausstellung "Wish you were queer. Un-Sichtbarkeit von LSBTI* in Kunst und Geschichte" im Museum im Prediger, Schwäbisch Gmünd, das Selbstbild, die Wahrnehmung und die Lebenswelten von LSBTI* in den Blick. Dies ist der Anlass, die Entwicklung der Un-Sichtbarkeit von LSBTI* in der Kunst unter Einbezug von Hauptwerken der Schau in einer Artikelserie zu schildern. Anhand einer exemplarischen Besprechung von vier bis sechs Kunstwerken entlang der historischen Epochen ergibt sich ein Überblick über den chronologischen Ablauf durch die Jahrhunderte.

Tee Corinne, Lovers


Tee Corinne, Lovers (Liebende), um 1975 (Abb. aus: Flora Dunster und Theo Gordon: Photography. A Queer History, London 2024)

Ihre ersten Aufnahmen veröffentlichte Tee Corinne 1974 in San Francisco. Corinne verwendete damals die fotografische Solarisation, eine kalkulierte Belichtung des Negativs während des Entwicklungsvorgangs, die zu einer Umkehrung des Farbtons auf dem endgültigen Foto führt und Licht in Schatten und umgekehrt verwandelt.

Die Technik verdeckte die Gesichtszüge von Corinnes Porträtierten, wodurch ihre Anonymität gewahrt blieb, und ihre Figuren im Bild sowohl anwesend als auch abwesend erschienen, während die sinnliche und taktile Oberfläche ihrer Körper betont wurde. Corinne gelang es durch diesen Prozess, eine Analogie zum öffentlichen Status lesbischer Subjektivität herzustellen, die präsent und doch unsichtbar, offen und doch versteckt, provokativ und doch schutzbedürftig ist.

Corinnes Engagement für sex-positive Bilder, die lesbische Vielfalt feiern, ging einher mit ihrem Einsatz für die lesbische Geschichte und Kunstgeschichte. So veröffentlichte Corinne "Women Who Loved Women", ein Buch mit gezeichneten Postern historischer Lesben, die auf Fotografien als Quellenmaterial basierten.

Sie reiste mit Diashows dieser Bilder durch Amerika, um Lesben zu zeigen, dass sie nicht ohne historische Vorbilder waren. Sie sagte dazu: "Die Bilder, die wir sehen, helfen uns, unsere Träume zu definieren und unsere Vorstellungen von dem, was möglich ist, zu erweitern. Bilder, die uns zeigen, wer wir sind, helfen uns, uns vorzustellen, wer wir sein können."

Hal Fischer, "Signifiers" aus der Serie "Gay Semiotics"


Hal Fischer, "Signifiers" aus der Serie "Gay Semiotics", 1977 (Abb. aus Hal Fischer: The Gay Seventies, San Francisco 2019)

Der Fotograf Hal Fischer stellte 1977 sein bahnbrechendes Bild-Text-Projekt "Gay Semiotics. A Photographic Study of Visual Coding among Homosexual Men" in San Francisco vor. Es untersuchte die wachsende Sichtbarkeit der Schwulen in der Stadt, insbesondere ihre Ausgehmode und getragenen Accessoires wie Tücher in den Hosentaschen in verschiedenen Farben – die sogenannten "Hanky Codes" – oder Schlüssel an den Gürtelschlaufen, jeweils als Zeichen für sexuelle Vorlieben und Positionen.

Eine weitere Serie großer, gleichmäßig getönter Silbergelatineabzüge, die mit schriftlichen Kommentaren versehen sind, katalogisiert die Kleidungsstile, wie sie sich in der Stadt entwickelt hatten. Die Fotografien zeigen Darstellungen schwuler Mode-"Typen" mit der jeweils charakteristischen Bekleidung – von "Basic Gay" über "Jock" und "Uniform" bis "Leather". Fischers präziser Kommentar erklärt die Bedeutung dieser Zeichen: "Ein rotes Taschentuch in der linken Gesäßtasche deutet darauf hin, dass der Träger die aktive Rolle beim Analverkehr spielt."

Fischers Serie ist einer der frühesten Versuche, queere Symbole und Codes zu erforschen und bot eine spielerische Auseinandersetzung mit männlicher Selbstdarstellung und schwulen Archetypen. "Gay Semiotics" ist sowohl ein Zeugnis des Selbstbewusstseins als auch der Kreativität der schwulen Gemeinschaft vor dem Auftreten von HIV/Aids. Das Werk ist ohne Zweifel eine wertvolle und zugleich zeitlose Dokumentation, denn die Zeichensysteme werden auch heute noch oft angewandt.

Helmut Röttgen, Frank Ripploh und Peter Farni


Helmut Röttgen, Frank Ripploh und Peter Farni, 1980 (Helmut Röttgen, Berlin)

Zusammen mit den Besitzern der renommierten Fotogalerie Nagel, einem Heteropärchen, hatte der Fotograf Helmut Röttgen 1980 die Idee, mittels einer Ausstellung über Schwulsein aufzuklären, Männer zu zeigen, die sich nackt und unmissverständlich als Paar lieben. Die Serie war von Anfang an vor allem und insbesondere für ein Heteropublikum gedacht. Dieses sollte in die Lage versetzt werden, alte Vorurteile und anerzogene Meinungen zu revidieren.

Ein ganzes Jahr lang nahm Röttgen an fast jedem Wochenende über 30 Männerpaare auf. Die Partner sollten genügend Selbstbewusstsein besitzen, sich als erkennbar schwule Paare fotografieren zu lassen mit der Bereitschaft, das Ergebnis einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es wurden Freunde aus dem unmittelbaren Bekanntenkreis gefragt, aber auch Paare in Bars, Cafés oder Clubs angesprochen.

Die Posen und Gesten bei den Fotosessions waren teilweise initial von Röttgen gesteuert, er hat die Männer aber aufgefordert, sich so vor der Kamera zu positionieren, wie sie sich als Paar am besten miteinander fühlen. Im Frühjahr 1981 war die Ausstellung dann für knapp zwei Monate in der Galerie Nagel in der Berliner Fasanenstraße zu sehen.

Die erstmalige öffentliche Zurschaustellung von schwulen Paaren, die damals eine Sensation war, zog ein großes Medienecho nach sich. So notierte das "Welt-Magazin": "Privatleben geht die Unbeteiligten nichts an. Diese Selbstverständlichkeit gilt für Homosexuelle selten, weil viele Menschen anderes Verhalten als 'das Übliche' nicht tolerieren. Solche Diskriminierung wiederum hat dazu geführt, dass selbstbewusste Homosexuelle als Besonderheit herausstellen, was eigentlich natürlich ist: Partnerbeziehungen zum Beispiel."

Hans Bucher, Jüngling beim Ausziehen


Hans Bucher, Junger Mann, sich ausziehend, um 1980 (Hans-Bucher-Stiftung Fridingen)

Im Vergleich zu Röttgens selbstbewusstem Engagement für eine Fotoserie, die als Motivation öffentliche Aufklärung zum Ziel hatte, war Hans Bucher im ländlich geprägten Fridingen an der Donau ein scheuer Mann. Im Nachlass des 2002 verstorbenen Malers sind neben Landschaftsbildern und Großstadtansichten mehrere Hundert gezeichnete und gemalte Männerakte entdeckt worden. Sie entstanden seit den 1970er Jahren, als sich die sexuelle Liberalisierung auch auf dem Land langsam durchsetzte.

Bei näherer Betrachtung wirken die Akte überaus homoerotisch; die Posen und Gesten der Modelle sind höchst sinnlich. So zeichnete Bucher um 1980 auch einige Studienblätter, die zeigen, wie ein junger Mann erst das Oberteil und dann die Hose auszieht. Es handelt sich kunstgeschichtlich um ein sehr ungewöhnliches Sujet, das nur mit einem auffallend hohen Interesse des Malers am männlichen Körper erklärt werden kann.

Hans Bucher selbst war fest im Oberen Donautal verwurzelt, arbeitete in und um Fridingen und engagierte sich maßgeblich für die Kultur. Aufgrund seiner Aktivitäten erhielt er die Ehrenbürgerwürde, er war geachtet und respektiert. Soweit jedoch bekannt, trat der unverheiratete und kinderlose Maler in der katholischen Region niemals als Homosexueller auf. Frühere Bekannte des Künstlers erinnern sich, dass er im Sommer regelmäßig mehrere Wochen aus Fridingen verschwunden war, um sich in Großstädten wie München und Stuttgart aufzuhalten.

"Malen ist für mich wie Tagebuchschreiben", sagte Hans Bucher einmal. Insofern zeigt sich in diesen Stripper-Studien der Gegensatz von Unsichtbar und Sichtbar auf zwei Bedeutungsebenen: die erste ist die, dass mit dem Entkleiden ein Akt des Sichtbarmachens des verborgenen, jedoch begehrten nackten Männerkörpers verbunden ist und die zweite – auf einer Metaebene – diejenige bezüglich seiner unsichtbaren sexuellen Identität, die hier sichtbar zu werden scheint.

Patrick Angus, My Heart Goes Bang Bang Bang Bang


Patrick Angus, My Heart Goes Bang Bang Bang Bang, 1986 (Schwules Museum Berlin)

Eine andere Art des Strippens, nämlich die öffentliche, für die Geld bezahlt wird, visualisiert sich in den Szenen von Patrick Angus, die er von den Lokalitäten der schwulen Subkultur Amerikas auf die Leinwand brachte. So liefert das 1986 entstandene Bild mit dem poetischen Titel "My Heart Goes Bang Bang Bang Bang" den unvoreingenommenen Blick auf das Geschehen in einem der Rotlichtetablissements der modernen amerikanischen Großstadt.

Die zahlreichen großformatigen Acryl-Gemälde der Strip-Lokale, Saunen, Pornokinos und Bars in New York sind eine Sensation, denn derartige künstlerische Einblicke in das homosexuelle (Nacht-)Leben hat es zuvor so nicht gegeben. Die Hauptwerke entstanden überwiegend in den Jahren 1984 bis 1987, während Angus an der Ostküste lebte. Geboren 1953 in North Hollywood und aufgewachsen in Santa Barbara an der kalifornischen Küste, gehörte er zu einer Generation schwuler Künstler, deren Coming out bereits von der neuen Situation nach 1969, nach den befreienden Ereignissen von Stonewall, geprägt wurde.

Das vorrangige Anliegen des Künstlers war es, die Welt der Schwulen in eigenständigen Werken festzuhalten. 1992 sollte er über diese Bilder sagen: "Twenty three years after Stonewall, gay people still have few honest images of themselves, and most of those occur in our literature. Gay men long to see themselves – in films, plays, television, paintings. They seldom do. Obviously, we must picture ourselves. These are my pictures."

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Aron Neubert, Jürgen Baldiga im Juni 1992 bei der ACT UP Demonstration in Berlin


Aron Neubert, Jürgen Baldiga im Juni 1992 bei der ACT-UP-Demonstration am Christopher Street Day in Berlin (Schwules Museum Berlin)

Der an den Komplikationen von Aids leidende Fotograf Jürgen Baldiga entschied bei der Regelung der Angelegenheiten für seinen absehbaren Tod, dass er eingeäschert werden wolle. Er bat Aron Neubert, die Verbrennung fotografisch festzuhalten: Das letztgültige Bild der sichtbaren Auflösung jenes Körpers, der das Objekt unzähliger Selbstporträts war, die Jürgen Baldiga schon von sich aufgenommen hatte. Neubert gab das Versprechen, diese Aufnahme zu machen, verlangte jedoch im Gegenzug, für jeden Monat, den Jürgen noch lebte, einen Termin zu vereinbaren, an dem er Jürgen fotografieren würde.

Daraus sollte am Ende eine Serie "Siebenundzwanzig Bilder" werden, die letztlich die Inszenierung eines Lebens wiedergeben, als dessen integrale Bestandteile neben dem Protestkampf gegen die Ausgrenzung etwa bei einer ACT-UP-Demo insbesondere die Folgen von Aids dargestellt sind: Krankheit, medizinische Behandlungen, Klinikaufenthalte. Das letzte Foto ist ein Bild des Toten in seinem Bett.

Aron Neubert schrieb rückblickend im Mai 1995: "Unser Begleiter war die Kamera, aber auch das Virus. Mit Jürgens Erkrankung intensivierte sich die Erfahrung, dass die Zeit begrenzt ist. Ich begann, von ihm Fotos zu machen: Eine immer wieder neue Auseinandersetzung mit Jürgen, mit konkreten, durch die Krankheit geschaffenen Situationen, aber auch mit der Fotografie. Jedes Mal waren wir gespannt, wie das Foto des Monats wohl aussehen würde."

Termin-Hinweis

Am 12. September 2025 gibt es im Museum im Prediger Schwäbisch um 19:00 Uhr eine Talkrunde zur "Sichtbarkeit von LSBTI* in der zeitgenössischen Kunst" mit dem Berliner Maler Norbert Bisky, mit Hannah Römer, Künstlerin und Studentin der Akademie der bildenden Künste Stuttgart, sowie mit Andreas Pucher von der Stuttgarter Galerie Thomas Fuchs. Eintritt frei.
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