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Arte-Reportage

Wiederkehr des Verdrängten: Warum schwule Männer Priester werden

Vielen Priestern wird erst Jahre nach ihrer Priesterweihe bewusst, dass sie sich zu Männern hingezogen fühlen. Eine neue TV-Dokumentation richtet den Blick auf katholische Würdenträger in Frankreich auf ihrem Weg zum Coming-out.


"Homosensibel" oder homosexuell? Sylvain war 28 Jahre lang Priester und Mitglied der Piusbruderschaft, bevor er sein Coming-out hatte

"Schwule Priester brechen ihr Schweigen" – der zugespitzte Titel der Arte-Reportage von Adrian Giraud, Nathan Lautier und Anee-Charlott Gouraud klingt kämpferisch. In gewisser Weise wird dieses Versprechen im Laufe der TV-Dokumentation auch eingelöst: Wir erleben, wie Männer von der Entdeckung ihres gleichgeschlechtlichen Begehrens berichten – Männer, die sich in Frankreich über viele Jahre mit ihrem Amt als geistliche Würdenträger identifizieren. Sie erzählen von ihren persönlichen Konflikten, von den Rissen, die sich durch ihre Seelen ziehen, von Zweifeln, Ängsten, Hoffnungen und Erfahrungen in der katholischen Kirche.

Doch auch wenn ihre Aussagen durchaus aufschlussreich sind – auffällig ist zunächst weniger, was die Männer zu sagen haben, als wie sie es tun. Die Selbstbezeichnung "schwul" vermeiden sie fast durchgängig. Man muss das wohl als sprachliche Chiffre verstehen – für eine Scham, die sie offenbar schon lange vor ihrer Priesterweihe verinnerlicht haben.

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Pierre bezeichnet sich als "homosensibel"


Pierre lebt nach eigenen Angaben als katholischer Priester in einer keuschen Beziehung mit einem Mann (Bild: A. Giraud / Arte)

Gleich in der ersten Szene ist ein Priester mit grauem Bart, verpixeltem Gesicht und weißer Robe zu sehen – wir erfahren nur seinen Vornamen: Pierre. Ansonsten bleibt er anonym. Für ihn, sagt Pierre, sei es eher schwierig, sich als homo­sexuell, schwul, queer oder – wie heute üblich – als LGBT zu bezeichnen. "Ich bin Priester der katholischen Kirche – und ich bin homosensibel." Homosensibel? Diese Wortschöpfung verwendet er in der Eingangspassage gleich zweimal, man wird sie in der Sendung kurz darauf auch von einem anderen Priester zu hören bekommen.

Pierre lebt nach eigenen Angaben in einer keuschen Beziehung mit einem Mann. Vor mehr als vierzig Jahren gründete er eine vertrauliche Gruppe für Priester, die sich zu anderen Männern hingezogen fühlen und zwischen ihrem Amt und der Entdeckung ihres Begehrens hin- und hergerissen sind. Sie nennen sich 'Menschenfischer', zählen dreißig aktive Mitglieder und treffen sich regelmäßig, um über ihre aktuellen Probleme zu sprechen. Bei einer Videokonferenz begrüßen sie einen Neuzugang, der bei seinem Erstkontakt die Kamerafunktion an seinem Computer ausgeschaltet hat. Der Mann berichtet, dass er vor zwanzig Jahren zum Priester geweiht wurde. "Vor etwa zehn Jahren habe ich damit angefangen, mich mit Homosexualität zu beschäftigen", formuliert er sein Anliegen – als ginge es um etwas, das ihn nur indirekt betrifft. Er ist stolz darauf, dass er den Schritt geschafft hat, sich bei der Gruppe zu melden. Bislang, sagt er, habe er es noch nicht gewagt, das Thema gegenüber auch nur einer Menschenseele anzusprechen, sei es im beruflichen oder privaten Umfeld.

Sylvain zeigt sein Gesicht

Kein Wunder, denn die Atmosphäre im Zusammenhang mit Homosexualität scheint innerhalb der katholischen Kirche nachhaltig vergiftet zu sein. "Ich glaube, ein Teil der Menschen in der Institution ist in seinen Worten und in seiner Haltung von Grund auf homophob", sagt Pierre. Und daran scheint sich auf absehbare Zeit auch nichts zu ändern. Dabei zeigte sich Papst Franziskus etwa zu Beginn seines Pontifikats 2013 noch offen gegenüber schwulen Priestern: "Wer bin ich, darüber zu urteilen" – so lautet eines seiner berühmten Zitate, von dem er elf Jahre später nichts mehr wissen wollte. So forderte er 2024 die Bischöfe dazu auf, keine offen homo­sexuellen Priester in die Seminare aufzunehmen, beklagt sich über eine "Schwulenlobby" im Vatikan und schreckte auch vor Beleidigungen gegenüber homo­sexuellen Männern nicht zurück.

Umso mutiger erscheint der Schritt des aus Lille stammenden Priesters Sylvain, der als einziger noch im Amt befindlicher Priester dazu bereit ist, sein Gesicht in der TV-Dokumentation zu zeigen. Allerdings hat er sich zu diesem Zeitpunkt bereits zum Rücktritt entschieden. Im letzten Gottesdienst seiner 28-jährigen Dienstzeit spricht der 55-Jährige von der "Wüste unserer Verletzlichkeit und unserer Selbstzweifel", von der "Wüste, in der Gott abwesend scheint" – Worte, die im Zusammenhang mit seiner eigenen Geschichte sehr persönlich wirken. Innerhalb seiner Gemeinde hat er nur wenig Unterstützung erfahren. Zudem war Sylvain Mitglied der erzkonservativen Piusbruderschaft, die für ihre besonders radikalen Aussagen im Zusammenhang mit Homosexualität bekannt ist. Kein Wunder also, dass ihm lange Zeit seine "sinnliche Orientierung" wie ein Widerspruch zu seiner Berufung als Priester vorkam. "Ich habe sie nicht gelebt, sondern bekämpft."


Ein Akt der Selbstbefreiung: Sylvain auf einer Pride-Demonstration in diesem Jahr (Bild: A.-C. Gourraud / Hikari)

In seiner Wohnung sagt er am Küchentisch, er sei "ein homosensibler …" – und während er blinzelnd den Kopf schüttelt, korrigiert er sich: "ein homo­sexueller Mensch". Sylvain bekräftigt, dass er sowohl Priester sein als auch mit seinem Partner leben möchte – ohne sich verstecken zu müssen. Doch dafür sieht er keine Möglichkeit. Der Film zeigt ihn mit all seinen Zweifeln und begleitet ihn beim Übergang in ein neues Leben: auf dem Weg zum Bischof, wo er seinen Rücktritt einreicht, und auch bei seiner letzten Messe ist die Kamera mit dabei. Wir erleben Sylvain drei Monate später in gelöstem Zustand im Kreis seiner Eltern und anderen Familienangehörigen, die ihn alle ausdrücklich unterstützen – und schließlich beim Arbeitsamt, das ihm einen Neubeginn ermöglicht: eine Ausbildung zum Bestatter.

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Ex-Priester Gérard lebt heute mit seinem Partner zusammen

All das hat wiederum Gérard längst hinter sich – er ist bereits 1997 aus dem Amt ausgeschieden und lebt heute als schwuler Mann mit seinem Partner in den Vogesen. Das Paar ist im Dorf glücklich integriert, doch sein altes Leben will den ehemaligen Priester einfach nicht loslassen. Gérard ist immer noch aktives Mitglied bei den Menschenfischern. Besonders beschäftigt ihn dabei die Frage, wie es dazu kommt, dass schwule Männer ihr Heil in der katholischen Kirche suchen. Er ist davon überzeugt, dass zwischen siebzig und achtzig Prozent aller Priester homosexuell sind: "Die genaue Zahl ist nicht bekannt, aber es sind auf jeden Fall viele. Und warum? Weil diese Männer genauso wie ich damals denken, die Kirche und das Priesteramt würden sie vor sexuellen Versuchungen schützen. Sie denken, die Kirche sei ein Zufluchtsort. Aber das ist sie definitiv nicht."


Der ehemalige Priester Gérard ist davon überzeugt, dass zwischen siebzig und achtzig Prozent aller Priester Männer begehren (Bild: A. Giraud / Arte)

Die psychosoziale Dynamik, die hier beschrieben wird, endet zwangsläufig in einer Sackgasse. Da der Katechismus homosexuelle Handlungen als Sünde bezeichnet, wird der innere Konflikt nur weiter befeuert – ein Teufelskreis aus Schuldgefühl und Begehren, der den jeweils individuellen Druck und die Abspaltung der Sexualität verstärkt. Allerdings ist es längst kein Geheimnis mehr, dass viele Priester der römisch-katholischen Kirche schwul sind. Richard Sipe wies in seinem 1990 in den USA veröffentlichten Standardwerk "A Secret World" erstmals auf dieses Phänomen hin. Als Pastoralpsychologe suchte er nach Wegen für Priester, ihr Begehren im Rahmen des Zölibats unter Kontrolle zu behalten, ohne an den institutionellen Bedingungen etwas zu ändern: ein Hamsterrad, dessen Dynamik Freud als ewige "Wiederkehr des Verdrängten" bezeichnete.

Um die schwulen Persönlichkeitsanteile der Priester kümmerte sich hingegen niemand. Lange dauerte es, bis sie eine eigene Stimme fanden und sich nun allmählich zu Wort melden. Diese TV-Doku ist ein weiterer Schritt – auf einem Weg voller Hürden.

Die Dokumentation "Re: Schwule Priester brechen ihr Schweigen" wird am Mittwoch, den 1. Oktober 2025 um 19.40 Uhr auf Arte ausgestrahlt und kann bereits ab 30. September in der Arte-Mediathek gestreamt werden.

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