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Befragung
Bi+-Personen aus Berlin beklagen Unsichtbarkeit, Stereotype und Ausgrenzung
In der Hauptstadt bräuchte es mehr spezifische Angebote für Bi+-Personen, fordert die Fachstelle Bi+.

Vor Berliner Rathäusern wurden für den Bi+-Visibility-Day Flaggen gehisst, wie Bilder der Grünen Fraktion Lichtenberg und LSU Berlin (Schöneberg) zeigen
- 23. September 2025, 15:57h 4 Min.
Zum Bi+ Visibility Month 2025, mit dem entsprechenden internationalen Tag für bisexuelle Sichtbarkeit am heutigen 23. September, hat der Verein BiBerlin die Ergebnisse einer qualitativen Befragung veröffentlicht (PDF), die im Rahmen des Projekts Fachstelle Bi+ bei der unabhängigen Forschungs- und Beratungsorganisation EAF Berlin in Auftrag gegeben wurde. Laut einer Pressemitteilung des Vereins zeigten die Ergebnisse deutlich: "Bi+ Menschen erleben spezifische Ausschlüsse und Diskriminierungen und haben vielseitige Bedarfe, die von Politik, Verwaltung und Fachpraxis noch immer vernachlässigt werden."
Insgesamt wurden 21 Einzelinterviews und vier moderierte Fokusgruppen-Diskussionen mit Bi+-Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen geführt – Personen, "die mehr als ein Geschlecht begehren und sich beispielsweise als bisexuell, fluid oder panromantisch identifizieren". Sie bildeten die größte Gruppe innerhalb der queeren Community und seien zugleich eine der unsichtbarsten. Die Umfrage ergab die unterschiedlichsten Selbstbeschreibungen, von "queer" über "bi" und "pan" hin zu "bi+" oder der Vermeidung einer Beschreibung.
Laut der Befragung sei das Coming-out für viele ein langer Prozess, bei dem Belastungen im familiären Umfeld, in Beziehungen ("auch in Verbindung mit der Infragestellung normativer Beziehungsformen") sowie im Beruf Belastungen auftreten können. Hinzu kämen weit "verbreitete Erfahrungen von Diskriminierung, Bi-Erasure und Bi+ Feindlichkeit, selbst innerhalb der queeren Community". Viele Bi+-Personen kämpften zudem mit Unsichtbarkeit und verinnerlichter bi+-feindlicher Stereotype, die sich negativ auf ihre mentale Gesundheit auswirkten. Spezifische Ausgrenzungserfahrungen beträfen darüber hinaus insbesondere Bi+-Personen of Color, trans*, inter* und nicht-binäre (TIN*) Personen sowie neurodivergente Menschen oder Bi+-Personen mit chronischen Erkrankungen.
Rückhalt gefunden und gesucht
Viele Befragte erlebten ihr sexuelle Orientierung als befreiend und empowernd, so die Befragungszusammenfassung. Die Zugehörigkeit zur Bi+- bzw. queeren Community werde dabei als stärkend empfunden und gehe oft mit mehr Pride, Authentizität und Selbstbestätigung einher. Die Bi+-Identität bedeute oft Aufbrechen von Normen und Rollenbildern: So lebten manche "alternative Beziehungsmodelle, die über heteronormative Vorstellungen hinausgehen".
Eine wichtige Ressource für viele Bi+ sei der informelle Austausch mit Partner*innen, Freund*innen und Peer-Gruppen, auch Bücher, Podcasts und Social Media stärkten das Gefühl von Zugehörigkeit. Bestehende Community-Treffen würden gerne genutzt, seien jedoch oft nicht ausreichend bekannt. Auch Therapie- und Beratungsangebote spielten eine zentrale Rolle bei der Bewältigung von Diskriminierungserfahrungen und Unsicherheit. Diese könnten jedoch gleichzeitig Diskriminierung und Stereotype reproduzieren – deshalb seien mehr bi+-sensibel und intersektional ausgerichtete Therapie- und Beratungsangebote nötig. Besonders deutlich geworden sei ein Bedarf an weiteren sicheren Räumen für Austausch und Begegnung – "auch für spezifische Zielgruppen wie Jüngere, Ältere, männlich gelesene Personen oder Angehörige von Bi+ Menschen".
Ausbau der Angebote gefordert
Die Befragung zeige eindrücklich die verschiedenen Lebensrealitäten und Probleme von Bi+-Menschen, so Dana Wetzel von der Fachstelle Bi+. "Gleichzeitig erleben viele Befragte ihr Bi+-sein als empowernd und bereichernd. Damit diese Potenziale für die Bewältigung von Ausgrenzungserfahrungen gestärkt werden können, braucht es aber gefestigte Strukturen, geschützte Räume und eine klare politische Entscheidung für eine gesicherte Förderung der Fachstelle Bi+, die die steigenden Bedarfe unserer Community wirklich berücksichtigt."
Der Verein BiBerlin ist "die zentrale Anlaufstelle für bi+, bisexuelle, pansexuelle und nicht-monosexuelle und -romantische Menschen" sowie für ihre Angehörigen und Fachkräfte. Er organisiert kostenfreie Meet-ups, Community-Events und Begegnungsformate und schafft Räume für Austausch und Vernetzung. Seit 2024 ist er Träger der Fachstelle Bi+, der ersten spezialisierten Einrichtung für Beratungsangebote an diese Zielgruppe sowie Schulungen für Verwaltung, Politik und Institutionen.
Aktuell könnten der Verein und die Fachstelle nur einen Teil des Bedarfs decken. "In unserer täglichen Arbeit spüren wir, wie groß der Bedarf an sicheren, fachlich qualifizierten Beratungsangeboten mit Peer-Perspektive ist. Unsere Erfahrungen zeigen klar, dass vorhandene Strukturen längst nicht ausreichen, um das Ausmaß an Unsichtbarkeit, Ängsten und Ausschlüssen aufzufangen", so Carolin Reiß von der Fachstelle Bi+. (cw/pm)














