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Kommentar

Humor ist ein Seismograf der Freiheit

Dass linke wie rechte Stimmen in den USA gemeinsam gegen Trumps Eingriff in die Meinungsfreiheit protestierten, ist fast ein Wunder. Doch dieser Schulterschluss zeigt, dass es eine gemeinsame Sprache jenseits der Spaltung gibt: die Sprache der Freiheit.


Solidaritäts-Kundgebung für Jimmy Kimmel am 19. September 2025 in Hollywood (Bild: IMAGO / NurPhoto)

Ein Komiker kehrt zurück – und plötzlich geht es um das Fundament der Demokratie. Jimmy Kimmels Rede nach der erzwungenen Pause war keine Late-Night-Routine, sondern ein Fieberthermometer: Wie sehr hält ein Land noch aus, wenn es über sich selbst lacht?

Kimmel, der sonst mit Alltagswitz und ironischer Selbstverhöhnung die Nacht füllt, stand diesmal als jemand auf der Bühne, der ahnte, dass seine Rückkehr selbst schon eine Botschaft ist. "Eine Regierung, die droht, einen Komiker zum Schweigen zu bringen, den der Präsident nicht mag, ist anti-amerikanisch", sagte er – und sprach damit weniger über sich als über das Klima, das ihn schweigen lassen wollte.

Der autoritäre Reflex

Donald Trump versuchte, Kimmel mundtot zu machen. Ein grotesker Streit, könnte man meinen, ein Machtkampf um Witze. Doch dahinter stand mehr: der autoritäre Reflex, die Öffentlichkeit zu kontrollieren. Wer entscheidet, was gesagt werden darf, entscheidet auch, was gedacht werden darf.

Autokrat*innen fürchten den Spott mehr als den Protest. Denn wo gelacht wird, verliert die Macht ihre Aura. Deswegen reagieren sie allergisch auf den Witz, den Karikaturstrich, die Pointe. Sie wissen: Ein Lacher entwaffnet mehr als tausend Demonstrant*innen.

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Solidarität der Gegner*innen

Bemerkenswert in diesem Fall ist nicht allein Kimmels Standhaftigkeit, sondern die Solidarität, die er von unerwarteter Seite erfuhr. Ben Shapiro, Candace Owens, Mitch McConnell, Rand Paul – und ja, sogar Ted Cruz – stellten sich vor ihn. Menschen, die sonst alles tun, um Kimmel als "linken Liberalen" abzuwerten, verteidigten plötzlich sein Recht, zu sprechen.

Kimmel reagierte überrascht: "Ich glaube nicht, dass ich das jemals zuvor gesagt habe, aber Ted Cruz hat recht." Ein Satz, halb Spott, halb Anerkennung. Doch dahinter steckt eine ernste Einsicht: Wenn das Grundrecht der Rede fällt, gibt es keine Sicherheit mehr – auch nicht für die, die sich im Moment an der Macht wähnen.

Wenn Satire gefährlich wird

Dass Satire zur Gefahr wird, ist kein neues Phänomen. Die Geschichte ist voller Beispiele.

● Charlie Chaplin, der mit dem "Großen Diktator" Hitler verspottete, wurde wenige Jahre später selbst aus den USA gedrängt – in der McCarthy-Ära galt er plötzlich als "unamerikanisch".

● Lenny Bruce stand in den 1960er Jahren mehrfach wegen "Obszönität" vor Gericht. Sein Vergehen: Tabus brechen, Wahrheiten aussprechen, die man nicht hören wollte.

● In Deutschland trieb das NS-Regime Kabarettisten wie Werner Finck ins KZ – wegen Witzen, die "die Autorität untergruben".

● In Russland, der Türkei oder im Iran werden Satiriker*innen bis heute verfolgt, verhaftet, ins Exil gezwungen.

Das Muster ist stets dasselbe: Bevor Politik Parteien verbietet, verbietet sie das Lachen.

Medien zwischen Mut und Bequemlichkeit

Doch nicht nur Politiker*innen sind hier gefragt, sondern auch Medienkonzerne. In den USA tragen Namen wie Disney, NBC oder CBS Verantwortung. Sie sind globale Imperien, die zwischen den Drohungen der Regierung und den Erwartungen der Zuschauer*innen stehen. Werden sie Rückgrat zeigen oder den bequemeren Weg gehen?

Die McCarthy-Ära lehrt, wie schnell Studios einknicken können. Schwarze Listen führten damals zu Berufsverboten für Schauspieler*innen, Drehbuchautor*innen, Regisseur*innen. Heute sind die Mechanismen subtiler – wirtschaftlicher Druck, politische Kampagnen, Boykott-Drohungen. Doch das Ergebnis kann dasselbe sein: vorauseilende Zensur.

Die neue Gefahr: Plattformmacht

Hinzu kommt die Macht der digitalen Gatekeeper*innen. Wer heute den Informationsfluss kontrolliert, hat die Schlüssel zur Demokratie in der Hand. Algorithmen entscheiden, was sichtbar ist. Unternehmen könnten bestimmen, welche Podcasts wir hören. Was Kimmel ironisch als Dystopie beschrieb, ist in China längst Realität. In der Türkei werden Social-Media-Dienste gedrosselt, wenn die Regierung Kritik fürchtet. In Russland verschwanden oppositionelle Kanäle aus den App-Stores, kurz bevor die Panzer rollten.

Die Gefahr für westliche Demokratien liegt nicht im plötzlichen Verbot, sondern im schleichenden Prozess: wenn Konzerne aus Angst vor Repression Inhalte löschen, wenn Plattformen aus Bequemlichkeit staatliche Wünsche erfüllen, wenn die Grenze zwischen Regulierung und Kontrolle unsichtbar wird. Erinnert sei hier an die unerwartete Abschaltung des YouTube-Kanals der schwulen Präventionskampagne IWWIT im Juni 2025. Sie steht exemplarisch für die Doppelmoral der Tech-Giganten und deren mangelnde gesetzliche Kontrolle. Erst nach Protesten und der großen Medienberichterstattung wurde der IWWIT-Kanal wieder online gestellt (queer.de berichtete).

Europa hört mit – und schießt gegen queere Sichtbarkeit

Und Europa? Auch hier gibt es keinen Grund zur Selbstzufriedenheit. Wenn Regierungsvertreter*innen festlegen, welche sprachlichen Formen im öffentlichen Raum erwünscht und welche unerwünscht sind, ist die rote Linie zur politischen Regulierung von Ausdruck überschritten. Das gilt nicht nur für die USA, sondern auch für Europa.

Zur Erinnerung: "Es geht um Verständlichkeit", sagte noch in jüngster Vergangenheit Kulturstaatsminister Wolfram Weimer, als er das Gendersternchen in seiner Behörde verbietet und öffentlich geförderten Institutionen nahelegt, es ihm gleichzutun. Museumsdirektor*innen, Stiftungsratsmitglieder, Rundfunkintendant*innen – alle sollten künftig so sprechen, wie es der Minister für klar, eindeutig und mehrheitsfähig hält (queer.de berichtete).

In Ungarn wurden unabhängige Medien systematisch geschwächt oder aufgekauft, in Polen der öffentliche Rundfunk zum Regierungslautsprecher umgebaut.

Selbst in Deutschland, wo Presse- und Rundfunkfreiheit fest im Grundgesetz verankert sind, erleben wir die Delegitimierung der öffentlich-rechtlichen Medien: Kampagnen, die den Rundfunkbeitrag als "Zwangssteuer" brandmarken, die Journalist*innen pauschal zu "Staatsfunkern" erklären. Das Ziel ist dasselbe wie bei Trump: Vertrauen zerstören, bis die Kritik verstummt.

Ein seltener Schulterschluss und seine Chance

Autoritäre Systeme beginnen selten mit dem offenen Schlag gegen Wahlen oder Parlamente. Sie beginnen mit Sprache. Mit kontrollierten Medien, eingeschüchterten Verlagen, stummen Komiker*innen. Humor ist ein Seismograf der Freiheit: Wenn er verstummt, ist die Demokratie schon im Fieber.

Dass linke wie rechte Stimmen in den USA gemeinsam gegen Trumps Eingriff protestierten, ist fast ein Wunder. Doch dieser Schulterschluss ist mehr als eine Anekdote. Er zeigt, dass es eine gemeinsame Sprache jenseits der Spaltung gibt: die Sprache der Freiheit.

Vielleicht, so Kimmel, sei das der Silberstreif: Dass man sich zumindest auf eines einigen könne – dass niemand das Recht hat, den Mund des anderen zu verschließen.

Mehr als ein Skandal

Am Ende war Kimmels Rede kein Skandal, sondern ein Warnsignal. Demokratien sterben nicht im großen Knall, sondern in den kleinen Momenten, in denen Schweigen bequemer ist als Widerspruch.

Die Allianz von links und rechts, die ihn verteidigte, zeigt: Noch ist die Erinnerung an dieses Fundament lebendig. Die Frage ist, wie lange. Denn wenn wir nicht hinhören, wenn wir den autoritären Reflex als Kuriosität abtun, dann wird das Lachen verstummen – und mit ihm die Freiheit.

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