https://queer.de/?55222
"Jutta's Futschi Freizeit"
Eine queere Lifestyle-Illustrierte als Angriff auf die Wirklichkeit
Ades Zabels Neuköllner Futschi-Mischpoke hat wieder zugeschlagen: Die Drecksloch-Stadt Berlin gibt es jetzt als Lifestyle-Illustrierte mit hemmungsloser Lebenshilfe – Wahnsinn als Waffe.

Jutta Hartmann, die Bühnenfigur von Comedian Bob Schneider, ist die berühmteste Kneipenwirtin zwischen Sonnenallee und Gropiusstadt. Jetzt gibt sie auch noch die Zeitschrift "Jutta's Futschi Freizeit" heraus (Bild: Martin Miotk)
- Von Marcel Malachowski
29. September 2025, 08:35h 4 Min.
Waren Sie schon einmal in Pjöngjang, der Hauptstadt Nordkoreas, verehrte*r Leser*in? Auch wenn nicht, dann können Sie davon ausgehen, dass Pjöngjang sicherlich lebenswerter ist als Berlin, wo ja gefühlt jede*r wohl schon einmal war, nur keine*r weiß, warum eigentlich. Es ist mit Berlin wahrscheinlich so, wie Kurt Tucholsky es einmal allgemein über absurde Konformist*innen-Hypes formuliert hatte: "Die meisten Menschen feiern Weihnachten, weil die meisten Menschen Weihnachten feiern". Und keine*r weiß, warum eigentlich … Falls Sie noch nie in Berlin waren, verehrte*r Leser*in: Fahren Sie bloß nicht hin!
Das "neue" Berlin
Als die Fönfrisur-Trümmertunte Donald Trump in ihrem Herrenmenschen-Klassismus vor Jahren einmal afrikanische Länder als "Shithole Countries" titulierte, da kannte sie sicher Berlin noch nicht: In der Drecksloch-Stadt Berlin gibt es keinen einzigen schönen Park, die einzigen zwei bequemen Parkbänke stehen kurioserweise direkt vor dem Bundeskanzleramt, in Berlin werden Grünflächen generell nicht gepflegt, wahrscheinlich aus Überzeugung, und auch ansonsten funktioniert dort null komma nix. Und von Mode, Geschmack, Ästhetik, Benehmen oder gar Freundlichkeit hat man in Berlin bisher nur gerüchteweise etwas gehört – im Gegensatz zu Hamburg, Düsseldorf oder München. Während das "alte" Currywurst-Berlin aber nur spießig war, ist das "neue" Hafermilch-Berlin der durchgetakteten Smartphone-Zombies unerträglich.
Nur Neuköllns Futschi-Combo leistet Gegenwehr

"Jutta's Futschi Freizeit" erscheint am 1. Oktober 2025
Seit die letzten Punks ausgestorben sind, wird an Ampeln nicht nur in der rauchfreien Spießer-Hölle im Prenzlberg sogar allen Ernstes wie im Schwabenländle brav gewartet, bis es Grün wird. Nur ein Bezirk macht bei diesem ganzen Quatsch noch nicht so richtig mit: Neukölln. Und eine Alt-Berlinerin und ihre Girls-Gang halten stolz die Fahne des "alten" Berlin im "alten" Neukölln hoch: Ades Zabels Neuköllner Futschi-Mischpoke ist für Berlin quasi das, was in einem Napoli-Rap-Song der Serie "Gomorrha" zitiert wird: "Guter Junge andersrum … mit der Waffe in der Hand." Eine Waffe braucht dieser sehr besondere Neuköllner Clan aber nicht, denn der eigene Wahnsinn reicht als gespiegelte Waffe gegen den Wahnsinn. Gegen das "neue" Wahnsinns-Berlin hilft auch nichts anderes als Überlebenshilfe..
Wahnsinn als Waffe, Optik-Schock als Methode
Vor fast nichts humoristisch haltzumachen, das ist auch das brachiale, aber insgeheim charmante Abriss-Rezept dieser neuen Lifestyle-Illustrierten "Jutta's Futschi Freizeit" von Adels Zabels Bühnenpartner Bob Schneider alias Kneipenwirtin Jutta Hartmann. Besonders gut kommt das Rezept dieser Illustrierten im optischen Horror-Splatter-Look zum Tragen, wenn das vorgeblich Allgemeinbekannte über alles und jede*n, das die überhebliche Mehrheitsgesellschaft über die Marginalisierten ganz genau zu wissen glaubt, weil man es ja gut meint mit den armen Irren, wenn dieses vermeintlich Allgemeinbekannte ganz schlicht entlarvt wird – indem ihre ver-rückte Wahrnehmung einfach als Spiegel der Mehrheits-Projektionen, als Fantasien deren Ver-Rücktseins von der Wirklichkeit vorgehalten wird, natürlich in der absurd möglichsten Form und vor allem: in spektakulär grotesken Bildern, die den mehrheitstauglichen "Wahnsinn der Normalität" (Arno Gruen) bloßstellen als das, was er ist: pure Menschenfeindlichkeit.
Eine Lifestyle-Illustrierte als Angriff auf die Wirklichkeit
"Crack-Hure und Karton-Kindheit" – so lautet eine Doppelseiten-Story in dieser allzu bunten Illustrierten. Optisch sieht es aus, als hätte man den RTL-Wahnsinn, japanische Comics und Splatter-Movies wild zusammengerührt und durchgeschüttelt: Willkommen also in der Realität, in der Realität des Absurden, in der das Leiden der Anderen hemmungslos kapitalisiert wird: "Wenn Elend zur Ästhetik wird und Leid zur Leinwand" – "Crack statt Kinderbrei – Jutta packt aus". Zugegeben, es ist nichts für schwache Nerven. Aber "schwache Nerven" sind eh so ein Luxus-Phänomen der überverwöhnten Mehrheits-Gesellschaft, das sich Marginalisierte gar nicht leisten können, wenn sie überleben wollen. Die Neuköllner Futschi-Combo hat mit "Jutta's Futschi Freizeit" auf jeden Fall noch einmal schmerzhaft scherzhaft eins draufgesetzt zur schon gewohnten Grenzüberschreitung der Bühnenprogramme.
Nichts für Prenzlberger
Wer's nicht aushalten kann, gehört ins "neue" Wohlfühl-Berlin am ach so schönen Prenzlberg. Für solche Leute ist diese Zeitschrift nichts! "Jutta's Futschi Freizeit" ist so etwas wie das hemmungslose Zurückschlagen der ansonsten zum Gaffer*innen-Objekt Freigegebenen, übe die die Mehrheits-Gesellschaft vom Prenzlberg im Mitleids-Modus gerne redet. Aber nicht mit ihnen. Reclaim the Feeds – so könnte das Motto dieser artifizierten Zeitschrift lauten, die rundum gelungen ist samt antideutscher Seitenhiebe auf die NS-Tradition etwa im deutschen Schlager am Beispiel etwa von Zarah Leander.
Aber leider ist natürlich auch dieses gelungene Kunstprojekt Teil des kapitalistischen Wahnsinns. Und eine Frage, die bleibt, wäre, warum denn die große Release-Veranstaltung am 1. Oktober im legendären Berliner BKA-Theater, ein Relikt des "alten" Kreuzbergs, so extrem teure Eintrittskarten feilbietet von über 30 Euro. Diversität, Teilhabe und Inklusion sehen anders aus. Aber vielleicht bleibt das Kunst-Publikum im "neuen" Kreuzberg eben auch lieber unter sich?
Links zum Thema:
» "Jutta's Futschi Freizeit" kann zum Preis von 9,90 € bei amazon.de bestellt werden
Mehr queere Kultur:
» auf sissymag.de
Informationen zu Amazon-Affiliate-Links:
Dieser Artikel enthält Links zu amazon. Mit diesen sogenannten Affiliate-Links kannst du queer.de unterstützen: Kommt über einen Klick auf den Link ein Einkauf zustande, erhalten wir eine Provision. Der Kaufpreis erhöht sich dadurch nicht.














