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Selbstbestimmungsgesetz
Kippt der Bundesrat Dobrindts Sonderregister?
Vor der Abstimmung am Freitag bewerten die Ausschüsse der Länderkammer das Vorhaben zur Datenweitergabe bei Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen unterschiedlich.

Europa-, Deutschland- und Regenbogenflagge vor der Länderkammer anlässlich des Berliner CSD (Bild: Bundesrat)
- 14. Oktober 2025, 13:46h 4 Min.
Eine vom Bundesinnenministerium unter Alexander Dobrindt (CSU) geplante Verordnung zur Erfassung und Weitergabe von Daten von Personen, die das Selbstbestimmungsgesetz zur Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen genutzt haben, sorgt seit Wochen für Empörung. Am Freitag muss nun der Bundesrat über das Vorhaben entscheiden, das von queeren Verbänden und Aktivist*innen und gar in einer Petition mit über 256.000 Unterschriften als unnötiges und gefährliches "Sonderregister" kritisiert wurde.
Der im Sommer bekannt gewordene Entwurf sieht im Meldewesen neue zusätzliche Dienstblätter bzw. Datensätze vor (queer.de berichtete). Sie umfassen eine Änderung des Geschlechtseintrags nach dem zum 1. November 2024 in Kraft getreteten Selbstbestimmungsgesetz, das Datum, zuständige Behörde und Aktenzeichen sowie frühere Vornamen. Die Meldebehörde soll diese dann unter anderem im Bundeszentralregister dauerhaft vorgehaltenen Datensätze auch der Rentenversicherung und dem Bundeszentralamt für Steuern übermitteln.
In vom Innenministerium selbst veröffentlichten Stellungnahmen hatten queere Verbände wie der Bundesverband Trans*, die Deutsche Gesellschaft für Trans*- und Inter*geschlechtlichkeit oder der LSVD* das Vorhaben kritisiert. Es verstoße gegen den Grundsatz der Datenminimierung, Persönlichkeitsrechte und sei in vielen Fällen unnötig. So sei "eine eindeutige Identifikation" bereits jetzt möglich, entsprechende Änderungen von Geschlechtseintrag und Vornamen habe es etwa schon jahrzehntelang durch das nun abgeschaffte Transsexuellengesetz gegeben (queer.de berichtete). Entgegen Offenbarungsverbot und Datenlöschungsgrundsätzen entstehe ein "Mechanismus, der das 'alte Geschlecht' dauerhaft mitführt, obwohl das SBGG gerade darauf abzielt, dass Menschen nach einer Änderung nicht mehr an ihren früheren Geschlechtseintrag gebunden sind", kritisierte der LSVD*. Die Regelungen widersprächen dem "antidiskriminierenden Grundgedanken des Selbstbestimmungsgesetzes selbst", monierte der BVT*: "Die Speicherung und Weitergabe früherer Geschlechts- und Namensangaben kann zu Zwangsoutings im Kontakt mit Behörden führen – mit möglichen Folgen wie Diskriminierung und Stigmatisierung".
Berlins Queerbeauftragter Alfonso Pantisano (SPD) erinnerte in einem Gastbeitag auf queer.de an die einstigen Rosa Listen. Auf die breite Kritik ist das Innenministerium insgesamt nur bedingt eingegangen. Im an den Bundesrat übermittelten finalen Entwurf (Drs. 419/25, PDF) heißt es nun zu Änderungen der Bundesmeldedatenabrufverordnung: "Eine Suche zur Erstellung einer Ergebnisliste, die ausschließlich Personen anzeigt, die ihren Geschlechtseintrag geändert haben, ist ausgeschlossen."
Wie entscheiden die Länder?
Pantisanos Bundesland Berlin könnte freilich das Vorhaben direkt (mit)verhindern: Während die geplante Verordnung nicht durch den Bundestag geht, muss ihr der Bundesrat mehrheitlich zustimmen. Das schwarz-rot regierte Bundesland müsste sich für eine Ablehnung freilich gegen die eigene Bundesregierung positionieren. Denkbarer wären Enthaltungen etwa aus Ländern mit Koalitionen aus CDU und Grünen, die ebenso als praktisches Nein gelten würden wie ein direktes Nein etwa aus Landesregierungen ohne Unionsbeteiligung.
Der federführende Innenausschuss und der Rechtsauschuss des Bundesrates, besetzt mit den jeweiligen Landesminister*innen, empfiehlt allerdings ohne weiteren Kommentar, der Verordnung zuzustimmen (Drs. 419/1/25, PDF). Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend plädiert hingegen auf vollständige Ablehnung: Die Verordnung sei "nicht erforderlich", vielmehr missachte sie "den besonderen Schutzbedarf der betroffenen Personengruppe und setzt sie einem erhöhten Diskriminierungsrisiko aus", heißt es zur Begründung, die viele bereits von den Verbänden thematisierte Bedenken aufgreift.
Der Ausschuss verweist zudem auf den Koalitionsvertrag von Union und SPD, der zum Selbstbestimmungsgesetz eine Evaluierung vorsieht und zudem festhält: "Im Rahmen der Namensrechtsreform nehmen wir die bessere Nachverfolgbarkeit aller Personen bei berechtigtem öffentlichem Interesse bei Namensänderungen in den Blick." Damit würde "eine diskriminierungsfreie Regelung für alle Namensänderungen" geschaffen und "Sonderregelungen für Änderungen nach dem SBGG" vermieden, erinnert der Familienausschuss die Bundesregierung an die eigenen Beschlüsse. Statt das SBGG bei der Namensrechtsreform aufzugreifen solle nun die Extraverordnung ohne begründete Erforderlichkeit zum Zuge kommen. Eine Vielzahl öffentlicher Stellen könne so automatisiert Abrufe von Meldedaten durchführen, beklagt der Ausschuss: "In der Praxis bedeutet dies, dass Betroffene keinen Überblick mehr darüber haben, welche Stellen von der Änderung ihres Geschlechtseintrags Kenntnis erlangen."
Ein Widerstand der Länderkammer gegen Verordnungen der Bundesregierung ist allerdings selten. In der Regel werden sie in einem Paket mit mehreren Gesetzentwürfen und Verordnungen gemeinsam ohne Debatte gemäß den Empfehlungen der Ausschüsse abgenickt, manchmal – anders als hier – mit dort formulierten Änderungsvorschlägen, die die Bundesregierung zu berücksichtigen hätte, um in Kraft treten zu können. Einen Vermittlungsausschuss gibt es bei Verordnungen nicht. (cw)
Korrektur: Ursprünglich hieß es im Artikel, die Verordnung solle bereits zum 1. November in Kraft treten. Tatsächlich ist vom 1. November 2026 die Rede.













