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Interview

Warum ist das "bedingungslose Grundeinkommen" eine queere Forderung?

Die Linke lehnt die Bürgergeld-Reform strikt ab. Wir sprachen mit Robert Ulmer von der BAG Bedingungsloses Grundkommen über Hetze gegen Arme, materielle Ausgrenzung in der Community und den Weg zur Umverteilung.


Symbolbild: Transparent "unbedingt Grund-Einkommen" an einem Balkon in Berlin-Kreuzberg (Bild: IMAGO / Steinach)
  • Von Marcel Malachowski
    19. Oktober 2025, 07:15h 8 Min.

Robert Ulmer "flüchtete" in den späten 1980er Jahren aus München in die schwule Szene Berlins, wo er seither politisch aktiv ist. Er war unter anderem Sprecher des bundesweiten Netzwerks Grundeinkommen. Als Mitglied der Linkspartei engagiert er sich in der Landesarbeitsgemeinschaft queer und im Sprecher*innenrat der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Bedingungsloses Grundeinkommen .

Wir sprachen mit ihm über die Auswirkungen der Bürgergeld-Beschlüsse der Bundesregierung auch für queere Menschen, über Armut in der Community, über den Weg zur Umverteilung und warum die Linkspartei en vogue ist wie Ledermäntel.


Linken-Aktivist Robert Ulmer (Bild: privat)

Die Bundes­regierung sagt, die Abschaffung des Bürgergeldes ist notwendig, um Deutschland wieder wettbewerbsfähig zu machen. Ist Deutschland durch die Beschlüsse denn jetzt fit für die Zukunft?

Die Hetze gegen Arme war schon unter Kanzler Gerhard Schröder falsch und inhuman und wird durch die fantasielose Wiederholung durch Linnemann und Merz nicht intelligenter. Für eine stabile und erfolgreiche Ökonomie brauchen wir qualifizierte und motivierte Fachkräfte. Die Leute mit Armut zu bedrohen, sie in einen Unterbietungswettbewerb zu treiben und in miese Billig-Jobs zu zwingen: Dieser Weg ist zwar bei autoritären Charakteren sehr beliebt, aber ökonomisch ganz sicher der falsche Weg.

Die ehemalige Grünen-Chefin Ricarda Lang sagte in ihrer letzten Parteitagsrede, Hetze gegen Arme sei rechtsextreme Ideologie, ähnlich wie Rassismus oder Queer­feindlichkeit. Hat sie damit übertrieben?

Nein, Ricarda Lang hat damit nicht übertrieben. Was ich ihr aber vorwerfe, ist Heuchelei, denn es waren die Grünen, die in der rot-grünen Schröder-Regierung die Hartz-Reformen mit verbockt haben. Im Übrigen hat sie Recht: Die AfD präsentiert sich als Partei für die kleinen Leute und betreibt gleichzeitig Hetze gegen Arme.

Der damalige FDP-Chef Lindner sagte nach den ersten Fridays-for-Future-Demonstrationen, man müsse bei wichtigen Themen lieber auf Expert*­innen hören… Zum Thema Armut und Bürgergeld stellten die Expert*­innen des Wissenschaftlichen Beirats des Bundeslandwirtschaftsministeriums noch unter der GroKo in der letzten Merkel-Regierung fest, dass die Regelsätze des Bürgergeldes nicht ausreichen, damit Menschen sich angemessen, ausgewogen und ausreichend ernähren können und dass ihre Gesundheit dadurch gefährdet sei. In der BR-Sendung "Münchner Runde" sagte eine Sozialarbeiterin bereits kurz nach dem Beginn der Mega-Inflation bei Lebensmitteln, Ärzt*­innen hätten ihr bereits von Mangelernährung berichtet, weil Menschen sich ausreichend Essen schlicht nicht mehr kaufen können. Der Menschenrechtsrat der UN beschäftigte sich in den letzten Jahren mehrmals offiziell mit der zunehmenden sozialen Ungerechtigkeit in Deutschland. Warum hört die Politik nicht auf Expert*­innen?

Lindner hat sich nun seinerseits nicht gerade übermäßig für Klima-Expert*­innen interessiert. Noch schlimmer: Merz und die anderen Mächtigen dieser Welt machen eine forciert anti-ökologische Politik: Nach uns die Sintflut, beziehungsweise: neben uns die Sintflut. Denn bei uns im Norden verursachen die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung mit ihren Konsumgewohnheiten Öko-Katastrophen wie die Klimakatastrophe und das Artensterben. Die Schäden werden jedoch am schlimmsten woanders ausfallen, bei den Nicht-Verursachern, vor allem im Globalen Süden. Und wenn die Bevölkerungen dann in ihren Ländern nichts mehr anbauen können und sich auf den Weg machen in Regionen, in denen sie zumindest überleben könnten, werden sie an den Grenzen zu den verbliebenen Wohlstandsregionen – den USA und der Festung Europa – abgewiesen. Gerecht ist das nicht.

Zum Thema Armut in Deutschland: Die Regelsätze waren schon vor der Inflation zu niedrig. Ein Leben in Würde war nicht möglich, zum Beispiel spontan jemanden auf eine Tasse Kaffee einladen zu können. Nun sind Lebensmittel doppelt so teuer wie noch vor wenigen Jahren. Die Regelsätze wurden nur minimal erhöht. Die Armut wurde erheblich verschärft. Die Politik kennt natürlich die Stellungnahmen der Expert*­innen. Im reichen Deutschland wäre die Abschaffung der Armut sofort möglich. Aber es gibt die harte Entschlossenheit, Armut nicht abzuschaffen. Armut ist kein Naturereignis, sondern eine inhumane Entscheidung, für die die Akteure verantwortlich sind. Diese sind die entscheidenden Personen in der Politik ebenso wie ihre ebenso anti-sozialen Wähler*­innen, die diese Härte gutheißen. Armut bedeutete schon immer circa zehn Jahre weniger Lebenserwartung: Weil du arm bist, musst du früher sterben. Bei verschärfter Armut heute wird das nicht besser. Der triumphierende Wille zur Armut tötet Menschen.

Wird das Thema Armut unter queeren Menschen von der Community insgesamt und Nicht-Betroffenen in der Szene angemessen wahrgenommen? Wie verhält es sich mit der Solidarität? Auch ältere schwule Männer und Queers, die noch über den Paragrafen 175 staatlich verfolgt wurden, oder auch Queers, die sonst von Gewalt, Ausgrenzung und Traumatisierung betroffen waren, können ja oft gar nicht am Erwerbsleben teilhaben. CDU-Generalsekretär Linnemann sagte mehrfach, er möchte sehr viel mehr für kranke, traumatisierte und behinderte Arbeitslose tun…

Hier gibt es eine Enttäuschung: Queers und schwule Männer sind nicht solidarischer als andere Zeitgenoss*­innen. In unseren Milieus sind querbeet alle Mindsets, Auffassungen und Weltanschauungen vertreten, bis hin zum schlimmsten autoritären Spießer*­innentum. Die Erfahrung von Ausgrenzung und Diskriminierung macht uns nicht automatisch zu besseren Menschen. Die Club- und Party-Szene gibt sich gern inklusiv und achtsam, will Mauern abbauen und Grenzen öffnen, aber wer sich den Club, die Party, das Festival oder die Sauna nicht leisten kann, muss schlicht und einfach draußen bleiben. Dieser Unterschied ist in den homofeindlichen Regionen anderswo noch viel gravierender. Wo die Öffentlichkeit und die Familien ein queeres Leben mit Gewalt, ja mit dem Tod bedrohen, sind etwa homo­sexuelle Erfahrungen nur in sehr teuren Nischen möglich.

Die verschiedenen queeren und feministischen Emanzipationsbewegungen der letzten Jahrzehnte sind eine schöne und noch lange nicht abgeschlossene Erfolgsgeschichte. Besonders gut sichtbar in den sommerlichen Pride-Monaten mit den vielen CSD-Demos. Mit lehrreicher Regenbogen-Flaggen-Kunde der diversen Emanzipations-Ziele. Was fehlt, ist die soziale Flagge: die Skandalisierung der materiellen Ausgrenzung durch Armut.

Inwiefern könnten Queers denn besonders von den jetzigen Beschlüssen betroffen sein – etwa junge Queers in belastenden Coming-of-Age-Lebensphasen, trans Personen mit Traumatisierungen?

Erstmal: Ja, exakt, es ist so. Queers sind besonders betroffen, junge Queers in belastenden Coming-of-Age-Lebensphasen, trans Personen mit Traumatisierungen.

Stellen Sie sich vor, Sie sind mitten in einer dramatischen Lebenssituation, alles im Umbruch, aber Sie haben noch nicht die Freundschaften, die sie brauchen, Freundschaften, die Sie stabilisieren und stärken würden. Und Sie sind noch lange nicht so weit, Ihre Themen selbstbewusst und stolz zu outen. Und jetzt werden Sie vom Jobcenter in einen Job genötigt – "wir machen Ihnen ein Angebot .…" – , wo Sie erstmal niemanden mögen, niemandem vertrauen können. Und wenn Sie ablehnen, werden Sie sanktioniert und verlieren Ihr ohnehin schon zu niedriges Bürgergeld. Sie sind ja schließlich jung und frisch und sollen sich mal nicht so anstellen. Dies als Illustration dafür, warum Angsterkrankungen stark zunehmen.

Dazu kommt: Queere Menschen wissen, wie wichtig eigener, geschützter Wohnraum ist. Denn wir erfahren überproportional viel innerfamiliäre Gewalt und Diskriminierung im öffentlichen Raum. Ein bezahlbares Zimmer, besser noch: eine bezahlbare Wohnung in einer Großstadt ist essenziell wichtig. Gerade trans Personen haben ein erhöhtes Risiko, obdachlos zu werden. EU-weit sind 20 Prozent der Queers mindestens einmal in ihrem Leben von Wohnungs- oder Obdachlosigkeit betroffen. Dies wird durch die aktuelle antisoziale Regierungspolitik nicht besser.

Die Grünen-Chefin Franziska Brandtner sagte ja, sparen könne man beim Bürgergeld viel eher in der Verwaltung. Die Kosten nur für die Verwaltung betragen nach ihrer Aussage sieben Milliarden Euro im Jahr. Wie sehen Sie das?

Na ja, Verwaltung und Bürokratie klingt immer negativ. Ich würde da genauer hinsehen. Wenn es einen Rechtsanspruch auf eine Sozialleistung gibt, so muss die Gewährung dieses Anspruches korrekt abgewickelt, sprich, irgendwie verwaltet werden.

Aber es ist schon etwas Wahres dran, und viel zermürbende und schikanöse Bürokratie könnte abgeschafft werden: mit einem bedingungslosen Grundeinkommen, dem sogenannten BGE. Ein Rechtsanspruch besteht für jede Person, ohne Prüfung der Bedürftigkeit, es gibt keinen Zwang zur Arbeit oder einer anderen Gegenleistung und der Betrag muss ausreichend hoch sein, also in wirklich armutsfester Höhe garantiert werden. Denn sonst würde der Zwang zu miesen Jobs ja faktisch fortbestehen.

Die Linkspartei ist ja seit diesem Jahr nun auch in der Breite der Gesellschaft en vogue wie Ledermäntel seit der vorletzten Herbst/Winter-Saison. In Umfragen überholte Ihre Partei sogar erstmals seit 2017 wieder die Grünen, und ein Parlamentsreporter auf Phoenix berichtete, seit dem großen Wahlerfolg hörten nun auch die Abgeordneten der anderen Parteien den Reden der Linken jetzt immer sehr aufmerksam zu, weil diese wissen wollen würden, was die Menschen wirklich beschäftige. Was meinen Sie: Ist da noch mehr drin?

Ganz ohne Ledermantel: Als Aktivist für das bedingungslose Grundeinkommen habe ich mich ja nun geoutet. Bemerkung am Rande: Eher autoritär strukturierte Geister empfinden ja das Grundeinkommen definitiv als etwas Unanständiges. Zu queer? Vielleicht hilft es, das BGE als queere Forderung zu etablieren?

Nun, zur Linkspartei. Wir haben 2022, also vor drei Jahren, einen Mitgliederentscheid zum bedingungslosen Grundeinkommen durchgeführt und deutlich gewonnen: 56 zu 38 Prozent. Erst danach sind die Wagenknecht-Leute ausgetreten, die geschlossen gegen das BGE sind, und seit 2024 hat sich die Anzahl der Mitglieder durch Neueintritte verdoppelt, überwiegend junge Leute, die gegen den Rechtsruck aktiv sind. Also die Mehrheit pro Grundeinkommen dürfte inzwischen sogar noch deutlicher ausfallen als vor drei Jahren. Die Finanzierungskonzeption beinhaltet eine deutliche Umverteilung von reich nach arm. Mit dem Ziel, Armut abzuschaffen. So weit passt alles gut zur Linkspartei. Jetzt gilt es, unser Partei-Establishment noch etwas mehr für das BGE zu begeistern, damit wir damit richtig punkten können. Denn es wäre die klare Kante gegen die unsoziale Verarmungspoltitik. Anders als noch vor zwanzig Jahren ist das Grundeinkommen inzwischen bekannt und – trotz der Bürgerentscheid-Niederlage in Hamburg – zunehmend populär.

Also, zu Ihrer Frage, ja, doch: Bei unserer Linkspartei wäre mehr drin, wenn wir das Grundeinkommen zu unserer Forderung machen würden. Es ist für alle! Damit ist es das Gegenmodell zum faschistischen Ausgrenzungs-Trend. Schön wäre, wenn wir im Berlin-Wahlkampf einen "Für-Alle-Spirit" aus vollem Herzen gemeinsam verkörpern könnten.

-w-